Ein Bericht vom Europäischen Sozialforum in Malmö, Schweden
Vom 17.-21.9. fand das Europäische Sozialforum (ESF) im schwedischen Malmö statt. Zum fünften Mal luden verschiedenste Organisationen, wie Frauen-, Umwelt- und Friedensbewegungen, Gewerkschaften und auch Parteien ein, um über soziale und ökonomische Alternativen zum herrschenden kapitalistischen System zu diskutieren, Netzwerke zu stärken und Erfahrungen auszutauschen. Historisch entstanden Sozialforen als sozialkritische Gegenveranstaltung zu den alljährlich stattfindenden Weltwirtschaftsforen: 2001 fand das erste Weltsozialforum in Porto Alegre (Brasilien) statt und bereits 2002 gab es das erste Europäische Sozialforum in Florenz (Italien). Die ca. 70.000 Teilnehmenden fanden dort ihren Konsens im Protest gegen den Irakkrieg und streuten so Aktionismus, Mut und Aufbruchstimmung, dass eine andere Welt nicht nur nötig, sondern auch möglich ist. Doch wie sieht es heute mit der Bewegung in den Sozialforen aus?
Dabei sein ist alles?
Unter dem gleichbleibenden Motto „Eine andere Welt ist möglich“ folgten ca. 10.000 Aktivist/innen dem diesjährigen Aufruf nach Malmö, um an den mehr als 200 Workshops teilzunehmen und über Themengebiete wie Migration, Militarisierung, soziale Rechte, Nachhaltigkeit, Partizipation und Freiheit, Diskriminierung, ökonomische Alternativen, Massenmedien und soziale Bewegungen zu diskutieren. Obwohl doppelt so viele Menschen erwartet wurden und die Zahl der Teilnehmenden persönlich schwer einzuschätzen war, da die Veranstaltungsorte quer durch die Innenstadt gestreut lagen, schienen die Workshops relativ gut besucht zu sein. Die hohe Anzahl der international teilnehmenden Organisationen sorgte für eine breite Mischung aus Menschen, die sich in verschiedenen Themenbereichen engagieren – das Spektrum im deutschen Kontext reichte dabei bspw. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Friedensrat über die IG Metall und Attac bis hin zu Greenpeace und der Interventionistischen Linken.
Abgesehen von einer international getragenen Gewerkschaftsjugend-Initiative, die im Rahmen des Forums erstmalig einen Jugendbereich mit verschiedenen Veranstaltungen einrichtete und mobilisierte, traf man jedoch verhältnismäßig wenig basisengagierte junge Menschen auf dem offiziellen Forum. Wenn vorhanden, konzentrierten sich diese vielmehr beim Action-Network das sich hauptsächlich aus anarchistischen, autonomen und linksradikalen Gruppen und Aktivist/innen zusammensetzte und ebenfalls verschiedene Workshops und Aktionen durchführte. Um dem Einfluss der finanzstarken Organisationen zu entgehen und trotzdem den ESF-Rahmen für die Thematisierung eigener, radikalerer Inhalte zu nutzen, organisierten sie sich außerhalb des offiziellen Programms. Mit dieser Abspaltung – die nicht gegen die Themen oder basisorientierte Aktivist/innen des ESF gerichtet war – wollten sie ihren Protest an der zunehmenden Bürokratisierung und Vereinnahmung der ESF-Vorbereitung durch etablierte Großorganisationen verdeutlichen, die oftmals Hierarchiefreiheit, Selbstorganisation und radikalere Systemkritik mit dazugehörigen Protestformen nicht billigten.
Nur eine Frage der Methode?
