Die GroßstadtIndianer (Folge 9)

Tischlein deck dich, Menschlein streck dich – frei nach Schlumpf

Es war einmal ein kleines Häufchen Menschen, die abseits des großen Trubels und doch irgenwie mittendrin ihr karges Leben den ungestümen Naturlaunen abzutrotzen wagten. An sich noch keine Ungewöhnlichkeit. Für sich genommen allerdings überwogen die Ungewöhnlichkeiten derart, daß selbst die tiefsten Gewohnheiten erschaudern mußten. Naja, ich gebe zu, so manche Angewohnheit ließ sich auch durch Außergewöhnlichstes nicht beeindrucken und wohl gerade deshalb oder vielleicht auch völlig unabhängig davon trug es sich zu, daß äußerst gewöhnliche Dinge an einem ungewöhnlichen Ort durch außergewöhnliche Menschen geschahen.

Wann immer Dingen magische Eigenschaften zugeschrieben wurden, beruhte dies auf dem Glauben der Menschen, die schwer Erklärbares nicht kritisch aufklären, sondern sich am blinden Walten von Kräften ausser ihnen ergötzen wollten. Nun ist die kritische Haltung den Dingen gegenüber keine bequeme, denn sie erfordert das Zu- und Eingehen auf etwas, das Nach- und Hinterfragen, aber sie ist nichtsdestotrotz eine notwendige, um die Dinge, wie die Alten sagen, in die Hand zu nehmen. Als Kalle eines Tages auf die Idee kam, wie schön, bequem und frei doch das Leben wäre, wenn mensch ein Tischchen hätte, welches sich, wie im Märchen, jedes Mal von neuem eindecken würde, sofern wir es ihm nur aufgetragen hätten*, mußten Moni und ich über soviel Naivität derart lachen, daß mir ein folgenreicher Einfall kam. Der Spötter kann dem naiven Gedanken nicht fliehen und wir ersannen einen Plan. Zuerst mußten wir Boris überzeugen, uns einen Tisch zu zimmern, der nicht zu groß und nicht zu klein, nicht zu neu und nicht zu alt war. Als Moni ihm erzählte, wie wir Kalle an der Nase herumführen wollten, grinste er verschmitzt nach Boris-Art und kramte nach einigem Suchen eine Tischruine aus dem Holzlager. Er versprach, ihn bis zum nächsten Tag wieder herzurichten. Als nächstes mußten wir Finn überzeugen. Er teilte sich schließlich mit Kalle eine der Wohnungen im Haus, und wir würden ihn brauchen, damit der Schwindel nicht all zu schnell aufflog. Die Überzeugungsarbeit überließ ich getrost Moni. Finn konnte ihr einfach nichts abschlagen und war zudem immer für solche Späße zu haben. Nun fehlte nur noch jemand, der Kalle den Tisch zukommen ließ, ohne daß er Verdacht schöpfte. Unsere Wahl fiel auf Oma Lotte. Kalle hatte ihr versprochen, am nächsten Tag ihren Dachboden aufzuräumen. Eine gute Gelegenheit. Charlotte Götz war zwar skeptisch, versprach aber, Kalle den Tisch zu überlassen, falls er danach verlangte und seine wahre Herkunft zu verbergen. Wir deponierten das Tischchen auf dem Dachboden, an die Unterseite hatten wir eine Quasi-Gebrauchsanweisung geheftet: „Dieses Tischlein-deck-Dich ist nur für den Nachtgebrauch bestimmt. Vor dem Einschlafen den magischen Vers: ‚Tischlein, liebes Tischlein, deck Dich in der Nacht brav ein‘ dreimal wiederholen und der Besitzer kann sich am nächsten Morgen an den köstlichsten Speisen und Tränken laben.“

