Denken und Dübeln

„Verdammte Scheiße!“ Du fluchst, während du dich durch diesen Haufen rostigen Metalls wühlst. Wenn du geahnt hättest, wie viel Arbeit es ist, sich eine Identität zusammenzuzimmern… Aus dem Ideologieschrott, der sich über die Jahrhunderte angesammelt hat, ein halbwegs schlüssiges Weltbild zusammenzulöten, ist gar nicht so einfach. Zumal du keine Zeit hast zu überprüfen, wo die Einzelteile herkommen und ob sie wirklich zusammenpassen. Dort ein paar Stücke christliches Gedankentreibgut, schon leicht angegammelt. Ein Brocken Sozialdarwinismus, eingewickelt in einen Rest Sozialdemokratie. Einige Floskeln aus dem Sozialkundeunterricht, damit der Wind nicht durch die Lücken pfeift. Einige Fetzen fernöstlicher Weisheit zur Zierde an den Helm getackert. Noch etwas hemdsärmeliger Rationalismus, damit du nicht vergisst, wo hinten und vorne ist. Passt, wackelt, hat Luft.

Du jagst hier und da noch ein paar Dübel durch, damit dein Kostüm nicht schon bei den ersten Schritten auseinanderfällt, und stiefelst los. Hinaus in eine Welt, von der du bis dato nur weißt, dass sie dir Angst macht. Wichtig ist, dass du selbst an das glaubt, was du da mit dir rumschleppst. Das bist schließlich DU SELBST, das ist deine Identität. Darum geht es: mit irgendwas identisch zu sein. Wenn du das nicht bist, bist du ein Nichts. Und nichts sein willst du nicht, das macht noch mehr Angst als die Welt da draußen. Deine Rüstung klappert laut und quietscht auch ein wenig. „Ich quietsche, also bin ich“, denkst du, auch wenn es nur am Materialverschleiß liegt. Und weiter denkst du: „Aber bin das wirklich ich, der quietscht?“ Dann denkst du lieber nicht mehr weiter.

Denn was käme wohl unter dem vielen Schrott zum Vorschein, wenn du mal nachschauen würdest? Ein lebendes Wesen, mit Augen zum Gucken und einem Hintern zum Kacken? Vielleicht steckt da statt eines Ichs auch nur eine Gasblase, die zischend entweichen würde, wenn du nachguckst. Oder unter dem Schrott verbirgt sich nur noch mehr Schrott, rostige Assoziationsketten, verbogene Zahnräder, die knirschend ineinandergreifen… Manches will man lieber nicht so genau wissen. Das Leben ist eh schon gefährlich genug!

Wenn die Rüstung bloß nicht immer so jucken und kneifen würde… Im Schritt ist sie zu eng (da hat sich ein hartnäckiger Katholizismus festgesetzt), um die Brust herum auch. Oben, wo der Geist sein soll, zieht es unangenehm kühl. Die Beine sind unterschiedlich lang, du humpelst die ganze Zeit. Und bei der Schuhgröße passt auch etwas nicht. Aber nun setzen sich die Zahnräder in deinem Kopf wieder in Bewegung: „Das fühlt sich zwar nicht gut an“, denkst du, „ist aber trotzdem gut so!“ Schließlich wolltest du doch immer etwas Besonderes sein. Ein Original, oder wenigstens was halbwegs Originelles. Und das bist du jetzt ja wohl. Aber hallo!

Der Gedanke hält dich davon ab, unter dem Gewicht zusammenzubrechen oder wahlweise wenigstens mal den Helm abzunehmen und nachzuschauen, was da eigentlich die ganze Zeit so juckt. Man muss zu seinen Idealen stehen, selbst wenn man sie leider an der falschen Stelle festgenietet hat. Und umfallen geht nicht, auch wenn´s bequemer wäre. Die Konkurrenz schläft schließlich nicht. Links und rechts von dir quietscht und klappert es wie wild. „Dabei sein ist alles!“, denkst du verbissen. „Ein Mann muss tun was ein Mann tun muss. Auch wenn´s wehtut!“ Von denen willst du dir doch nicht die Butter vom Brot nehmen lassen!

Dann stößt du mit jemandem zusammen. Ausweichen ist schwer mit diesem Gewicht am Leib, und feige wäre es vermutlich auch. Also scheppert es und setzt Beulen. „Dir ham sie wohl ins Gehirn geschissen!“, fluchst du. „Aus der Bahn, du Vogel!“ Das ist unhöflich, aber du willst ja nach vorne kommen. Optional auch nach oben, zur Sonne, zur Freiheit. Irgendwohin, wo die Luft besser ist. Dumm nur, dass alle anderen da auch hinwollen und somit im Weg stehen.

„Kopf zu, du Krüppel!“, schallt es dir blechern entgegen. „Der Wille zur Macht ist´s, der den wahren Menschen von der Masse unterscheidet!“ Verdammt, ein Nietzscheaner! Da heißt es schlagfertig sein. Du fummelst an deiner Rüstung herum und suchst nach einem geeigneten Brocken, den du dem Typen an den Kopf werfen kannst: „Wer oben oder unten steht, entscheidet man doch nicht selbst! Das ist alles vom karmischen Gesetz geregelt! Und das steht ganz klar auf MEINER Seite!“ Ha, das hat gesessen!

Leider wird der Übermensch jetzt wirklich wütend. „Pah, karmisches Gesetz!“, blökt er zurück. „Das wollen wir doch mal sehen, du Hippie!“ Und schon springt dir der Typ dahin, wo er die Gurgel vermutet. Der Rest versinkt in lautem Geschepper und dem Ächzen geschundenen Metalls. Dieser schlagenden Argumentation hast du wenig entgegenzusetzen. Am Ende ächzt nicht mehr das Metall, sondern du selber, hilflos am Boden liegend. Dein Gegner rammt dir noch einen letzten Aphorismus in die Weichteile, dann hat auch er genug und trollt sich. Du selbst bleibst rücklings hingestreckt, alle Viere in der Luft. Eine peinliche Lage… Hoffentlich sieht dich jetzt keiner! Aber nun setzt sich dein Gehirn mühsam wieder in Bewegung. Da war doch noch was… Genau, das karmische Gesetz! Darauf ist Verlass. Irgendein göttlicher Reparaturdienst ist bestimmt schon unterwegs, um die Dellen in deinem verbeulten Ego auszubügeln und dich wieder auf die Beine zu stellen. Der Gedanke baut dich auf, zumindest innerlich. Alles wird gut! Du bist nicht vergessen. Still schmunzelst du in dich hinein. Wenn du könntest, würdest du dir sogar die Hände reiben. Die ganzen Idioten da draußen… Die werden sich noch wundern, wenn du im Triumph an ihnen vorbeiziehst und nur eine Staubfahne zurücklässt.

(justus)

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