Eine Aktivistin kommt selten allein

oder: Es lebe der Ausnahmezustand!

Dabei und aktiv sein

Zieht man die Studiproteste von 2001 gegen den Beschluss der heute noch andauernden Stellenkürzungen und der Sächsischen Hochschulentwicklungskommission heran und vergleicht sie mit den konstruktiven Streiktagen 2004, fallen zwei Sachen auf. Während der StudentInnenRat 2001 versuchte die Proteste unter seiner Kontrolle zu behalten (ein gegründetes Komitee – AG gegen Stellenkürzungen, sollte eine StuRa-AG sein), hielt sich positiverweise der StuRa dieses Mal weitgehend zurück, er überließ es dem Streikkomitee sich selbst zu organisieren und zusammen mit der Vollversammlung den Ablauf zu beschließen.

Der zweite Punkt ist die Anzahl der AktivistInnen (also Leute, die Demos, Aktionen, Infrastruktur organisieren und nicht nur als Statisten mitlaufen): diese würde ich im Januar 2004 auf mindestens 250 schätzen, dabei ist natürlich auch der Grad der Involvierung unterschiedlich und auch nicht alle waren im Streikkomitee organisiert. Im gesamten Verlauf des Streiks waren immer zwischen 30 und 100 Studierende bei Streikkomitee-Plena anzutreffen, die zudem noch stark fluktuierten, was einige Probleme hinsichtlich der Kontinuität mit sich brachte (wenn das Mittwochsplenum nicht mehr wusste was das Montagsplenum für dieses geplant hatte oder manche Diskussionen dreimal wiederholt werden mussten). Daneben waren noch einige Fachschaftsräte, die Angry Strike- Gruppe, CinemAbstruso und viele Einzelpersonen aktiv.

Zustand der Ausnahme

Ein "Streik", auch ein "konstruktiver", ist eine Zeit des Ausnahmezustands, eine Zeit vielschichtiger Aktivitäten, von vielfältigen Selbstorganisierungen und unzähligen Diskussionen. Ein zentraler und äußerst bedeutender Punkt ist die stattfindende Aneignung des universitären Raumes durch die Studierenden und damit die zumindest prinzipielle Öffnung anderen gesellschaftlichen Gruppen gegenüber. Dies könnte für eine Kommunikation mit anderen vom Sozialabbau betroffenen noch stärker genutzt werden. So wird ein Raum, der dazu konzipiert ist, daß Menschen funktionieren, menschlich. Das Streikcafé z.B. ist ein gutes Beispiel für die Selbstorganisierung des eigenen Lebens, und das innerhalb kürzester Zeit. Hier wurde viel diskutiert, aktiviert, entspannt und pleniert. Nach dem Abbau Ende Januar blieb ein kalter Raum und eine gewisse Traurigkeit zurück. Es war halt nur der Ausnahmezustand und noch keine Universität die sich an menschlichen Bedürfnissen orientiert.

Die Streiktage waren Tage sozialer Bewegung, mit Aktionen genauso wie der Meinungsbildung und der Reflektion der eigenen Situation. Jede Auflehnung und Infragestellung des Bestehenden, die mit einer nicht-vorschriftsmäßigen und sich spontan aufbauenden Aktivität einhergeht (der Streik steht schließlich nicht in der Studienordnung), birgt eine eigene soziale Dynamik in sich. Diese zeichnet sich durch Dezentralität und Unkontrollierbarkeit von Autoritäten und institutionalisierten Vertretern aus. Wenn selbst das Streikkomitee partiell den Überblick verlor, so ist das kein Zeichen von Schwäche sondern von Stärke. Denn nur wenn es diese soziale Dynamik gibt, besteht überhaupt die Chance, den weniger angepassten Zielen näherzukommen. Die Aufgabe des Streikkomitees sollte es deshalb sein, Eigenaktivität zu fördern und dafür eine Plattform zu bieten (Möglichkeit Flyer zu kopieren, offene Presseplattform, Gewinnung weiterer Leute für eine Aktion, Infomaterial/Bibliothek etc.). Es sollte sich vor allem davor hüten, durch Kontrollverlustängste die Eigendynamik zu ersticken oder gar interne Hierarchien auszubilden. Wer alles steuern will, wird alles kaputt machen. Natürlich sollte es dabei nicht auf eigene Inhalte und Aktionen verzichten.

Und in Zukunft?

Bleibt die Frage nach der Perspektive über den Ausnahmezustand hinaus. Verstreuen sich dann alle wieder und isolieren sich in ihrer studentischen Funktion? Fällt die kurzzeitige Erweiterung der Möglichkeiten dem Vergessen anheim und weicht dem Tunnelblick Studium, Arbeit, Rente? Oder entscheiden sie sich für eine längerfristige Organisierung? Wird sich hier der Illusion der Partei und des Parlamentarismus ergeben oder bleibt es dabei, sich wie im Streikkomitee (oder in anderen Formen) basisdemokratisch und vor allem selbst zu organisieren und diese Alternative auch für die Zukunft stark zu machen?

kater francis murr

Bildung

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