„…bei Streik hätte ich nicht unterschrieben…“*

Am 24. April 2007 standen bei der QuelleNeckermann Versand Service GmbH in Leipzig für einige Stunden die Räder still. ArbeiterInnen hielten vor den Werkstoren eine spontane Protest­ver­sammlung ab. Die KollegInnen kamen gerade aus einer Versammlung, auf der ihnen die Ge­schäfts­leitung erklärt hatte, ab Herbst seien 42 Stunden pro Woche zu arbeiten. Und 314 KollegInnen seien überflüssig. Für 299 gäbe es das einmalige „Angebot“ für einen Aufhebungsvertrag mit einer Abfindung von 9000 Euro plus 1000 Euro pro Beschäftigungsjahr (max. 21000 Euro).

Der Stein des Anstoßes

Die bisher bei Karstadt geltende Betriebs­vereinbarung (1) soll abgeschafft werden. Mit ernster Miene wurden den An­gestell­ten die neuen Arbeitsbedingungen erläu­tert und Änderungsverträge in versiegelten Um­schlägen verteilt: Ge­zwungen von der allmächtigen Hand des internationalen Wettbewerbs müsse der Konzern 314 der 1170 ArbeiterInnen (2) feuern und den Verbleibenden die Mehr­arbeit zum Stundenlohn von knapp 8 € aufbürden.

Ab Oktober sollen mit 63 Prozent der Belegschaft bei einer 7-Tage-Woche 11,75 Stunden mehr gearbeitet werden. Schmack­­­­­haft gemacht werden soll dieses Angebot mit einem zwei­jährigen Schutz vor betriebs­bedingter Kündigung und dass es brutto knapp 200 € mehr im Monat sein sollen.

Daneben wurde noch er­wähnt, dass die abzubauenden Stellen schon bei der Agen­tur für Arbeit gemeldet seien und mensch sich also keine Sorgen machen brauche, sich mit der Arbeitslos-Meldung zu ver­spä­ten.

Die Arbeit in den größten Abteilungen, in der die Bestellungen versandfertig ge­macht werden, ist angespannte, konzen­trier­te Monotonie. Während der Schicht steht mensch zwischen mehreren Rut­schen in einer Lagerhalle und sortiert die an­kommenden Artikel zu Paketen zusam­men. Langeweile kommt auf beim stän­di­gen Heben und Strecken, während im Kopf die Zahlenkolonnen vorbei wan­dern. Gedankliche Ablenkung kann schnell zu Fehlern führen, dann gibt’s bei ge­­ringster Fehlerquote, wie zwei Fehler bei 1000 Paketen, Abmahnungen und Kün­di­gungen. Eine knappe halbe Minute darf es dauern, dann muss ein Paket zusam­men­­gestellt und verschnürt sein, wobei es nach Ansicht der oberen Etage keinen Un­terschied macht, BH’s und Bekleidung zu packen oder Küchenmaschinen und 60-tei­lige Geschirrservice. In letzter Zeit ha­ben die schwergewichtigen Sendungen beständig zugenommen und die Prämien­tabelle wurde beständig nach unten korri­giert. In betriebsinternen Umfragen gab die Mehrzahl an, das einzige was sie an der Arbeit bei Quelle schätzten, sei, dass der Lohn jeden Monat aufs Konto kom­me.

Spontane (?) Empörung

Aus oben erwähnter Belegschaftsver­samm­­lung, welche von der Geschäftslei­tung – um den Widerspruchsgeist am Stand­ort Leipzig wissend – erst am Vor­abend angekündigt wurde, entwickelte sich eine spontane Versammlung vor den Werks­toren und dann ging es vorzeitig ins Wo­chen­ende. Vorsorglich hatten alle den Nachmittag frei bekommen – wobei die Mehr­zahl an diesem Tag wohl sowieso nicht mehr in die Hallen zurück gekehrt wäre. Die Strategie der Konzernleitung vor­aus denkend, hatten einige Leipziger Kolle­gInnen schon am 5. April eine Solidari­tätskundgebung vor der Leipziger Kar­stadt-Filiale organisiert. Mit Unter­schrif­­ten­listen sollte den ArbeiterInnen im Quelle-Call-Center Nürnberg im Kampf gegen Lohn­senkungen und verlängerter Arbeitszeit der Rücken gestärkt werden.

