Don’t Super Size Us!

Degrowth als Chance eines gesellschaftlichen Wandels.

Es gibt so einige Annahmen, die mensch das ganze Leben mit sich führt und nie von selbst aus hinterfragt, als ob sie bei Geburt eingepflanzt worden wären. Und je länger sie sich festwachsen, desto überraschter ist mensch vielleicht, wenn diese konventionellen Denkweisen einfach mal angezweifelt werden. Die (Internationale) Degrowth-Konferenz (für ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit), die vom 2. bis zum 6. September in Leipzig stattfinden wird, könnte der Anfang eines Trends sein, der unser wirtschaftliches Denken und Handeln langfristig verändern wird. Wie oft findet man doch Bestandsaufnahmen und Prognosen verschiedener nationaler und transnationaler Organisationen zum Wirtschaftswachstum, wie oft hört man doch Forderungen und Versprechungen höheren Wachstums in den Medien. Das Bruttoinlandsprodukt ist in unserer Gesellschaft für die meisten ein Seismograf für die Qualität zukünftiger Lebensbedingungen. Mehr Wachstum = unbedingt wünschenswert, weniger Wachstum = katastrophal. Welche_r Politiker_in würde sich nicht lächerlich machen und öffentlichen Spott auf sich ziehen, wenn er oder sie mit dem Versprechen auftreten würde, für weniger oder gar negatives Wachstum zu sorgen?
Den Problemen, die mit ständigem Wachstum einhergehen, wird in den Medien eher nur nebenbei Beachtung geschenkt. Der erste Aspekt, der einem in einem Zeitalter wachsenden Umweltbewusstseins einfallen mag, ist der der ökologischen Nachhaltigkeit. Steigendes Wirtschaftswachstum setzt als Bedingung immer voraus, dass genügend Rohstoffe vorhanden sind, die sich zu Zwischen- oder Endprodukten verarbeiten lassen und beim Verkauf einen Profit ergeben können. Je wirtschaftlich fortgeschrittener eine Gesellschaft ist, desto mehr Ressourcen müssen darauf verwendet werden, das materielle Niveau zu halten und noch zu steigern. Kann das gutgehen?
Es werden schon jetzt bereits kontroverse Debatten darüber geführt, ob einige für die Entwicklung von Volkswirtschaften essentielle Rohstoffe in baldiger Zukunft zuneige gehen könnten. Die bekannteste wäre die um Peak Oil. Die These: Die Menge verfügbaren rohen Öls sinkt auf ein Niveau herab, auf dem die Anforderungen heutiger wirtschaftlicher Notwendigkeiten nicht mehr erfüllt werden können. Die Folge wäre die, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt (der vielleicht schon jetzt erreicht ist) die Ölfördermenge nur noch fallen würde. Nicht nur bei Öl, das sowohl als Treibstoff als auch in vielen industriellen Erzeugnissen mitverwendet wird, stellt sich dieses Problem. Wertvolle Mineralstoffe und z.B. auch Uran sind ebenso von dieser Problematik betroffen und es ist ungewiss, ob erneuerbare Energiequellen rechtzeitig und effizient genug die Leistung der alten nicht-erneuerbaren wettmachen können. Auch fruchtbare Landflächen könnten in naher Zukunft knapp werden, wenn immer größere Plantagen dafür verwendet werden, Futter für Nutztiere zur Herstellung von tierischen Produkten und Tierfleisch zu produzieren.
Niemand weiß genau, was passieren würde, wenn ohne geeignete Ersatzmaterialien die Rohstoffquellen unserer Industrieproduktion versiegen würden. In dem Maße, wie heute wirtschaftliche Akteure regional, diese Regionen wiederum national und diese Nationen international und global voneinander abhängig und vernetzt sind, würden die Folgen sich überall schnell bemerkbar machen. Entweder die Menschheit pegelt sich auf das neue Niveau ein und nimmt in Anbetracht der Lage ein Schrumpfen der Wirtschaft hin, oder es käme zum verstärkten Wettkampf um die übrigen Schätze der Erde. Angesichts des globalen Konkurrenzsystems, in dem sich sowohl Nationen als auch transnationale Konzerne das meiste voneinander abringen wollen, wäre die letztere Möglichkeit wohl die wahrscheinlichere. Wenn die Peak-Theorien recht haben, geht es nicht um die Frage, ob wir negatives oder Nullwachstum hinnehmen wollen, sondern ob wir dies jetzt gemeinsam planen und durchführen oder uns in der Zukunft den riskanten und desaströsen Folgen stellen.
