„Jene von uns die im Krieg gekämpft haben, können die Pfade wiedererkennen, auf denen er vorbereitet wird und näher kommt. Die Zeichen des Krieges am Horizont sind klar. Der Krieg wie die Furcht haben ihren Geruch. Und man fängt schon an, seinen übelriechenden Gestank einzuatmen.”
Das waren Subcomandante Marcos Worte am vorletzten Tag des freien Kolloquiums über “Antisystemische Bewegungen”, welches vom 13. bis zum 17.12.07 in San Cristóbal de las Casas stattfand. Marcos Worte drücken die aktuelle angespannte Situation in den autonomen Gemeinden Chiapas‘ klar und unmissverständlich aus.
Die Bedrohungen und Übergriffe von paramilitärischen Organisationen nehmen derzeit bedenklich zu. Desweiteren gibt es aktuell 56 ständige Militärbasen auf indigenem Gebiet in Chiapas, bei denen genauso eine sich steigernde Aktivität zu erkennen ist. Waffen und Ausrüstungen werden modernisiert und immer mehr Bataillone und Sonderstreitkräfte rücken an. All dies sind Anzeichen einer militärischen Eskalation der Situation, die die mexikanische Staatsregierung anzustreben scheint. Im Moment jedoch wird “die Arbeit” noch den paramilitärischen Organisationen überlassen.
Staatliche Vertreibungspolitik
Die Regierung setzt aber nicht nur auf die militärische Karte. Um den Vertreibungsdruck auf die freiheitsliebenden EinwohnerInnen Chiapas‘ zu erhöhen, vergibt sie parallel das besiedelte Land der autonomen Gemeinden an andere Bauern Mexikos. Sie schürt damit bewußt Konflikte zwischen den verschiedenen Bauern, um dann in der Öffentlichkeit den Konflikt als Krieg zwischen Bauern und indigenen Gemeinden darstellen zu können. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie stark die Regierung diese Vertreibungspolitik forciert: Allein in einer Region wurden 16 Millionen Pesos dafür investiert, Land zu enteignen und an Familien weiterzugeben, welche mit der regierenden Partei PRI (Partido Revolucionario Institucional) in Verbindung stehen. Viele dieser Familien haben wiederum Kontakt zu den staatlich unterstützten Paramilitärs, die die zapatistischen Gemeinden immer wieder überfallen, Angst verbreiten und selbst vor Morden nicht zurückschrecken.
Seit September letzten Jahres findet in Chiapas eine bedrohliche Steigerung der Gewalt statt. Bestes Beispiel hierfür ist die zapatistische Gemeinde Bolon Ajaw in der Region Montes Azules. Vom Zusammenschlagen von Dorfbewohnern oder Schüssen auf sie bis zur Misshandlung von Kindern reicht die Liste der Bedrohungen seitens der paramilitärischen Organisation für die Verteidigung der Indigenen und Campesinorechte (OPDDIC), die die internationalen Beobachter immer wieder tatenlos registrieren müssen. Auch gibt es schriftliche Drohungen wie die folgende: „In guter Freundschaft und als Brüder warne ich die EZLN-Angehörigen von Bolón Ajaw und rate ihnen, so schnell wie möglich zu verschwinden, weil morgen oder heute Nacht die Armee einmarschieren wird. Glaubt mir, meine Freunde. Aus der Region von El Mango.”
Obwohl die Namen der Täter oftmals bekannt sind, werden seitens der Regierung keinerlei rechtliche Schritte eingeleitet. Im Gegenteil, aus verschiedenen offiziellen Stellen, wie u.a. aus dem Regierungsamt des (Bundes-)Staates Chiapas und dem Büro des Direktors der nationalen Kommission für Naturschutzgebiete (Region Südgrenze) wird ein klares Interesse an der “Umsiedlung” der zapatistischen Gemeinden bekundet und extra stillgehalten.