Ein Arbeitskampf kommt selten allein

In Nürnberg wurde den ArbeiterInnen im Call-Center Quelle Weiterbeschäftigung für 1100 Euro Brutto bei einer 42-Stunden-Woche statt wie vorher 37,5 Stunden gebo­ten. Oder eben der Abschied aus dem Un­ter­nehmen. Dagegen setzen sich die Kolle­gInnen vor Ort unter dem Motto: „Arbeit darf nicht arm machen“ zur Wehr. (3) Die „neuen Arbeits­be­dingungen“, um einige hundert Euro aufpoliert (1.456/1.555 Euro) wurden knapp drei Wochen später auch in Leipzig unter­breitet.

Die Arbeitskämpfe bei Quelle waren jedoch nicht die einzigen. Verblüffend ähnlich stellte sich die Problematik bei der Telekom dar: die Wochenarbeitszeit sollte ohne Lohnausgleich um mindestens 4 Stunden steigen, der Lohn um 9 Prozent sinken und nur zu 80 Prozent fix sein, der Rest wird an eine Erfolgsquote gebunden. Am 20. Juni kam es nach mehrwöchigem Streik – dem ersten in der Geschichte des Unternehmens – zum Kompromiss zwi­schen ver.di und der Telekom: Das Einkom­mens­niveau sinkt um 6,5 Prozent und die wöchentliche Arbeitszeit wird um 4 auf 38 Stunden ohne Lohnausgleich er­höht…

Der Stein kommt ins Rollen

Zurück zu Quelle Leipzig: Am Montag nach der Protestversammlung erwarteten nicht wenige KollegInnen, dass ge­streikt werden würde. Gleichzeitig sah rund die Hälfte der Belegschaft keinen anderen Ausweg als die bittere Kröte, sprich neuen Verträge zu schluc­ken. Man­che sahen sich ge­zwungen, einen Aufhe­bungsvertrag zu unter­schreiben, weil es für sie nicht mehr möglich ist, unter den neuen Bedin­gungen zu arbeiten. Dieser Spa­gat der Haltungen fand sich innerhalb des Betriebsrats und unter den ver.di-Mitgliedern wieder: Sowohl in der Ange­stellten-Vertretung als auch der Gewerk­schaft, die circa 300 Arbeite­rInnnen vertritt, warben einige für einen Arbeits­kampf und den Boykott der Än­derungs- und Aufhebungsverträge, währ­end andere sich gezähmt zeigten und mit ihrer eigenen Unterschrift ein entmu­ti­gen­des Zeichen setzten. ver.di riet zur Unter­schriftsver­wei­gerung und zum Gang vor das Arbeits­gericht, falls es zu betriebs­be­dingten Kündigungen komme. Wäh­rend aktive GewerkschafterInnen für ei­nen Streik eintraten, lehnte ver.di offiziell eine Arbeitsnieder­le­gung ab. Die Begrün­dung: der Organisationsgrad sei zu niedrig und man fürchte auf Schadensersatz ver­klagt zu werden, falls der Streik nicht ge­won­nen würde. So gab es keinen Streik­auf­ruf von irgend­einer Seite. Letztendlich hätten kämp­ferische KollegInnen im Betrieb die Sache selbst in die Hand nehmen müssen. Dazu hätten sie die Unterstützung des Solikrei­ses, der MLPD und anderer ge­habt.

„Zögern Sie nicht … So ein Angebot kommt so schnell nicht wieder“ (4)

Derweil griff die Personalleitung in die Humorkiste und verteilte Faltblätter, in denen die Aufhebungsverträge und die schmalen Verträge als kurzfristiges Sonder­angebot angepriesen wurden. Noch während der 14-tägigen Bedenkzeit wurde der Druck auf die ArbeiterInnen stetig erhöht; Vorarbeiter sprachen die Kolle­gInnen an, ob sie nicht lieber bald unter­schreiben wollten.

