Ertrunken im Sumpf der Bürokratie

Wasserversorgung zwischen Menschenrecht und EU-Konzessionsrichtlinie

Es war das Jahr 2009. Ich, schnuckelige achtzehn Jahre alt, saß in der Politikstunde und setzte mich mit der UNO und der EU auseinander. Mit den vergehenden Stunden lernten wir die UN-Charta und so auch die Menschenrechte kennen. Naja, in der auch festgehalten ist, dass ein_e jede_r ein Recht auf Leben hat (Artikel 3) und auch auf Nahrung (Artikel 25) und in weiteren Artikeln ist indirekt erklärt, dass dem Menschen kein Wasser versagt werden darf. (1) Und ja, ich weiß, einen Artikel über Wasserprivati­sierung mit den Menschenrechten anzufangen ist viel­leicht polemisch und dennoch:

Ich war damals schon wütend, dass die Menschenrechte so oft missachtet werden. Und im gleichen Jahr lernte ich auch etwas über die „Neuen Kriege“ und „Konflikte um das blaue Gold“ mit Beispielen aus Nord- und Lateinamerika sowie Afrika und Asien. Doch dass man in der EU mal auf den Gedanken kommt, Wasser als eine Handelsware zu sehen und diese somit EU-weit zu privatisieren? Damit habe ich nie gerechnet – ich weiß, ich war naiv.

Aber wovon rede ich eigentlich? Viele von euch haben es wahrscheinlich schon mitbekommen. Das Thema wird viel diskutiert. Rund­mails, Social-Community-Netzwerke, verschiedenste Medien, Fernsehen – nein, eigentlich alle Medien haben in letzter Zeit davon berichtet: Die EU möchte neue Konzessionsregeln verabschieden, wodurch die Wasserversorgung angeblich für den (europäischen) Markt geöffnet würde. Und schon seien wir bei der Privatisierung: Der Preis würde steigen, die Qualität nachlassen – so zumindest die Prognosen und Erfahrungen aus Großbritannien, Portugal, sogar aus Berlin.

Kleine Hoffnungsfunken

Während ich für den Artikel recherchiere und mich frage, wie und was ich für eine politisch linke Leser_innenschaft schreiben soll, nimmt meine Enttäuschung über Politik und auch Gesellschaft stetig zu. Wie kann es seitens der Politik nur dazu kommen, eine Diskussion über Verkauf von Wasser überhaupt auch nur ansatz­­wei­se in Betracht zu ziehen? Und wie kann eine so große Gesellschaft (mich inbegriffen) nur still sitzen bleiben? Ja, die Industrie. Und ja, die Politikverdrossenheit. Ich weiß. Dennoch macht es mich wütend. So wütend, dass ich fluche, schimpfe und an Steine-werfen sowie an brennende Autos denke. Dabei bin ich dafür viel zu feige. Außerdem: Was hilft das gegen Was­serprivatisierung?

Dann re­cher­­­­chie­re ich leicht erhitzt wei­ter und ent­­­­decke kleine Hoffnungsfunken und Punkte, die mich neugierig machen.

Zunächst einmal ein sehr gelungener Auftritt von Erwin Pelzig in seiner Abend­sendung „Neues aus der Anstalt“. Der fränkische Kabarettist macht offensicht­­liche Schleichwerbung für right2water.eu/de, die europäische Bürgerinitiative gegen die Privatisierung von Wasser. Wobei er sein Vorhaben breit kommentiert. (2) Und auch die Sendung „Monitor“, vom WDR gesendet, hat schon vor Weihnachten auf die Bürgerinitiative hingewiesen. (3)

Außerdem denke ich an erwähnten Politikunterricht zurück und erinnere mich, dass ganze Dörfer protestiert haben gegen Stauseen und damit gegen die Wasserver­knappung bei den Menschen am Fluss unterhalb des riesigen Dammes. Ich suche nach Beispielen der Wasserprivatisie­rung in der Welt und stoße auf das „Blaue Wunder von Co­chabamba“. Durch eine Priva­tisierungswelle in ganz Lateinamerika in den 1990er Jahren kam es zu einer solchen des blauen Golds in der Andenstadt Cochabamba in Bolivien. Aguas del Tunari, Tochterfirma von International Water Ltd., erhöhte den Wasserpreis in wenigen Monaten um knapp 300%. Einige Bürger_innen konnten sich daraufhin kein Wasser mehr leisten. Es kam zum Aufstand, Generalstreik, Straßenblock­ier­ungen. Die Regierung konterte mit Waffen. Das bekannte Prozedere. Am Ende des „Wasserkrieges“ gab es weder die Privatisierung, noch einen weißen Präsidenten – aber auch einen Menschen weniger und viele Verletzte. (4)

So frage ich mich also, was wir aus Cochabamba lernen können? Na je­denfalls, dass wir, die Gesellschaft, Einfluss haben können. Aber muss immer Gewalt die Lösung sein? Ich mag doch nicht weh tun oder weh getan werden! So suche ich al­so nach Ak­tions­­mög­lich­­kei­ten und nach einer Ant­wort, wie wir aus unserem ver­meintlich „links-auf­geklärten“ Zir­kel auch auf „Noch-Nicht-Wissende“ und „Wenig-Informierte“ außerhalb unserer Nische oder Subkultur zugehen und aktiv sein können.

