Aus die Maus. Schicht im Schacht. Ende im Gelände.

Räumung des Topf-Squat in Erfurt

16. April, 5 Uhr 30 morgens: Spezialkommandos der Polizei fahren mit neutralen LKWs vor, verschießen Gaskartuschen, nehmen mit Leitern über die Mauern hinweg das erste Dach ein und sichern von dort mit Sturmgewehren das Gelände. Zwei Hubschrauber fliegen herbei, acht Männer des SEK seilen sich auf zwei weitere Dächer ab und an der Hinterseite des verbarrikadierten Geländes muss die Polizei einen Räumbagger zu Hilfe nehmen und eine Mauer durchbrechen. Während vor dem Haus die friedliche Sitzblockade von etwa 30 Menschen von bayerischen und thüringischen Bereitschaftspolizisten nach und nach geräumt wird, dringen die ersten Spezia­listenteams mit Gasmasken und wiederum Sturmgewehren in’s Wohnhaus ein. Mit dem restetrinkenden Punker an der Bar und den provokativ frühstückenden Leuten in der Küche haben sie weniger Probleme. Mehr jedoch mit den beiden an einen Betonklotz Angeketteten auf dem Dachboden. Durch ihre aus den Anti-Castor-Protesten bekannte Blockadeform verzögern sie die Räumung zumindest um zwei Stunden.

Ab 9 Uhr 30 geht dann alles ganz schnell. Abrissbagger und Räumfahrzeuge rücken an und reissen die Gebäude nieder. Übrig bleibt am Ende des Tages nur ein kläglicher Haufen Backsteine und Schutt, durchsetzt mit wortwörtlichen Bruchstücken 8jähriger Besetzung und vielfältiger politischer und kultureller Arbeit.

Zur Erinnerung: Am 12. April 2001 besetzten einige junge Erfurter_innen das brachliegende Fabrikgelände der ehem. Firma Topf & Söhne, die im Nationalsozialismus u.a. Öfen für die Krematorien und Be- und Ent­lüftungsanlagen der Gaskammern in Auschwitz herstellte. Neben vielen Konzerten und anderen Veranstaltungen kultureller wie politischer Art wandten sich die Be­setzer_innen immer mehr dieser besonderen Geschichte des Ortes zu und begannen sie durch Vorträge, Rundgänge u.ä. zu thematisieren und in Erinnerung zu halten. Im letzten Jahr jedoch ver­äußerte die Stadt das gesamte Gelände an die Domicil Hausbau GmbH & Co. KG, welche die Besetzer_innen auf die Straße „bat“ (siehe FA! #31). Es folgten verstrichene Räumfristen, viele Demonstrationen und Aktionen in Erfurt und deutsch­landweit, immer wieder Verhandlungen mit der Stadt und sogar Bernd das Brot wurde in diesen Konflikt mit hineingezogen ( FA! #32). Ein Argument von Seiten der illegalen Nutzer_innen war immer wieder, dass bei einer Neubebauung die nationalsozialistische Vergangenheit des Geländes in Vergessenheit geraten würde, was mit einem Kompromiss zwischen Stadt und dem neuen Eigentümer zur Errichtung einer offiziellen Erinnerungs- und Gedenkstätte geklärt wurde.

Den Bewohner_innen allerdings drohte weiterhin, auf die Straße gesetzt zu werden. Verhandlungen um ein Ersatzobjekt scheiterten nicht nur an der infrastrukturellen Unzulänglichkeit des Angebotes, sondern leider auch an der konsequenten Weigerung der Besetzerfraktion, einen eingetragenen Verein zu gründen.

Und so kam es, wie es kommen musste: Am 3. April wurde vom Landgericht Erfurt das Urteil zur Räumung des besetzten Hauses gesprochen und schon zum ersten des Monats wurden Strom und Wasser abgestellt. Von da war es nur noch eine Frage der Zeit bis zum Tag X. „Räumung zum Desaster machen!“ war das ausgegebene Motto (neben der „Platz nehmen!“-Kampagne des friedlichen Teils) einer sich militant gebenden Widerstandsbewegung und teilweise wohl auch Grund für das von vielen als übertrieben martialisch angesehene Auftreten der Polizei. Und so wurde zumindest hinterher auch teilweise gehalten, was im Vorhinein versprochen wurde. Neben und nach der angekündigten Demo mit bis zu 800 Leuten am Abend der Räumung, die unter verschärften Vorkontrollen und Repressalien der Polizei zu leiden hatte, kam es zu unzähligen Vandalismen, die Tage andauerten. Müllcontainer und Autos gingen in Flammen auf, die örtliche Arbeitsagentur wurde entglast und neben etlichen weiteren Sachbeschädigungen soll sogar ein Molotow-Cocktail über den Zaun der Polizeidirektion geflogen sein und ein Auto in Brand gesteckt haben. Zu ähnlichen „Soliaktionen“ kam es in gut einem Dutzend deutscher Städte (und Vaxlö/Schweden) noch am Räumungstag und es folgten noch so einige an den Tagen danach.

So auch am darauffolgenden Tag in Leipzig, wo die schon Wochen vorher auf Indymedia angekündigte Solidaritätsdemonstration („Tag X+1“) um 19 Uhr in der Stockartstrasse starten sollte. Zum einen nicht gerade clever, eine unangemeldete Demo im Internet zu bewerben. Sich dann aber auch noch in der schmalen Stockartstrasse zu versammeln, wohl aus reiner Kieztradition heraus, wirkt wie Demosatire. Denn alles hat ein Ende – nur die Stö hat zwei. Und genau dort platzierten sich die Einsatzkräfte, machten dicht und zeigten den Chaoten, wer den Helm auf hat.

Bilanz des Abends: 161 Platzverweise und 136 aufgenommene Personalien – bei etwa 250 Protestler_innen ein ganz guter Schnitt, alle Achtung! Es fragt sich sowieso, was Sachbeschädigungen für eine Art Solidarität darstellen sollen. Brauchen die jetzt obdachlosen Erfurter_innen nicht eher warme Decken und noch wärmen­dere Worte?! Am ehesten brauchen sie doch wohl ein neues Domizil. Und zwar nicht nur eines zum billig Wohnen, sondern vorrangig für die vielen Projekte und Veranstaltungen, die ohne das „B-Haus“ nicht zu machen sind und die der linken/alternativen/antifaschistischen Szene in Erfurt bitter fehlen werden. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die thüringische Landeshauptstadt nicht eher zur Ruhe kommt, bevor sie wieder ein „autonomes Zentrum“ ihr eigen nennt. Denn wie heißt es so schön:

Nach der Besetzung ist vor der Besetzung!

(guy kurow)

Schreibe einen Kommentar