Die Gemeinde von Bolon Ajaw ist jedoch nur ein Beispiel unter vielen. Auch viele andere zapatistische Gemeinden leiden darunter, dass ihnen ihre Ernten gestohlen, die Felder abgebrannt, und die Menschen mit Tod, Vergewaltigung und Folter bedroht werden. Mit der Umsetzung des “Plan México” ist noch mit einer weiteren Verschärfung der Repressalien zu rechnen. Nachdem Präsident Felipe Calderon bekundet hat, dass es in Mexico keinen schmutzigen Krieg gebe, wurde im Namen des “Kampfes gegen das Verbrechen” die Justizreform von der Abgeordnetenkammer gebilligt und damit die polizeistaatlichen Verhältnisse noch legitimiert. Der „Plan“ sieht eine Zusammenarbeit Mexicos mit den Vereinigten Staaten vor. Es soll gegen das organisierte Verbrechen (wie Drogenhandel) vorgegangen und der Terrorismus bekämpft werden. Viele Andersdenkende und Anderslebende, gerade die autonomen Gemeinden Chiapas‘, werden nun verstärkt dem Terrorismusverdacht zum Opfer fallen. Die USA unterstützt México dabei militärisch wie finanziell. In Bezug auf die sozialen Kämpfe im Land führt dies zur weiteren Beschneidung persönlicher Rechte und zu einer Verstärkung des “Krieges niederer Intensität” unter polizeistaatlichen Prämissen, wie das der weltweite „Anti-Terror-Kampf“ auch in vielen anderen Ländern schon gezeigt hat.
Zwischen Angst und Entschlossenheit
Vom 20. bis zum 22.12.07 wurde in Acteal den Opfern des Massakers von vor zehn Jahren (22.12.1997) gedacht. Bei diesem Massaker, welches sich über Stunden hinzog, wurden 45 Tzotzil-Indígenas, meist Frauen und Kinder, brutal von der paramilitärischen Organisation Mascara Roja ermordet. Eine 200 Meter entfernte mexikanische Polizeieinheit reagierte nicht und sah dem Abschlachten damals einfach zu. Zu der Veranstaltung waren viele nationale wie auch internationale Gäste und Organisationen angereist. Es gab Vorträge von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen und von Vertreterinnen der Maya-Frauengruppe, viele Plena und einiges mehr.
Bis heute steht die Forderung nach einer Bestrafung der Täter im Raum, ebenso wie die Forderung nach einer offiziellen Zusicherung, dass sich so etwas nicht wiederholen wird. Bis heute hat sich diesbezüglich noch nichts getan.
Das Massaker in der Abeja-Gemeinde von Acteal hatte nicht ohne Vorzeichen stattgefunden. Damals wie heute gab es im Vorfeld vermehrt Drohungen und Übergriffe auf die EinwohnerInnen der autonomen Gemeinden. Viele befürchten deshalb, dass die aktuellen Entwicklungen wie damals die Vorboten einer brutalen Eskalation der Gewalt seitens der Paramilitärs und des mexikanischen Staates sind.
Die EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional), der bewaffnete Arm der zapatistischen Bewegung, zieht ihre Konsequenzen daraus. Marcos liess am vorletzten Tag des Kolloquiums verlauten, dass die EZLN nun lange Zeit nicht mehr an öffentlichen Tagungen teilnehmen könne, da die Basisgemeinden momentan massiven Bedrohungen und Aggressionen ausgesetzt seien und man sich deshalb verstärkt um die Verteidigung der Menschen vor Ort kümmern müsse. Auch wenn das für die kampferprobte Organisation der autonomen Bauern von Chiapas keine neue Herausforderung ist, sei es das erste Mal seit 1994, dass die soziale Antwort, national wie international, so gering ausfiele, und die Gemeinden so stark auf sich selbst zurückgeworfen wären.
Nun liegt es an uns, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Wir müssen uns klar werden, dass die Gefahr besteht, dass wir erneut untätige ZeugInnen weiterer Vertreibungen, Massaker und Morde in den autonomen Gebieten Mexicos werden.
Brutal angegriffen werden Andere, gemeint aber sind wir indirekt alle.
(sahne)
Quellen und weitere Infos:
Naomi Klein, La Jornada, 21. Dezember 2007
xttp://www.indymedia.org
xttp://www.enlacezapatista.ezln.org.mx
Wer sich für die Arbeit als unabhängigeR MenschenbeobachterIn interessiert, kann hierzu Informationen beziehen unter: carea@gmx.net