Und selbst wenn kein unmittelbarer Mangel droht, können die sozialen, menschlichen und ökologischen Kosten größer sein als der Nutzen, der durch das Abbauen und die wirtschaftliche Verwertung jener Rohstoffe erreicht werden soll. Mensch denke nur an die Vermüllung, Verschmutzung und Verpestung immer größerer landschaftlicher und ozeanischer Flächen, die zweifelhaften Folgen neuerer Gasfördermethoden wie dem Fracking, den anscheinend nicht mehr abzuwendenden Klimawandel mit seinen dramatischen und fatalen Konsequenzen und die Zerstörung der Lebensräume nativer Einwohner und indigener Bevölkerungen, aber auch der einer Vielzahl von Tieren. Die Leidtragenden sind also nicht nur wir selbst, sondern auch andere Lebenswesen und Menschen, denen wir uns mit unserem unverantwortlichen Wachstum bestenfalls fahrlässig, im schlimmsten Fall gar kriminell gegenüber verhalten. Ich möchte jedoch nicht den Eindruck erwecken, dass Wachstumskritik und Ent-Wachstum nur eine notwendige und schmerzhafte Reaktion auf die destruktiven Folgen des modernen Industrie- und Dienstleistungskapitalismus sein muss. Es geht auch um den zivilgesellschaftlichen Aspekt, also um die Frage: Was wollen wir selber? So wie es steht, ist das Wort „Wirtschaftswachstum“ geradezu ein Befehl, dem mensch als wirtschaftliches Subjekt geradezu verdonnert ist zu folgen. Wer dem nicht Gehorsam leisten will, um den ist es allgemein schlecht bestellt. Wer nicht so viel lohnarbeiten will, wie er es muss, der muss schnell damit rechnen, vom freien Markt und damit von seiner materiellen Selbsterhaltungsbasis getrennt zu werden. Wer gar nicht arbeiten will, muss mit Schikanen und dem Ruf eines „Schmarotzers“ leben. Das hört sich natürlich mehr nach Arbeits- als nach Wachstumskritik an. Ich denke jedoch, dass beides ziemlich eng miteinander verknüpft ist.
Wem kann man diese strenge Arbeitsethik anlasten, wenn nicht dem geradezu zwanghaften Verlangen, so viel Wachstum, wie möglich aus der arbeitsfähigen Bevölkerung auszuquetschen? Ob diese Wirtschaftssteigerung tatsächlich sinnvoll ist, in einer Verbindung mit unseren eigenen Bedürfnissen und unserem Wohlbefinden steht, wird da nicht gefragt. Brauchen wir z.B. wirklich das Wachstum in der Werbungs- und Marketingbranche, in der selbsternannte „Experten“ und „Kreative“ der Gewinnung von noch so kleinen Marktanteilen wegen uns immer dümmere Produktpropaganda vor die Nase setzen und uns glauben lassen, dass wir Standardprodukt x unbedingt brauchen und sogar noch viel mehr als Standardprodukt y? Brauchen wir eine immer größere Produktion von trivialen Konsumgütern, die als Quasi-Opiate den eintönigen kapitalistischen Alltag erträglich machen sollen, wenn die meisten Menschen sich vielleicht ein Leben wünschen, das mehr Authentizität und Freiraum für eigene Entfaltung beinhaltet? Wollen wir immer mehr Bereiche des Lebens verwirtschaftlichen und der marktwirtschaftlichen Arbeitsteilung preisgeben, die wir mit etwas mehr Zeit vielleicht auch einfach selber bewerkstelligen könnten?
Obwohl ich durch meine Wortwahl und meine suggestiven Fragestellungen meine Ansichtsweisen schon verraten habe, will ich nicht meinen, dass sie die richtigen sein müssen. Es sind aber solche wichtige Fragen, die sich uns in der Öffentlichkeit aufdrängen müssten, es leider aber umso weniger tun. Es soll natürlich auch nicht gesagt werden, dass Wachstumskritik automatisch kapitalismuskritisch wäre. Es gibt mehrere Strömungen der Mainstream-Wirtschaftswissenschaften, die meinen, Wirtschaftswachstum sei eben nicht das Fundament, sondern nur einer der Balken des Marktwirtschafts-Hauses, das mensch entfernen kann, ohne das ganze Gebäude einstürzen lassen zu müssen. Ob Ent-Wachstum automatisch auch Kapitalismuskritik beinhaltet ist eine schwierige theoretische Frage, die nicht so leicht beantwortet werden kann. Es fällt jedoch auf, dass die Probleme, die mit der Vorherrschaft des Wachstumsgebots einhergehen, die selben sind, mit denen sich auch Kapitalismuskritiker beschäftigt haben,
Es bleibt auch offen, ob Wachstumskritik effektiv z.B. mit der Kritik der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung oder der hierarchisierten und mit stillen Zwängen bestückten Arbeitskultur verbunden werden kann. Welche Richtung die Bewegung, die mit Begriffen wie „Nullwachstum“, „Ent-Wachstum“ und „Postwachstumsökonomie“ auf sich aufmerksam macht, letztendlich beschreiten wird, ist noch unklar. Es bleibt daher abzuwarten, welche Stoßrichtung ihre Mitglieder ihr letztendlich geben werden.

Alphard

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