Ausbeutung als Alltag (Teil 2)

NS-Zwangsarbeit in Leipzig

Kriegswirtschaft und „Ausländereinsatz“

In der vorletzten Ausgabe des Feierabend! ( FA!#38) wurden in einem ersten Teil des Artikels verschiedene Aspekte der Geschichte der Zwangsarbeit im nationalsozialistischen Leipzig zwischen 1939 und 1945 dargestellt. Es ging dabei darum, vor den Hintergünden des Systems der Zwangsarbeit in Deutschland und unter Berücksichtigung der herrschenden rassistischen und ideologischen Muster, die konkrete Leipziger Situation zu beleuchten. Hier waren während des Zweiten Weltkrieges ca. 100.000 ausländische Arbeitskräfte beschäftigt. Dies waren vor allem sogenannte „Zivilarbeiter“ – Frauen und Männer, die zum Teil in Folge von Anwerbungen aber in großem Umfang unter Zwang aus allen Teilen Europas zum Arbeitseinsatz nach Deutschland gebracht worden waren. Die größte Gruppe bildeten hierbei die „Ostarbeiter“ aus der ehemaligen Sowjetunion. Hinzu kamen Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge sowie die bereits vor Kriegsbeginn zum Arbeitseinsatz herangezogenen deutschen „Ar­beits­­juden“. Zwangsarbeit fand in allen Bereichen der kommunalen Wirtschaft und Verwaltung, nicht nur, wie oft angenommen, in der Rüstungsindustrie statt. So waren bspw. viele „Ostarbei­terinnen“ in der privaten Hauswirtschaft beschäftigt, Verkehrsbetriebe griffen ebenso auf ZwangsarbeiterInnen zurück wie die Stadtverwaltung; ausländische Arbeitskräfte und Kriegsgefangene wurden für Bom­ben­räum­kom­mandos, die Müllabfuhr, den Bau von Luftschutzbunkern, Arbeiten auf dem Friedhof und den Schlachthöfen herangezogen. Kurzum lässt sich sagen, dass die Aufrechterhaltung des kommunalen Lebens nicht nur vom System der Zwangsarbeit, im Nationalsozialismus im allgemeinen als „Ausländereinsatz“ bezeichnet, profitierte, sondern von diesem abhing.

Dass Zwangsarbeit kein Phänomen war, das am Rande der Gesellschaft stattfand, sondern ein zentraler Bestandteil der nationalsozialistischen Lebens- und Arbeitswelt, zeigt sich an verschiedenen Punkten. Im ersten Teil sind beispielhaft hierfür die Formen der Unterbringung von Zwangs­arbei­terInnen beschrieben worden. Neu errichtete Barackenlager, umfunktionierte Kultureinrichtungen, Schulen oder Gast­höfe, Kleingartenanlagen oder Sportplätze waren über das gesamte Stadtgebiet verteilt.

KZ-Außenlager

Einen besonderen Aspekt in der Geschichte der Zwangsarbeit bildet die Errichtung von KZ-Außenlagern im kompletten Reichsgebiet. Ab 1943 wurde so in großem Umfang der Einsatz von Häftlingen auch in Betrieben ermöglicht, die sich nicht in unmittelbarer Nähe zu einem Konzentrationslager befanden.

In Leipzig wurden 1943 und 1944 insgesamt acht Außenlager eingerichtet. Diese gehörten dem Stammlager Buchenwald an, wobei die Häftlinge selbst aus verschiedenen Konzentrationslagern, wie aus Ravensbrück und Stutthoff herangezogen wurden. Die Betriebe, die als Nutznießer dieser Arbeitskraftbeschaffung hervortraten, waren in Leipzig und Markkleeberg mit den Erla-Werken, Junkers und ATG (Allgemeine Transportanlagen) vor allem in der Flugzeugproduktion tätig. Größ­te Arbeitgeberin war allerdings die HASAG (Hugo Schneider Aktiengesellschaft) in Leipzig-Schönefeld auf dem Areal des heutigen Wissen­schaftsparks zwischen Per­moser­straße und Torgauer Straße. Sie war einzige Herstellerin der Panzerfaust und eine der größten deutschen Muni­tions­fabrikantinnen überhaupt. Am Leip­ziger Stammbetrieb wurden ein Männer- und ein Frauenlager eingerichtet, wovon das Frauenlager mit über 5.000 Häftlingen das mit Abstand größte Leipziger KZ-Außenlager war.