Was ändert sich eigentlich genau?

Zunächst einmal möchte ich noch mal auf die Konzessionsrichtlinie direkt zu sprechen kommen. Was ist das eigentlich genau? Eine Konzession? Eine Konzession ist lediglich „[d]ie Verleihung eines Nutzungsrechts an einer öffentlichen Sache durch die zuständige staatliche oder kommunale Behörde, z.B. die Überlassung eines Abbaurechtes für Rohstoffe.“ (5) Die Richtlinie ist also dafür da, Konzessionen besser zu strukturieren und eine Grundlage dafür zu schaffen, sie einfacher und womöglich schneller durchzuführen – dies auf juristischer Ebene. Was ist also die Gefahr der Konzessionsregeln? Was genau ändert sich zu der bisherigen Situation? Ich suche weiter und bemerke, dass sich an und für sich gar nicht so viel ändert. Durchaus gibt es schon eine Rechtsprechung des EuGH (Europäischer Gerichtshof). Auch jetzt schon können die Kommunen die Kon­zessionsvergabe euro­pa­­weit ausschreiben. Sie müssen es aber nur dann, wenn die Konzession an nicht-öffentliche Anbieter abgegeben werden soll: „Erst wenn sie sich entscheiden, die Leistung außerhalb ihrer eigenen Organisationsstruktur zu vergeben, ist die Beschaffung aus Gründen der Transparenz, der Nichtdis­kri­mi­nierung und des Wettbewerbs auszuschreiben.“ (6)

Der Entwurf der Konzessionsrichtlinien nimmt diese Rechtsprechung auf. So sind „die Vergaben von Aufträgen an verbundene Unternehmen, Gemeinschaftsunternehmen und bei anderen Beziehungen zwischen öffentlichen Stellen vom Ver­gaberecht frei[gestellt].“ (6) Sogar interkommunale Regelungen sind von der Ausschreibung ausgeschlossen. Das heißt, dass sich mehrere Gemeinden für die Wasserversorgung und -entsorgung zusammenschließen und mit öffentlichen Anbietern ohne Ausschreibung zusammenarbeiten dürfen, wie es in Hamburg beispielsweise der Fall ist. So weit ist alles gut, keine Änderung zur derzeitigen Situation. Dennoch ein ABER: In Deutschland ist die Wasserversorgung (zu großem Teil in öffentlicher Versor­gungsstruktur) meistens mit der Gas- und Stromversorgung (fast ausschließlich über den privaten Markt gesteuert) gekoppelt. Um nun also die bisherige Rechtsprechung des EuGH aufrecht zu erhalten, müssten diese von­einander ge­trennt und alle Anteile von privaten Unternehmen an den jeweiligen Stadtwerken wieder aufgekauft werden. Was wiede­rum einen enormen Aufwand und gleichzeitig eine Veränderung der bisher gut funktionierenden Trink­wasser­ver­sor­gung bedeutet. (6) So ist die Befürchtung der Kritiker berechtigt. Die Wasserversorgung steht also doch in Gefahr privatisiert zu werden – aus finanziellen und bürokratischen Gründen. Auch die Sorgen um die Qualität sowie um die Preise sind berechtigt. Zwar könnten sich die Kommunen gegen eine Qualitätsabnahme schützen, so die Befürworter der Konzes­sions­­richt­linie, da die Vergabe nicht gleich an den günstigsten Anbieter_in gehen müsse. Somit könnten die öffentlichen Träger auf Qualitätskriterien achten, sowie in die Ausschreibung klar definierte Forderungen aufnehmen. Auch die zeitlich begrenzte Kon­zessionsvergabe könnte als Schutz betrachtet werden. Aber letztlich zeigt die Erfahrung, dass private Unternehmen doch nur am Profit orientiert sind. Vertraglich festgehaltene Qualitätsstan­dards werden vermutlich entweder nicht gehalten oder aber der_die Steuer­zahler_in wird für dieses aufkommen und dann gleich zweimal bezahlen müssen: Die Instandhaltung als auch den Privatinvestor.

Außerdem: Schaut man sich die Lobby im Expert_innenrat und in Brüssel allgemein an, so findet mensch schnell viele Ver­treter_innen aus der Wasserbranche und angrenzenden Industriebranchen. (7) Die Lobby ist sehr stark und die Strukturentwicklung nicht absehbar. Die Gefahr, die viele Politiker_innen und Expert_in­nen sehen, dass die Konzession im Bereich Wasser in Zukunft an private Großkonzerne wie Veolia vergeben werden, ist also durchaus berechtigt. Ebenso ist die Befürchtung von Monopolisierung zu­mindest nachvollziehbar, auch wenn diese vermeidbar wäre. (8)

Da ich gerade so fleißig bin – nebenbei noch etwas zu einem der Profi­teure der Konzes­sionsrichtlinien. Der transnatio­nale Konzern Veolia, in Deutschland auch für den privaten regionalen Nah­verkehr be­kannt, groß geworden durch die Wasserindustrie, klagt gerade gegen den Film „Water makes Money“, der bei YouTube zu finden ist. Der Titel des Films sagt schon alles aus.

