Wenn mensch den Schienen der LVB Richtung Plagwitz folgt, die Karl-Heine-Straße bis zum alten Bahnhof hoch läuft und dann in einem kühnen Schwenk auf das Gelände eines Schrotthändlers mit offensichtlich guten Kontakten zum Gerichtsvollzieher biegt, dann steht mensch direkt vor zwei lang gezogenen Zollschuppen, die nur dem ungeübten Auge verlassen anmuten. Zweifelsfrei wegen der komplexen Eigentumslage und dem hohen Sanierungsaufwand wartet diese Bahnbrache auf wahlweise Steuerabschreibung oder Abriß. Und doch verbirgt sich hinter dieser schnöden Fassade einiges Leben. Eine kleine Werkstatt und ein schmaler Strom Gäste. Derzeit verhandeln Aktive des Feinkost-Geländes und einige andere lose wegen einer Nutzungsübernahme. Die Hürden sind zahlreich und der Ausgang noch offen …
Auf dem hinteren Teil dieses Geländes schlug nun das CULDT-Camp 2005 vom 30. April bis 8. Mai seine Zelte auf. Zwar wurde der für sich tote Raum nicht einfach angeeignet, wie einige Überlegungen anregten, aber dann waren alle doch froh, als nach vielen Unwägbarkeiten ein Nutzungsvertrag für die Camp-Woche vorlag. Der war nämlich bis fast ganz zuletzt vakant gewesen, und um alternative Örtlichkeiten hatte sich die Vorbereitungsgruppe nur sporadisch gekümmert. Letztlich hatten alle zusammen den ungeheuren Aufwand unterschätzt, den die Selbstorganisation des Camps, inhaltlich und logistisch, für jeden und jede Einzelne bedeutete, und ein Plan B war wegen der allgemeinen Beanspruchung gar nicht erst ersonnen worden.
Aber die unsichere Lage bezüglich des Geländes war nicht die einzige Belastungsprobe, die das Grüppchen in der Vorbereitungsphase bedrückte. Viele hatten sich vor allen Dingen die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Projekten in Leipzig anders vorgestellt. Aber außer einigen Plenabesuchen von Seiten der Vorbereitungsgruppe war meistens nicht viel mehr herausgekommen. Es wurde im Nachhinein besonders das Klima der Ignoranz gegenüber der CULDT-CAMP-Initiative beklagt – ein Gefühl der Abwesenheit von Solidarität, was wohl nicht nur an der Haltung der Projekte gelegen hatte, sondern auch an einigen Vermittlungsproblemen, wie hinterher eingestanden wurde. Erschwerend hinzu kamen Differenzen zum Organisationsteam des Camps 2004, das via schriftlicher Erklärung eine Stellungnahme zur Duldung des Traumschulprojektes erzwingen wollte und sich schließlich gänzlich von dem Camp in Leipzig distanzierte (1).
Ein weiterer Ernstfall war die Auseinandersetzung mit dem Packpapier-Verlag. Nachdem die Vorbereitungsgruppe von einem vorgeschlagenen Vortrag Hermann Kropps Abstand nahm und das mit inhaltlichen Differenzen und Kritik an der verschwörungstheoretischen Weltsicht Kropps begründete, fühlte dieser sich darin nur bestärkt und vor den Kopf gestoßen, antwortete mit wilden Beschuldigungen und Verdrehungen. Mit diesem Zustand war keiner der InitiatorInnen zufrieden, eine inhaltliche Auseinandersetzung wird derzeit über den Postverkehr angestrengt.
Unabhängig von solchen aufreibenden Konfrontationen war die Mobilisierung in Leipzig selbst eher oberflächlich geblieben und so kam wirkungsvolle Unterstützung nur aus dem Wohnprojekt „Similde“, den Wagenplätzen und der Gieszerstraße 16, ohne die das Camp wohl auch ernsthaft gefährdet gewesen wäre. Obwohl oder gerade weil das Hauptaugenmerk auf der bundesweiten Mobilisierung gelegen hatte, konnte keiner die Enttäuschung verbergen, als am Startwochenende klar wurde, daß nur vereinzelt Leute aus Berlin, Hamburg, München, Dresden oder auch Osnabrück und Marburg den Weg nach Leipzig und zum CULDT-CAMP fanden. Dabei bot die ausgestreckte Halle des Zollschuppens, das anschließende Gelände und die aufgebaute Infrastruktur Platz für hunderte Camp-Willige. Dementsprechend war auch die Stimmung bis auf die Abende etwas surreal. Mensch konnte über das riesige Gelände streunen und traf nur vereinzelt auf kleine Grüppchen und andere Einsame, die sich mit der gleichen Idee herumtrieben.