So organisierte das Action-Network eine Demo gegen Abschiebung mit Picknick-Blockade vor dem Migrationsbüro, eine Straßen- und Autoblockade gegen den wirtschaftlich und gesellschaftlich geförderten Klimawandel und eine „Reclaim the streets party“, bei der ca. 700 Aktivist/innen musikalisch begleitet durch die Innenstadt zogen, Graffiti sprayten, Straßen bemalten und auch die ein oder andere Fensterscheibe der umliegenden Banken einwarfen. Auffällig hierbei war das Verhalten der Polizei, die sich nahezu unbemerkt in den Seitenstraßen positionierte, die Menschenmasse bis zum monumentalen Hilton-Hotel gewähren ließ und nicht durch offensive Präsenz provozierte. Erst als sich viele Stunden später die Musikwagen und Leute zunehmend verabschiedeten und sich die Straßenparty dem Ende neigte, eskalierte die Konfrontation zwischen den maximal 100 übrig gebliebenen Vermummten und den nun agierenden Beamten. Sogar mit Pferdestaffel ausgerüstet, wurde den Prophezeiungen der schwedischen Presse – die bereits seit Wochen die wahrscheinlichen Gewaltauseinandersetzungen auf dem ESF hochstilisierte – nun Genüge getan. Die entstandenen Bilder von schwarz gekleideten Aktivist/innen reichten dann auch aus um das Sozialforum medial zu kritisieren, statt über die Inhalte zu berichten. Neben diesen Aktionen, die vom Action-Network initiiert wurden und die im Grunde gegen den Kapitalismus und für die Zurückeroberung des öffentlichen Raumes für die Menschen gerichtet waren, boten selbige auch einige Workshops an, bei denen Erfahrungen über die Situation der Frauen, Prekarisierung und Kämpfe am Arbeitsplatz, Besetzungen und soziale Zentren ausgetauscht wurden und Möglichkeiten zukünftiger Mobilisierung – wie z.B. zum Klimagipfel in Kopenhagen (Dänemark, Dez.2009), dem Natogipfel in Straßbourg (Frankreich, Apr. 2009) und dem G8-Gipfel in Italien 2009 – diskutiert wurden. Im Gegensatz zu vielen Seminaren und Workshops im offiziellen ESF-Programm gab es bei diesen „radical assemblies“ keine ausschweifenden Podiumsdiskussionen. Vielmehr wurden nach kurzen Einführungen kleinere Stuhlkreis-Runden gebildet, in denen sich die Teilnehmenden – sofern sie der englischen Sprache mächtig waren – austauschen konnten und jede/r auch zu Wort kam und eigene Erfahrungen einbrachte. Atmosphärisch gemütlich war zudem die Räumlichkeit des alternativen Zentrums, in denen die Veranstaltungen stattfanden, die stark an die G16 in Leipzig erinnerten.
Den Höhepunkt des ESF sollte die gemeinsame Abschlussdemo bilden, zu der tatsächlich weitere 5000 Menschen anreisten und die unter dem Motto „Power to the people – against capitalism and environmental destruction. Another world is possible“ stand. Ein bunter und streckenweise lauter Demozug mit ca. 15.000 Teilnehmenden aus allen linken Spektren zog dabei mehrere Stunden und Kilometer „friedlich“ quer durch Malmö hin zu einem großen Waldstück, auf dem eine Bühne stand und verschiedene Musiker/innen und Künstler/innen den Abend ausklingen ließen.
Wo liegt das Problem?