Aber das interessiert die Politiker_innen herzlich wenig. Immerhin 28 Abgeordnete des EU-Binnenmarktausschusses sind für die Richtlinien verantwortlich. Egal wie groß die Lobby ist: Als Bürger­_in­­nen der Europäischen Union haben auch wir die Möglichkeit ihnen unsere Meinung darüber kundzutun sowie an ihre Verantwortung uns gegenüber zu appellieren. In wieweit dies aber erfolgversprechend ist, wage ich zu bezweifeln.

Eine europaweite Bürgerinitiative im Kommen

So merke ich, dass die Sachlage des Entwurfs zur Konzessionsrichtlinie nicht ganz so einfach ist wie sie auf den ersten Blick scheint. Schade, dabei wäre es doch so schön, einmal ein Problem ganz einfach zu beheben und damit die Welt zu retten.

Aber wie kann mensch sich denn nun engagieren? Wie ich oben schon erwähnt habe, gibt es eine europäische Bürgerinitiative. Diese wurde von der Kampagne right2water gestartet. Eine wahrlich interessante Kampagne, die sich schon sehr lange mit dem Thema auseinandersetzt und fordert, dass die Wasserwirtschaft gänzlich von der Liberalisierungsagenda zu trennen ist. Hier steht das Recht auf Wasser an oberster Stelle. Zugang zu Trinkwasser und sanitärer Grundver­sorgung muss für alle gegeben sein, so right2water. Hinter der Kampagne stehen verschiedene europäische Verbände und Allianzen von zumeist NGOs und Gewerkschaften. (9) Inzwischen haben schon 1.121.465 EU-Bürger_innen (10) die Initiative unterstützt. Doch um ihre Forderungen vor das EU-Parlament bringen zu dürfen, damit dieses sich damit auseinandersetzt, müssen eine Million Unterschriften aus mindestens sieben Ländern zusammenkommen. Da ist es schon mal nicht schlecht über eine Million Unterschriften gesammelt zu haben, nur müssen es aus den sieben Ländern eben auch festgelegte Anteile sein. Darum strebt die Kampagne nun die Zwei-Millionen-Grenze an.

Schließlich bin ich zwar ein wenig enttäuscht darüber, dass die Medien eine verkürzte Darstellung der Sachlage vermitteln und nur wenig auf die Lobby eingehen sowie auf die derzeitige Regelung. Gleichzeitig merke ich aber, dass gar nicht so wenige still sitzen bleiben, dass durchaus Menschen aufspringen und sich wehren.

Mich beeindruckt es, dass es doch immer wieder Menschen gibt, die die Politik verändern wollen. Sie nutzen ihre par­tizipatori­schen Möglichkeiten, um Einfluss zu nehmen in einem Diskurs, der durchaus in den größeren Zusammenhang des kapitalistischen Systems gestellt werden sollte. Ohne müde und des Ganzen überdrüssig zu werden. Denn: Ja, es ist angenehmer politikverdrossen auf der Couch zu sitzen und es ist auch leichter Steine zu werfen, um dem Unmut Ausdruck zu verleihen. Als immer und immer wieder Energie zu schöpfen und der Ungerechtigkeit den Kampf anzusagen. Und das über diese wenigen, kleinen Möglichkeiten, die uns diese Form der Demokratie übrig lässt. So versuchen einige Stück für Stück auf die Revolution hin zu arbeiten. Während andere zuhause nichts-tuend auf diese warten.

Vogel

(1) Zur Erinnerung: amnesty.de/alle-30-artikel-der-allgemeinen-erklaerung-der-menschenrechte
(2) www.youtube.com/watch?v=1fGHNwhPlvs
(3) www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2012/1213/wasser.php5
(4) www.quetzal-leipzig.de/lateinamerika/bolivien/die-wasserkonflikte-von-cochabamba-und-el-alto-19093.html
(5) www.wikipedia.de
(6) www.vergabeblog.de/2013-02-05/der-entwurf-einer-konzessionsrichtlinie-als-gefahr-fr-die-deutsche-trinkwasserversorgung/
(7) ec.europa.eu/environment/water/innovationpartnership/pdf/EIP_water.pdf
(8) Wie vorher schon erwähnt, Preisdumping kann aus dem Weg gegangen werden. Vgl. auch (6)
(9) www.right2water.eu/de/node/85
(10) Stand: 16.02.2013, 22.35 Uhr

EU.ropa

Schreibe einen Kommentar