Der Plan ging voll auf. Ich beobachtete am darauffolgenden Tag vom Ausguck, wie Kalle abends mit unserem Tisch auf den Schultern in seine Wohnung schlich. Später dann tauchte Finn in der Küche auf und grinste über beide Ohren. „Stellt euch vor, er hat sich eingeschlossen, vor den Tisch gekniet, ganz komische Verrenkungen gemacht und sage und schreibe neunmal ‚Tischlein, liebes Tischlein, deck Dich in der Nacht brav ein.‘ gesäuselt, in unterschiedlichen Tönen, versteht sich.“ Finn zwinkerte, „Aber jetzt schläft er, laut schnarchend.“ Wir machten uns daran, ein Tablett mit allerlei Köstlichkeiten und einem frischen Tischtuch zu füllen. Dann folgten wir Finn leise in die Wohnung. Er schloß Kalles Zimmer auf und wir breiteten das Tuch mit dem ganzen Futter auf dem Tisch aus. Als wir dann noch vergnügt bei einem Gläschen eigenem Obstler zusammensaßen, versprach Finn, während Kalles obligatorischem Klogang am Morgen, alles wieder abzuräumen, um den „magischen Effekt“ noch zu verstärken. An Kalles Verhalten am nächsten Tag konnten wir ablesen, wie sehr er in unsere Falle getappt war. Er machte die ganze Zeit seltsame Anspielungen und seine Überheblichkeit penetrierte derart, daß ich nah daran war, ihm alles zu eröffnen. Doch Moni hielt mich zurück und wir beschloßen, das Spiel noch einmal zu wiederholen. Nach seinem zweiten mystischen Erlebnis war Kalle von den magischen Fähigkeiten seines Tischchens so überzeugt, daß er uns einweihte. Am Abend bestellte er alle in sein Zimmer, sprach den Vers, jetzt nur noch dreimal, und versprach uns für den nächsten Morgen ein üppiges Frühstück. Unsere skeptischen Bemerkungen und ungläubigen Gesichter ließen ihn vollkommen kalt. In dieser Nacht rührten wir selbstverständlich keinen Finger. Als wir uns am Morgen trafen, stürmte Kalle mit puderotem Gesicht durch die Wagentür und keifte völlig entgeistert: „Schöne Freunde seid ihr! Beklaut habt ihr mich!!! Finn, Du steckst da auch mit drin! Das vergeß‘ ich euch nicht!! Da könnt ihr einen drauf lassen! Ihr, ihr … ihr seid nichts als Seeteufelschiß!“ Die Tür flog mit einem lauten Knall zu und Kalle war verschwunden. Finn machte ein Gesicht, als hätte er seine Zahnbürste verschluckt. Moni versuchte, sich das Lachen zu verkneifen. „Da haben wir ja was angerichtet. Und nun?“ Die beiden hefteten ihre Blicke auf mich. Ich zuckte mit den Schultern. „Am besten erzählen wir ihm alles.“, sagte Moni und Finn nickte hilflos zustimmend. Gesagt getan. Naja nicht ganz. Kalle hatte sich den ganzen Tag in seinem Zimmer eingeschlossen und es dauerte eine ganze Weile, bis wir ihn alle zusammen überzeugen konnten, uns anzuhören. Als er dann auf den Hof trat und wir ihm alles erklärten, sah er uns erst einen Moment versteinert an, spannte dann seine Mundwinkel, griff an den Jutesack, den er sich merkwürdiger Weise an den Gürtel geschnallt hatte und schrie „Knüppel aus dem Sack!“. Noch eh wir uns versahen, sprang ein Stück Holz heraus und hüpfte vor uns auf und ab. Wir stoben in wilder Panik auseinander, während sich Kalle vor Lachen bog. Feixend schrie er uns hinterher: „Ihr seid wohl abergläubisch was?“ – Und die Moral aus der Geschicht‘, Selbstzufriedenheit lohnt nicht. –

clov

(Fortsetzung folgt…)

* für Trekkis sei an die Replikator-Problematik erinnert

Lyrik & Prosa

Schreibe einen Kommentar