Interview mit Betty Pabst
FA!: Wie kamst Du auf die Idee, die Flüchtlingsheime in Leipzig zu fotografieren?
Betty Pabst: Ich hatte schon zu meiner Zeit in Offenbach zwei verwandte Projekte: einmal habe ich den Alltag in einem Frauenhaus fotografiert, und als Vordiplomarbeit die Situation von blinden und sehbehinderten Migranten. Ich hatte den Wunsch, mich mit diesem Thema explizit auseinander zusetzen und habe mich erstmal auf die Suche nach Organisationen begeben, die sich mit dem Thema beschäftigen. Später habe ich begriffen, dass Ausschluss, und somit auch Lager als solche, unserem Gesellschaftssystem immanent ist, und kein „Ausrutscher“ oder bloße Reaktion auf eine Notsituation.
FA!: Wie verlief die Kontaktaufnahme?
BP: Über den Flüchtlingsrat in Leipzig habe ich die Sozialarbeiterin in der Raschwitzer Straße kennen gelernt. Sie hat mir Kontakt zu Flüchtlingen vermittelt und mich einigen vorgestellt. Ich habe erst alles Mögliche fotografiert, später, als ich schon intensiveren Kontakt zu einzelnen Personen hatte, durfte ich auch Porträtaufnahmen machen. Wir haben auch viel geredet und ich habe zu Fragen des Asylrechts in der EU, Lagersysteme und Abschieberegelungen gelesen.
FA!: Wie hast Du die Probleme der MigrantInnen wahrgenommen?
BP: Ein zentrales Problem, in das sie gezwungen werden, ist die Isolation. Das, was von ihnen lautstark verlangt wird, die Integration, wird verhindert, weil ihnen der Kontakt zu Menschen außerhalb des Lagers so erschwert wird. Über das Leben der Flüchtlinge wird vom Staat verfügt, einfache Dinge des Lebens, wie z.B. die Bewegungsfreiheit und die eigene Versorgung wird in den Lagern organisiert. So gibt es z.B. die Residenzpflicht, die besagt, dass Asylsuchende nur nach vorheriger amtlicher Erlaubnis den Ort ihrer Residenzpflicht verlassen dürfen. Der Antrag dafür kostet hierzulande 10 €, bei 40 € Bargeld im Monat extrem viel. Anträgen, zu Familienmitgliedern ziehen zu dürfen, wird oft nicht stattgegeben. Die psychologische Belastung der Menschen im Lager schien mir enorm zu sein.
FA!: Die Fotos, welche Du im Kuhturm ausgestellt hast, vermitteln ja vor allem Eindrücke von den geräumten Flüchtlingsheimen. War das von Anfang an so geplant?
BP: Eine Idee war, die Leute an Orten ihrer Zukunftswünsche zu fotografieren. Das waren oft erträumte Arbeitsstellen. Ich wollte keine falschen Schlüsse zulassen, daher habe ich diese Idee verworfen. Auch die Porträts allein schienen mir wenig aussagekräftig. Ein wichtiger Teil meiner fotografischen Arbeit sind jedoch auch Bilder von Fotos an den Zimmerwänden. Diese Portraits habe ich von den Menschen gemacht und einige haben sie sich an die Wand gehängt. Diese Orte habe ich fotografiert. Das schien mir eine gute Metapher für den Zwischenzustand, in den die Leute gezwungen werden und der ja oft Jahre andauert. Überhaupt habe ich lange gebraucht, um die Situation wirklich zu begreifen, um sie zu fotografieren, und ich arbeite weiter daran.
FA!: Was soll dann der Betrachter für Impressionen erhalten, wenn er nur die leeren Räume abgelichtet sieht?
BP: Ich möchte keinen Schockeffekt erzielen, sondern wollte den Zustand des Wartens, ausharren Müssens festhalten. Ich fand es interessanter, die begrenzten privaten Räume zu zeigen, das Provisorium, in dem kein persönlicher Bezug vorhanden ist. Die Frage finde ich schwierig, weil die Betrachter ja nicht nur die leeren Räume sehen, sondern auch die vermittelten Portraits.
FA!: Ist das Thema nicht viel zu komplex? Kann man das mit einem guten Dutzend Stillleben ausdrücken?
BP: Das ist natürlich schwierig. Worum es mir geht ist, einen Einstieg zu schaffen, um sich eventuell weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Fotos können meiner Meinung nach auf einer sensitiven Ebene ansprechen, Gefühle und Irritationen auslösen, die im besten Fall dazu führen, über ein Thema mehr wissen zu wollen. Wie gesagt, arbeite ich weiter daran und will in Zukunft auch mehr Text einfließen lassen, denn Fotos können nicht viel von den Zusammenhängen erklären. Und ich finde jetzt wichtig, ganz konkret zu werden.
FA!: Werden den Flüchtlingen grundsätzliche Rechte abgesprochen?
BP: Natürlich! Es ist entwürdigend, überhaupt an diesem Ort festgehalten zu werden, das Essen eine Woche im Voraus bestellen zu müssen, videoüberwacht zu werden, jede Bewegung über die Stadtgrenzen hinaus beantragen zu müssen, keine Verfügungsgewalt über die Räumlichkeiten zu haben. Zum Beispiel sind dadurch auch Polizeirazzien ohne Durchsuchungsbefehl möglich. In Ausreisezentren wie etwa Halberstadt bleiben den Flüchtlingen noch weniger Rechte, und umso mehr wird Druck auf die Menschen ausgeübt, Deutschland zu verlassen.
FA!: Hast Du denn ein zufrieden stellendes Feedback erhalten?
BP: Einerseits haben sich innerhalb der Ausstellung gute Gespräche entwickelt. Je nachdem, ob Leute schon vorher mit dem Thema in Berührung gekommen sind, oder sogar selbst in einem Asylbewerberlager waren oder dort gelebt haben, konnten sie in den Fotos mehr sehen, als nur das, was ich abgebildet habe. Andererseits habe ich festgestellt, dass ein Raum, der erstmal „Kunst“ verspricht, durchaus für viele Leute Hemmschwellen bereithält, ihn überhaupt zu betreten. Es wäre also sinnvoller, dieses Thema im öffentlichen Raum zu platzieren. Ich suche nach Orten, die zwar öffentlich sind, aber eben auch genug Ruhe und Raum bieten, um sich auf Bilder und Text einzulassen, nachzudenken und zu diskutieren.
FA!: Wie wird es weitergehen?
BP: Wir, d.h. Eva Winckler, ich [und hoffentlich noch weitere Autor/innen] arbeiten daran, eine Auswahl an Fotografien und Texten als Buch zu veröffentlichen. Auch um der Komplexität des Themas mehr gerecht werden zu können. Außerdem arbeite ich weiter an einem Ausstellungskonzept, dass wie schon erwähnt, eher im öffentlichen Raum seinen Platz finden wird.
bonz
Betty Pabst ist 30 Jahre alt, durchlief von 1996 bis 1998 eine Ausbildung zur Fotografin, absolvierte anschließend das Grundstudium in visueller Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach und seit Oktober 2004 ihr Hauptstudium in Fotografie an der HGB Leipzig. Von November bis Dezember 2006 stellte sie Fotografien aus den Leipziger Flüchtlingsheimen unter dem Titel „Wartezimmer“ in der Kuhturm-Gallerie aus. www.bettypabst.de
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