Demonstrieren? Hier nicht!

Zum neuen sächsischen Versammlungsgesetz

Die sächsische Landesregierung hatte es offenbar eilig. In beispiellosem Tempo wurde das neue Versammlungsgesetz durch die Instanzen gepeitscht, am 20. Januar wurde es im Landtag durchgewunken. Die im September 2006 beschlossene Föderalismusreform macht es möglich. Mit der darin enthaltenen Neuverteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern wurde auch das Versammlungsrecht zur Sache der Länder. Nach Bayern ist Sachsen nun das zweite Bundesland, das die Chance ergreift und ein deutlich verschärftes Gesetz hinklotzt. Schon in ihrer Koalitionsvereinbarung hatten CDU und FDP eine Novellierung des Versammlungsrechts beschlossen. Eine von der Landesregierung beschlossene Änderung der Geschäftsordnung erlaubte es, das Gesetz im Schnellverfahren durch die Instanzen zu bringen. Die Hektik kommt nicht von ungefähr. Schließlich stand Mitte Februar der Jahrestag der Bombardierung von Dresden vor der Tür. Den reibungslosen Ablauf des alljährlichen bürgerlichen Gedenkspektakels wollte sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition dieses Mal nicht von imageschädlichen Neonaziaufmärschen und antifaschistischen Gegendemonstrationen versauen lassen.

Dieses Interesse macht schon der erste Satz des Ende Oktober 2009 vorgelegten Entwurfs (1) klar: Die Handlungsspielräume für „Extremisten in Sachsen“ sollen deutlich beschränkt werden. Schließlich sei es in den vergangenen Jahren „zu erheblichen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Versammlungen von Rechtsextremisten und Gegendemonstrationen von Linksextremisten“ gekommen. Das Gesetz richtet sich explizit gegen die Teile des politischen Spektrums, die der Landesregierung nicht in den Kram passen. Mit inhaltlichen Differenzierungen zwischen „links“ und „rechts“ hält sich die Regierungskoalition dabei nicht groß auf.

Das geplante neue Versammlungsgesetz soll eine rechtliche Grundlage für Demonstrationsverbote schaffen. Als rechtmäßig gilt ein Verbot zum Beispiel dann, „wenn in der Vergangenheit vergleichbare Versammlungen oder Aufzüge zu einer solchen Gefährdung oder Störung geführt haben“. Weniger schwammig formuliert: Wenn es z.B. schon früher im Rahmen antifaschistischer Aktionen zu Ausschreitungen gekommen ist, können die Behörden unterstellen, dass dies auch bei anderen antifaschistischen Demonstrationen der Fall sein wird. Eine grob über den Daumen gepeilte Risikoeinschätzung seitens der Polizei könnte künftig also genügen, um unerwünschte politische Meinungsäußerungen präventiv zu verbieten.

Wesentlich brisanter ist aber eine andere im Gesetz enthaltene Neuerung: Auch an Orten von besonderer historischer Bedeutung können Kundgebungen künftig verboten werden, wenn diese „die Würde von Personen beeinträchtigen, die unter nationalsozialistischer oder kommunistischer Gewaltherrschaft Opfer menschenunwürdiger Behandlung waren“. Aber auch die Würde von Menschen, die ganz allgemein „Opfer eines Krieges“ waren, soll mit dem Gesetz geschützt werden.

Das betrifft offenbar auch die Opfer der Napoleonischen Kriege von 1813 – so wird als Ort von besonderer historischer Bedeutung auch das Leipziger Völkerschlachtdenkmal benannt. Aber auch „die Frauenkirche mit dem Neumarkt in Dresden sowie am 13. und 14. Februar darüber hinaus auch die nördliche innere Altstadt und die südliche innere Neustadt in Dresden“ werden als Orte von besonderer historischer Bedeutung im Gesetzesentwurf benannt.

Nicht nur den Gegnern von heute, den „Extremisten“ von links und rechts, soll also mit dem neuen Gesetz entgegengetreten werden. Die Landesregierung verfolgt zusätzlich ein geschichtspolitisches Interesse, auch den Gegnern von gestern soll nachträglich noch mal gezeigt werden, was eine Harke ist. Wie üblich bleiben dabei die historischen Fakten auf der Strecke: NS-Regime oder DDR, alles eine Soße… Dass die nationalsozialistische „Gewaltherrschaft“ doch deutlich gewalttätiger war als die kommunistische (man denke an den 2. Weltkrieg und Auschwitz), spielt keine Rolle, wo´s darum geht, die ideologische Lufthoheit der bürgerlichen „Mitte“ abzusichern. Wobei diese Mitte mitunter auch ziemlich weit rechts liegen kann: So legte die sächsische CDU in der Koalitionsvereinbarung Wert auf die Feststellung, man wolle die „Pflege von Kultur und Traditionen der Vertriebenen“ unterstützen (2). Mit dem neuen Gesetz will sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition nun die Dresdner Innenstadt für ein Gedenken nach eigenem Gutdünken reservieren.

Vor lauter Eile kann es dabei schon mal zu Flüchtigkeitsfehlern kommen. So wurde in weiten Teilen einfach der Text des alten Bundesversammlungsgesetzes übernommen, das z.B. erklärt, Demonstrationsverbote seien Sache der zuständigen Behörden. Welche Behörden nun genau zuständig sind, hätte aber im Landesgesetz explizit geregelt werden müssen. Die Stadt Dresden ist also gar nicht befugt, die für den 13. Februar geplanten Neonazidemonstrationen zu verbieten. Zu einem ähnlichen Schluss kam auch das Dresdner Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 5. Februar. Trotz aller Gesetzesänderungen sah das Gericht keine Handhabe, den von der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland angemeldeten „Trauerzug“ zu untersagen (3).

Vermutlich gibt es also noch eine Chance, das neue Versammlungsrecht aufgrund solcher Formfehler zu kippen. Die sächsischen Oppositionsparteien haben bereits entsprechende Klagen auf den Weg gebracht. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die Landesregierung jetzt eilig nachbessert, um das Gesetz in eine juristisch wasserdichte Form zu bringen. Es bleibt die Hoffnung, dass sich breiter gesellschaftlicher Widerstand formiert, um der CDU-FDP-Koalition einen Strich durch die Rechnung zu machen.

justus

(1) edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=286&dok_art=Drs&leg_per=5
(2) www.aussiedler.cdu.de/doc/pdf/Spaetaussiedler_Sachsen_Fromme.pdf
(3) www.linksjugend-sachsen.de/uploads/media/PM_Verwaltungs­ge­richt_DD_Nazi­demo.pdf

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