Das Management gab sich alle Mühe, zu einem Wettlauf auf die „knappen“ Arbeits­plätze anzustacheln. Mensch wurde ge­drängt, Nummern zu ziehen, die dann per Be­triebslautsprecher aufgerufen wur­den. Ins­gesamt hatten innerhalb der Frist bis zum 4. Mai ¾ der ArbeiterInnen den einen oder anderen Vertrag unterzeichnet. Man­che griffen zum Strohhalm 42-Stun­den-Woche, um das Familienein­kommen zu ret­ten, andere widerwillig mit Rück­sicht auf ih­re Gesundheit und/oder ihre Familie zur Ab­findung und einige kamen zu Ver­trauens­leuten und zum Betriebsrat, um sich zu erkundigen, ob man die Unter­schrift zu­rück ziehen könne. 200 Kolle­gInnen aller­dings entschieden sich für die dritte Mög­lich­keit: sie behielten durch keinerlei Unter­schrift ihre bisherigen Verträge nach Tarif.

…die Mehrheit und die Minderheit…

Zwei Tage nach der Protestversammlung berief ver.di eine offene Mit­glieder­ver­sammlung ein, an der 170 Personen teilnah­men und die einige Neueintritte zur Folge hatte. Man be­riet sich unter­einander, was da über­haupt geschehen war – die Konzern­leitung war schon vorher mit ihrer Drohung, die Stundenlöhne auf 6,50 € zu kürzen nicht durchgekommen und hatte nun eine Nacht­- und Nebel­aktion gene­ralstabs­mäßig vor­bereitet und durchzogen. Es wurde bera­ten und aufgeklärt, was in den neuen Verträ­gen überhaupt drin steht und aufgerufen, nicht zu unterschreiben. Da­nach wollten mehrere ihre Unterschrift widerrufen.

Auf der Betriebsversammlung am folgen­den Donnerstag, den 26.04. – welche erst auf den späten Nachmittag verlegt wurde, wohl aus der Angst es würde danach so­wieso nicht mehr gearbeitet – wurde von Vorgesetzten den Kollegen nahegelegt, doch lieber „frei“ zu nehmen. Unter App­laus zerfetzte eine Arbeiterin ihre beiden „Angebote“ der „Arbeitgeberseite“. Derweil ist es stiller geworden, denn es gibt einiges zu verdauen. Die vergangenen Er­eig­­nisse werden ausgewertet, um weitere Schluss­folgerungen ziehen zu können. Bei denen, die nicht unterschrieben haben, über­wiegt die Haltung, dass es nun einfach reicht und die Vorschläge der Chefs nur der Anfang vom Ende sind. Solidaritäts­bot­­schaften fanden ihren Weg von Nürn­berg – wo die Auseinandersetzungen eben­falls noch nicht beendet sind – nach Leipzig.

Die ArbeiterInnen im Soli-Kreis fordern Anerkennungsverträge und wollen für den Erhalt aller Arbeitsplätze eintreten, für den Zusammenhalt der gesamten Beleg­schaft. Stiller Protest zeigt sich am deut­lichsten an der Zahl der Krank­mel­dungen. Die ge­wöhn­liche Quote von 10 Prozent wurde im Mai vor allem von jenen mit Auf­hebungs­verträgen in der Tasche deutlich überschritten…

(hannah)

 

* Äußerung einer Mitarbeiterin nach der Unterschrift unter ihren Änderungsvertrag. Interview mit Betriebsrätin G.K.

(1) Stundenlohn von 9,42 €, wöchentliche Arbeitszeit von 31 Std., 6 Wochen Urlaub und weitere Regelungen, wie Urlaubsgeld, Frei bei familiären Ereignissen, entsprechend dem TV Einzelhandel Sachsen.

(2) 70 Prozent der Angestellten sind Frauen, über 50 Schwerbehinderte.

(3) Derzeit ist der Konflikt um das Call Center Quelle in Nürnberg noch nicht beigelegt, nun sollen bis Ende 2007 741 MitarbeiterInnen entlassen werden. Am 19. Juni stimmten 97,6 % der Beschäftigten für Streik.

(4) Zitat aus Mitarbeiter-Info Leipzig 20.4. 2007, Quelle-Neckermann Logistik, auf dem die Konditionen der freiwilligen Kündigung genannt werden.

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