Trotz dieser grassierenden Ferienlagerstimmung, die das Camp nie ganz los wurde, gab es doch auch einige beachtliche Bestrebungen, die politische Bildung in Theorie und Praxis zu vertiefen, und die angereisten AktivistInnen intensiver miteinander zu vernetzen. Dazu gehörten u.a. Seminare zu linker Theorie & Praxis, Erziehungskritik, Gesellschaftskritik, Anarchismus und Antisemitismus, zu Liebe, Sex und Geschlechterkonstruktionen, Vorträge etwa zum G8-Gipfel, Berichte von vergangenen Aktionen, diverse Workshops, Filmvorführungen und letztlich auch die Beteiligung an den beiden Demonstrationen am 01.Mai und 08.05 (GSO). In den Nächten wurde selbstverständlich auch eine Menge gefeiert und gejamt, zum Bergfest eine der berüchtigten K-60-Parties veranstaltet. Als am Ende der Woche die Abreise ins Haus stand, war so kaum noch Luft, den Abschluß des Camps gebührend zu begießen.
Stark beklagt wurde, daß durch die logistische und organisatorische Beanspruchung für die meisten aus der Vorbereitungsgruppe kaum Zeit blieb, sich an den verschiedenen Workshops und Seminaren mit freiem Kopf zu beteiligen. Ein Umstand, der bei einer zukünftigen Organisierung von derartigen Camps aber auch allgemein unbedingt reflektiert werden sollte. Schließlich steht der Status einer selbstorganisierten Initiative grundsätzlich in Zweifel, wenn es nicht gelingt, die Lücke zwischen Vorbereitungsgruppe und TeilnehmerInnen zu schließen und die Vorbereitungsgruppe auf der Position des Veranstalters verbleibt, die TeilnehmerInnen letztlich nur anspruchsvolle KonsumentInnen sind. Hier besteht eine Menge an Nachholbedarf und weder Regelwahn noch Plena-Feindlichkeit sind besonders konstruktiv, wenn es darum geht, sich gemeinsam zu organisieren und ein Treffen wie das CULDT-CAMP erfolgreich zu gestalten. Organisierung heißt schließlich, sich die Mittel an die Hand zu nehmen, um unter Berücksichtung der individuellen Gestaltungs- und Partizipationsbedürfnisse gemeinsame Ziele zu stecken, zu verfolgen und wenn möglich auch zu erreichen. Verantwortungsübernahme und -verteilung ist hierbei ebenso nötig und wichtig, wie gemeinsamer Interessensaustausch und flache, einsehbare Strukturen. Allein der triviale Fakt, daß die verschiedenen Workshops und Seminare im Vorfeld terminlich schlecht abgesprochen und nicht veröffentlicht waren, hat den Zulauf und letztlich auch die Partizipationsmöglichkeiten etwaiger BesucherInnen enorm behindert.
So hat der Anspruch der Vorbereitung und die damit verbundene, riesige Kraftanstrengung am Ende doch viele enttäuschte Erwartungen zurückgelassen. Bedingt durch die internen Organisationsdefizite, durch die mangelnde Solidarität von außen und der weitestgehend ins Leere gelaufenen Mobilisierung konnten innerhalb der Campwoche keine größeren Aktionen geplant und umgesetzt werden, da war auch ein kurzer Rathausbesuch und Smalltalk mit Arbeits- und Wirtschaftsminister Clement keine Initialzündung. Dementsprechend war die ausgeglichene Kasse am Ende nur ein kleines Trostpflaster und rechtfertigte den minimalen Unkostenbeitrag von 2 Euro (täglich auf Spendenbasis) im Nachhinein.
Erfahrungen dagegen wurden individuell und kollektiv im großen Umfang gesammelt und sollen noch in einem Reader gebündelt der nächsten Vorbereitungsgruppe übergeben werden. Auf der eingerichteten Homepage (www.culdt. de.vu) kann mensch sich derweil an einer kontinuierlichen Fortschreibung der CULDT-CAMP-Initiative beteiligen. Ein Open-Source-Forum bietet Raum für Diskussionen, Anregungen und Kritik. Geplant ist das nächste Camp vorläufig für den Sommer 2006 in Berlin (Kesselberg). Allerdings wird bis dahin noch einiges an Aufarbeitung und Vorbereitung nötig sein und ganz sicher wird in Berlin jetzt schon auf jeden helfenden Arm gehofft. Also, Augen auf und angepackt, so sicher wie der Sommer die Sonne bringt, so sicher entstehen selbstorganisierte Camps mit politischem Anspruch nicht von selbst.
clov
(1) Beim CULDT-CAMP 2004 wurde das Traumschulprojekt mit der Begründung ausgeschlossen, Pädophilie einen „argumentativen Raum“ zu bieten. Nach einer fruchtbaren und konstruktiven Auseinandersetzung mit den Aktiven, konnte dieser Vorwurf aus der Perspektive des Vorbereitungsgruppe 2005 nicht erhärtet werden.
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