Die Ausbeutung der Arbeitskraft von Häftlingen war nicht nur für Betriebe von Vorteil, sondern auch für die Konzentrationslager lukrativ. Vertragspartner für die Unternehmen, die sich um die Beschäftigung von Häftlingen bewarben, war die SS, an die auch der Lohn, eine Art Kopfgeld, für die ArbeiterInnen floss. Entsprachen die Häftlinge nicht den gewünschten Anforderungen der Betriebe, wurden diese relativ problemlos ersetzt. Bei der Ankunft der ersten Häftlinge im KZ-Außenlager in Leipzig-Grünau etwa wurden von Seiten der Firmenleitung der ATG die Ankömmlinge überprüft und fünf Frauen als „unbrauchbar“ ausgemustert. Diese wurden in den sicheren Tod zurückgeschickt und binnen weniger Tage durch „vollwertige“ Arbeiterinnen gemäß Vereinbarung ersetzt. [1] Das Schicksal, das ihnen bei mangelnder Leistung drohte, war den KZ-Häftlingen offenbar bekannt. Felicja Karay, eine überlebende Zwangsarbeiterin bei der HASAG, hat in verschiedenen Veröffentlichungen den Lebensalltag der KZ-Häftlinge dokumentiert. „Wir gingen zur Arbeit, kehrten ins Lager zurück, bekamen Suppe. Nur durchhalten! Nur nicht umfallen! Nur nicht auf Transport gehen!“ [2]

Für Felicia Karay war, wie für viele andere Häftlinge, der Arbeitseinsatz in den letzten beiden Kriegsjahren in Deutsch­land, nur eine letzte Station der Ausbeutung. Eine Vielzahl der HASAG-Zwangsarbeite­rIn­nen in Leipzig aber auch in anderen großen Außenlagern, wie in Meuselwitz oder Schlieben, kamen aus den HASAG-Außenstellen im Generalgouvernement. In Skarzysko-Kamienna, Tschen­stochau und Kielce hatte die HASAG bereits kurz nach Kriegsbeginn die Rüstungsbetriebe übernommen. Die dort ansässigen ArbeiterIn­nen, insbeson­dere das Fachpersonal, wurden unter Dienstverpflichtung in die deutschen Arbeitstätten geholt und durch polnische JüdInnen ersetzt. Wieviele Menschen in diesen Arbeitslagern starben, ist weiterhin unerforscht. Überlieferungen, wie denen von Felicia Karay, zufolge, wurden über dreißig Prozent durch die Arbeit, Krankheiten, aber auch willkürliche Hinrichtungen durch den Werkschutz getötet. Sie galten als entbehrlich, ihre Arbeitskraft war ersetzbar.

Lebens- und Arbeitsbedingungen

Die ZwangsarbeiterInnen im Reichsgebiet, KZ-Häftlinge wie auch Kriegsgefangene und „zivile“ ArbeiterInnen, waren anderen Lebens- und Arbeitsbedingungen als im Generalgouvernement ausgesetzt. Ab­hän­gig von Status, Art der Arbeit und Un­ter­bringung aber auch von Herkunft und entsprechender „rassischer“ Einordnung waren die Bedingungen, unter denen die Zwangs­arbeiterInnen leben und arbeiten mussten, unterschiedlich. Dennoch waren selbst die besser gestellten ausländischen Arbei­terInnen, wie z.B. Freiwillige aus verbündeten Staaten, dem Primat des „Ausländereinsatzes“ unterworfen. Oberstes Ziel war die günstige Gewinnung von Arbeitskraft für die deutsche Kriegswirt­schaft. Für das Gros der ZwangsarbeiterIn­nen bedeutete dies Ausbeutung, Terror und Verelendung. Tägliche Arbeitsdauer von 12 Stunden und mehr bei minimaler Verpflegung, ungenügender bis gar keiner Ausstattung mit Arbeitskleidung sowie kostensparender Unterbringung waren alltäglich. Viele ZwangsarbeiterInnen litten in der Folge der Lebens- und Arbeits­be­dingungen an Begleiterscheinungen von Mangel- und Unterernährung. Die unzureichende hygienische Ausstattung der mei­sten Lager führte zu vielen Krankheiten und ständiger Seuchengefahr.

