Die Exekutive lässt sich nicht zweimal bitten

„Komplexkontrollen“ gegen Drogen

 

Wenn mensch der Bild-Zeitung glauben will, dann leben die Leipziger Bürgerinnen und Bürger in Angst und Schrecken: „Denn seit Jahresbeginn wird die Stadt von einer nie dagewesenen Serie von 295 (!) Raubüberfällen und Einbrüchen heimgesucht.“ Für den Leipziger Polizeichef Horst Wawrzynski ist ebenso wie für Landespolizeipräsident Merbitz auch ohne große Analyse klar, wo die Ursache liegt: Bei der angeblichen „Wohlfühlpolitik“ der Stadt Leipzig den Drogenabhängigen gegenüber (vgl. FA! 41).

Nach wiederholten Ankündigungen, man müsse jetzt aber mal richtig hart durchgreifen, greift die Polizei nun tatsächlich durch – oder versucht es zumindest. Rund 750 Beamte waren am 15. und 16. Juni im Einsatz, um kuscheliges Sicherheitsgefühl auf Leipzigs Straßen zu verbreiten. So wurde nicht nur ein Asia-Großmarkt im Leipziger Osten durchsucht. Auch vor dem Techno-Club Distillery postierten sich Beamte, um die Besucher_innen zu filzen. Und im Clara-Zetkin-Park patrouillierten Reiterstaffeln, denn wie Polizeisprecher Uwe Voigt der LVZ erklärte: „Im Park sind immer wieder jugendliche Gruppierungen unterwegs, da wird dann auch reichlich Alkohol getrunken.“

Jugendliche sind ja schon als solche irgendwie suspekt, und wer Alkohol trinkt, der raubt irgend­wann auch Schnapsläden aus. Und selbst wenn nicht: Ein wenig präventive Einschüchterung hat noch nie geschadet. Insgesamt wurden bei dieser ersten „Komplexkontrolle“ 2.178 Personen kontrolliert und schließlich 50 Ermittlungsverfahren eingeleitet, u.a. wegen so verabscheuenswürdigen Delikten wie „unerlaubtes Glücksspiel“, „Verstoß gegen das Kunst- und Urheberrechtsgesetz“ oder „Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz“. Laut Bild befreiten die Beamten außerdem „20 Hühner, die in sengender Hitze in einem Auto eingeschlossen waren“.

Das ist immerhin ein kleiner Erfolg, und Hühner sind ja auch sehr liebenswerte Tiere. Aber sollte es bei der Razzia nicht um Drogen bzw. Beschaffungskriminalität gehen? Na gut, auch 14 Ermittlungsverfahren wegen „Verstoß gegen das Betäubungs­mit­telgesetz“ wurden in die Wege geleitet. Aber wer eine grobe Vorstellung davon hat, wie sich der „Drogenmarkt“ aufteilt, kann sich ausrechnen, dass es bei 12 von diesen 14 Verfahren wohl nur um Marihuana geht. Vermutlich aus genau diesem Grund wollte das sächsische Innenministerium lieber keine genauen Angaben machen und erklärte nur vage: „Bei den Einsatzmaß­nahmen wurden bei kontrollierten Personen Substanzen festgestellt, die als Betäubungsmittel in Frage kommen.“ Mehr könne man noch nicht sagen, „da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind“ bzw. das Ergebnis dann doch zu peinlich ist.

Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich: Am 14. Juli kam Leipzig in den Genuss einer weiteren Komplexkontrolle. Mehrere Hundertschaften der Bereitschaftspolizei filzten, was das Zeug hielt. Die Bilanz: Insgesamt 868 Personenkontrollen, 140 Durchsuchungen von Personen sowie 304 Durchsuchungen von Sachen. Last but not least konnten „51 Strafverfahren gegen tatverdächtige Personen eingeleitet und bearbeitet“ werden. „Herausragend dabei insbesondere 29 Ermittlungsverfahren gegen bekannte Täter wegen des Verstoßes gegen das Betäu­bungs­­mittelgesetz.“

Und weil´s so schön war, gab es Anfang September erneut „Schwerpunktkon­trollen rund um die Eisenbahnstraße, den Köhlerplatz und Herderplatz“. Dabei konnte die Polizei laut Eigenauskunft „bei einer Vielzahl der kontrollierten Personen in ihren Bekleidungen bzw. mitgeführten Rucksäcken szenetypische verpackte Tütchen sicherstellen.“ Die Vielzahl bestand dieses Mal aus genau 31 Personen, gegen die ein Verfahren wegen Verstoß gegen das BtmG eingeleitet wurde. Und beim Inhalt der szenetypischen Tütchen handelte es sich (man ahnt es schon) „überwiegend um Cannabis, Marihuana“ sowie „Fluni­trazepam­tabletten“, d.h. Valium. Also offenkundig nicht um Crystal, Crack oder Heroin – sonst hätte man im Abschlussbericht wohl mit stolzgeschwellter Brust drauf hingewiesen. Immerhin konnte man einen 31jährigen Mitbürger um 13 im heimischen Wohnzimmer gezüchtete Marihuanapflanzen erleichtern. Damit sollte es wohl gelingen, die Beschaffungskriminalität der Kiffer-Community nicht nur in den Keller, sondern sogar in den Minusbereich zu senken…

Das nützt aber alles nix, wenn mit butterweicher Sozialarbeit die hübsche polizeiliche Drohkulisse wieder kaputt gemacht wird. Das meint nicht nur Landespolizei­präsident Merbitz, sondern auch die Leipziger CDU: In einem Antrag vom 22. Juni plädierte diese folglich dafür, der Polizei eine vollwertige Mitgliedschaft im Drogenbeirat der Stadt einzuräumen, ihr also über eine rein beratende Funktion hinaus auch ein Stimmrecht zu geben. Dies sei zweckmäßig und notwendig für eine „effektive und zielführende Zusammenarbeit zwischen Stadt und Polizei“. Was die CDU für effektiv und zielführend hält, ist klar: Die städtische Drogenpolitik soll sich künftig stärker an den Vorgaben der Polizei ausrichten – damit die Exekutive auch morgen noch kraftvoll durchgreifen kann.

justus

Lokales

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