Entschlossen heilsamen Druck erzeugen

Viel Aufhebens wurde um den Bologna-Prozess nicht gemacht, obwohl er einigen Konfliktstoff birgt – oder gerade deswegen? Vom 18. bis 19. September fanden in Berlin die Bildungsministerkonferenz und das European Education Forum statt …

Schlecht besucht war das erste Europäische Bildungsforum (EEF). Keine 400 Menschen hatten sich versammelt, um „eine offene Diskussion über europäische Bildungspolitik“ (EEF) zu führen. Gewiss lag das auch an der Mobilisierung, die offensichtlich kaum über’s Internet hinaus kam. Die rar platzierten Plakate des Forums schmückten nur Universitätsgebäude, die Bildungssyndikate in der FAU verzichteten ganz auf solch „antiquierte“ Formen der Kommunikation.

Jene, die sich doch versammelt hatten, verloren sich schier im weitläufigen Gelände der Humboldt-Universität. Dass es kaum gemeinsame Ansätze zwischen den Anwesenden gab, verstärkte diese geographischen Impulse. Das Spektrum der „Workshops“ reichte von der romantischen „Studentenrevolte 68“ über eine abstrakte „Alternative europäische Gewerkschaftsbewegung im Bildungssektor“ bis zum mikrokosmischen „neuen Numerus Clausus an Berliner Hochschulen“. Auch in der Haltung zum Bologna-Prozess selbst taten sich in der Opposition beachtliche Gräben auf – divergierende Interessen.

Vor allem die TeilnehmerInnen aus Frankreich (SUD Education) und Italien (UNICOBAS Scuola) stellten sich gegen den Bologna-Prozess und wollen das Hochschulwesen nicht allzu eng angebunden wissen an die „Bedürfnisse“ der Wirtschaft. Währenddessen zeigten andere – darunter Mitglieder von Attac und Jusos – durchaus „Dialogbereitschaft“. Die gar nicht so radikale SUD war von diesen seichten Tönen wohl ziemlich überrascht – und enttäuscht. Die Basis, von der die Gegenaktivitäten ausgingen, war und ist noch allzu schmal. Deshalb waren die meisten „Workshops“ auch eher Vorträge als internationale Planung und Kooperation. Aufgrund der mangelnden Mobilisierung fanden diese Vorträge zudem noch wenig Publikum – nicht anders erging es den Bildungssyndikaten aus Berlin und Leipzig.

Dabei sind die Vorhaben der Oberen gar nicht ohne: wie bereits in Feierabend! #8 dargelegt, geht es um die striktere Ausrichtung und weitgehendere Integration der Hochschulen am Arbeitsmarkt und in die direkte wirtschaftliche Verwertung. Die Zweiteilung des Studiums will man „noch energischer vorantreiben“ (E. Bulmahn). Der erste Zirkel, Bachelor (BA), soll den Zugang zum zweiten (Master, MA) sichern, logisch. Aber nur der limitierte MA eröffnet die akademische Laufbahn – Regelabschluß soll der beruflich orientierte Bachelor werden. Binnen zweier Jahre sollen BA/MA flächendeckend eingerichtet sein – endgültiger Torschluss ist 2010. Das muss ein grandioses Jahr werden … universale Agenda, neue Rente, moderne Bildung, effiziente Gesundheit, besiegte Arbeitslosigkeit und und und!

Etwas verschwommen noch, preisen die Minister BA/MA als angemessen für Forschung und Arbeitsmarkt – doppelter Nutzen in einem Konzept, wie praktisch! Diese Kombination verbessere die Fähigkeit „Europa[s] zu Spitzenleistungen in Forschung und Innovation“ – damit dabei auch alle (Studierende, Profs, Unis) mitmachen, werden bis 2005 umfassende „Evaluationsverfahren“ (man kennt das aus der Schule: Zensuren) und eine europaweite Hierarchisierung (ENQA) etabliert. „Das erzeugt den heilsamen Druck, der helfen wird, das Ziel in 2010 zu erreichen.“ Gleichzeitig betonen die Minister die breite Basis, auf der ihre Initiative gründet: Rektoren, Universitäten, Studierende, Wirtschaft, Staaten weit über die EU hinaus, … Druck und Basis, kein Widerspruch? Ein Sprichwort: Bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt – und wenn es administrative Gewalt ist. Wenn sich die Zahl der BA-Studierenden seit 1999 auch vervielfacht hat, so reicht das nach Einschätzung des Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) noch nicht aus. „Solange es das Nebeneinander in ganzer Breite gibt, wird es uns nicht gelingen, die europäischen Abschlüsse […] zu vermitteln“ – nun geht es darum, Alternativlosigkeit zu schaffen. So funktioniert Politik! Klare Signale, wie HRK-Präsident Gaethgens sie fordert, tun ein übriges: Hochschulausgaben hätten als Investitionen, nicht als Konsum zu gelten. Die erfolgreiche Umdeutung von Bildung zu Kapital in Form des „Akkumulierungssystem[s]“ ECTS, der gesamte „Bologna-Prozess steht und fällt mit der Qualitätssicherung“. Ebenso unverblümt äußert sich der Bund der Deutschen Industrie (BDI) auf seiner Konferenz in Berlin (22.9.): Ziel moderner Bildungspolitik müsse die »Ökonomisierung des Wissens“ sein … und das habe sich die EU mit dem Bologna- Prozess gesteckt. Das European Credit Transfer System (ECTS) stellt den Bildungsgang in Punkten dar, die man sammeln, akkumulieren kann. Durch diese Formalisierung wird „Bildung“ nicht nur enger angebunden an eine zeitnahe Verwertung, sie wird dem Geld auch immer ähnlicher.

Sowohl EEF als auch EU entbehren einer aktiven gesellschaftlichen Basis, und müsssen daher auf politischen Mechanismen setzen, um die Gesellschaft zu beeinflussen. Aber Passivität und Politik bilden einen Kreislauf, den es zu durchbrechen gilt!

A.E.

Bildung

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