Die Formen der Ausbeutung mochten variieren, grundsätzlich galt aber, dass der ein­zige Wert und Nutzen der nach Deutsch­land geholten Menschen in ihrer Arbeitsfähigkeit bestand und mit dieser endete. Kranke oder verletzte ArbeiterIn­nen oder auch schwangere Frauen, Kleinkinder und Neugeborene waren Belastung für Betriebe und Staat. Wenn keine Aussicht auf rasche Wiederherstellung der Arbeitskraft bestand, wurden diese in gesonderten Einrichtungen und Lagern dem Sterben überlassen oder auch auf Sondertransporten „zurückgeschickt“. Die Überlebenschance auf diesen Transporten kam der Deportation in Vernichtungslager gleich. Die meisten dieser Personen verschwanden einfach. Ihr Schicksal ist bis heute größtenteils ungeklärt.

Dem Primärziel des Systems des „Auslän­dereinsatzes“ folgend, war es jedoch nicht nur im Interesse der Betriebe sondern auch der beteiligten Institutionen, wie den Arbeitsämtern, den Aufwand einer „Entsorgung“ von Arbeitsunfähigen zu vermeiden und grundsätzlich die Arbeitskraft der ein­mal hierhergeholten Menschen zu erhalten. So lag es nicht an einer veränderten Fürsorgehaltung, dass sich im Verlauf des Krieges, insbesondere ab 1944, die Bedingungen für ZwangsarbeiterInnen zum Teil verbesserten. In dem Moment, als sich abzeichnete, dass der Nachschub an neuen ausländischen Arbeitskräften ausbleiben würde, wurden zunehmend Versuche unternommen, die Arbeits- und Lebensbedingungen für die ZwangsarbeiterInnen vor Ort zu verbessern. In Leipzig wurden bspw. Umzäunungen von „Ostarbeiterlagern“ entfernt und Essensrationen erhöht. Viele Betriebe versuchten mit Zugeständnissen oder Anreizen in Form von Lohnerhöhungen oder ähnlichem auf die Arbeitsmoral einzuwirken und forderten gleichzeitig von städtischen Einrichtungen eine Verbesserung der Lebensqualität jenseits des Arbeitsplatzes. Dies betraf vor allem die hygienischen Zustände, die Eindämmung von Seuchengefahren und die allgemeine medizinische Versorgung.

Kriegsende und Erinnerung

Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner wurden die Konzentrationslager aufgegeben und die Häftlinge auf sogenannte Eva­kuierungsmärsche geschickt. Dies galt auch für die Leipziger Außenlager, von wo die Märsche unter anderem in Richtung Oschatz, Riesa und Wurzen führten. Aufgrund der hohen Sterbeziffer durch Krankheit, Erschöpfung, Erschießungen und Tötungen bei Fluchtversuchen spricht man seit der Nachkriegszeit von diesen Märschen als „Todesmärschen“.

Einige Leipziger Häftlinge, die als zu krank oder gehunfähig für die Märsche befunden wurden, sollten auf den Befehl der Leitstelle der Gestapo in Leipzig „beseitigt“ werden. Sie wurden am 18. April 1945 während des Mittagessens in Baracken im KZ-Außenlager in Abtnaundorf eingeschlossen, diese wurden zugenagelt und angezündet. Von den 307 betroffenen Menschen verbrannten 84 bei lebendigem Leib, andere wurden bei Fluchtversuchen erschossen.

An die KZ-Außenlager von Junkers in Markkleeberg und der HASAG in der Permo­serstraße erinnern heute Gedenksteine, in der Theklaer Straße erinnert ein Obelisk an das „Massaker von Abtnaun­dorf“. Hier findet jährlich am 27. Januar im Rahmen der Feierlichkeiten zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz eine eher spärlich besuchte Kranzniederlegung statt. An die tausen­den anderen Opfer des Systems der Zwangs­arbeit in Leipzig wird allerdings nirgendwo erinnert.

(teckla)

[1] Irmgard Seidel, Leipzig-Schönau, in Wolfgang Benz, Barbara Distel, Der Ort des Terrors, Bd. 3, München 2006, S. 494.

[2] Felicja Karay, Wir lebten zwischen Granaten und Gedichten, Köln 2001, S.142.

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