Alles in allem ein interessantes Happening. Doch kann man beim ESF nun noch von einer Veranstaltung sprechen, die deutliche Zeichen setzt und dem Protest gegen die herrschenden Verhältnisse Ausdruck verleiht? Was bringen solche Konferenzen noch und wie wirken sie? Natürlich bietet das Sozialforum die Möglichkeit, mit Menschen aus verschiedenen Hintergründen über wichtige politische Themen zu diskutieren. Auch sollte die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und Netzwerke zu stärken, nicht unterschätzt werden. Dennoch haben die Sozialforen seit Florenz 2002 an Wirkmächtigkeit und Aufbruchstimmung verloren. Während damals der Irakkrieg im Mittelpunkt stand und die zahlreichen Teilnehmenden auf das gemeinsame Aktionsziel einte, zu einem globalen Protesttag gegen den Irakkrieg aufzurufen, dem am 15.2.2003 weltweit ca. 30 Millionen Menschen folgten, haben die Sozialforen heute nicht mehr diese Außenwirkung. Symptomatisch dafür ist die allgemeine internationale Presse, die mittlerweile nicht einmal mehr vom ESF berichtet. Die relativ geringe Anzahl von 10 000 Teilnehmenden spricht dabei ebenfalls Bände. Ursachen hierfür lassen viel Interpretationsspielraum, allerdings denke ich, dass auch die Art der Organisation und Beteiligung hierbei eine Rolle spielt. Seit der sukzessiven Abspaltung von Gruppen, die seit dem ESF in London 2004 sichtbar ist, sind auch die offiziellen Teilnehmerzahlen zurückgegangen und es kommt zu weniger internationaler und gemeinschaftlicher Praxis. Das ESF hat scheinbar für diejenigen an Reiz verloren, die tatsächlich in der Welt was bewegen wollen und Impulse dafür – aufgrund der Versteifung durch Institutionalisierung – dort vermissen. Die Folge davon ist ein Forum ohne Output in Form von z.B. wirkmächtigen, internationalen Großaktionen. Das Action-Network hat im Malmö den Rahmen sinnvoll genutzt und nicht gegen das ESF gearbeitet, sondern mit den Interessierten gemeinsam andere Methoden und Inhalte probiert. Und seine Attraktivität rührte nicht zuletzt aus dem Interesse an wirksamen Aktionen mit Basisengagierten. Zwar gab es diesmal einen Jugendbereich auf dem Forum, in denen vielfach junge, ehrenamtlich engagierte Gewerkschafter/innen Veranstaltungen zu ihren Themen durchführten, allerdings blieben die Podien des restlichen Forums oftmals von Funktionär/innen besetzt. Und auch die Parteienpräsenz war ein Thema, das meines Wissens, außer vom Action-Network nicht einmal mehr kritisch diskutiert, geschweige denn unterbunden wurde. Jedoch zeigt vor allem die Aktivität dieses Netzwerkes, welches das Sozialforum nutzte, um sowohl nach außen zu wirken, als auch nach innen Kontakte zu knüpfen, dass solche internationalen Treffen wie das ESF weiterhin sinnvoll sind. Gleichzeitig bereicherten sie dieses nicht nur durch ihr Aktions- und Bewegungspotential, sondern ermöglichten zudem, durch ihre Offenheit den „offiziellen“ ESF-Teilnehmer/innen gegenüber, auch Einblicke darin, wie Workshops und Aktionen basisdemokratisch, kreativ und selbstbestimmt durchgeführt werden können.
Vielleicht sind es auch diese beiden, sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren, die zur Erlahmung von solch internationalen Treffen geführt haben: Die Institutionalisierung und Bürokratisierung auf der einen Seite, die zur Abspaltung aktionistischer und radikalerer Gruppen führte und deren Abspaltung auf der anderen Seite, die eine verstärkte Institutionalisierung des ESF durch Großorganisationen (die ja die übrig gebliebenen sind) zur Folge hatte. Bei einer derartigen Teilung, die in einem „offiziellem“ und „inoffiziellem“ Programm mündet, werden wechselseitige Lernprozesse natürlich erschwert und jeglicher Bewegungscharakter, der sich eben auch durch Vielfalt auszeichnet, wird im Keim erstickt. Obgleich in Malmö auch eine Vermischung stattfand und die Differenzen zwischen Action-Network und ESF nicht im Vordergrund standen, kann von einer dort ausgehenden Aufbruchsstimmung im Moment trotzdem nicht die Rede sein. Dennoch bringen solche Treffen etwas, denn sie bieten den Raum, um über den eigenen Tellerrand zu schauen und Erfahrungen und Kontakte auszutauschen, die in zukünftigen Auseinandersetzungen von Relevanz sein können. Gerade die hier mögliche breite Vernetzung von verschiedenen Menschen, Gruppen und Organisationen macht das ESF zu einer sinnvollen Veranstaltung. So wird auch ein stückweit das Bewusstsein gestärkt, nicht allein zu sein mit den Vorstellungen, dass eine andere Welt tatsächlich möglich und von vielen Menschen auch gewollt ist.
momo