Extrem demokratisch

Es dürfte sich langsam rumgesprochen haben, daß Vereine in Sachsen eine sogenannte „Extremismusklausel“ unter­zeichen müssen, wenn sie Fördermittel von einigen landes- und bundes­wei­ten Förder­programmen nutzen möchten (siehe FA! #39). Damit ver­­pflichten sie sich, nur mit demokratisch integeren, also garantiert un­ex­tremistischen Personen und Vereinigungen zusammenzuarbeiten. Als Maßstab gilt dabei die äußerst umstrittene Extremismus-Definition des Verfassungsschutzes (und dessen jeweilige Erkenntnisse), die zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Abweichungen definiert und als demokratiefeindlich bewertet.

Verweigern die Vereine jedoch die Unter­zeichung dieser (neuerdings euphemistisch so genannten) „Demokratieerklärung“, können sie bewilligte Fördermittel nicht abrufen. Das AKuBiZ Pirna wollte der geforderten Bespitzelung seiner Part­ner_in­nen nicht Folge leisten und verweigerte im November 2010 öffentlichkeitswirksam die Unterschrift. Es lehnte so den mit 10.000 Euro dotierten sächsischen De­mo­kra­tiepreis ab und wurde Wegbereiter einer wachsenden „Extremismusstreik“-Bewegung. Neben vielen Solidaritäts­be­kun­dungen, Protestschreiben, einem bundesweiten Aktionstag, einer einzigartigen Vernetzung und unerwartet großem Medienecho folgt nun weiterer Widerstand.

Zwei bedeutende Vereine Leipzigs haben kürzlich angekündigt, ihre Unterschrift unter die Extremismusklausel zu verweigern, auch wenn sie dadurch die gerade bewilligten Fördermittel für Projekte nicht bekommen. Der Projekt e.V. des Conne Island und das soziokulturelle Zentrum Die VILLA gehen in die Offensive und erfahren von einer sich solidarisierenden Öffentlichkeit und auch Teilen der Politik recht breite Unterstützung. Bei Grünen, Linken und SPD lässt sich allerdings das parteipolitische Kalkül nicht ausschließen, während sich solidarisierende Vereine, Initiativen und Privatpersonen zu jener „Zivilgesellschaft“ zählen, deren Unabhängigkeit sie als unabdingbar für die Demokratie propagieren. Sie seien es, die dort wichtige Arbeit gegen Fremdenfeind­lichkeit und Neonazismus leisten, wo der Staat sich schon seit langem zurückgezogen hat. Wobei sie oft vergessen, daß der Staat selbst durch seine Sortierung in Staatsvolk und Ausländer das Fremde erst hervorbringt und durch die Konkurrenz zu anderen Staaten Nationalismus und Fremdenfeind­lichkeit befördert.

Das Conne Island übernimmt in seiner Presseerklärung zur Ablehnung der Klausel (1) auch die viel bemühte Phrase der Verteidigung demokratischer Werte, die sich neben dem Antifaschismus aber nur in der Unterstützung von „Meinungsvielfalt und demokratische[n] Aus­hand­lungsprozesse[n]“ zu erschöpfen scheint. Im Unterschied zur Landesregierung bemüht der Verein dabei nicht den Verfassungsschutz, um zu definieren, was demokratisch ist und was nicht. Der gesellschaftliche antifaschistische Konsens höchstselbst ist es, der hier die Grenzen eines der holden demokratischen Werte, der so genannten Meinungsfreiheit, setzt. Faschismus ist eben keine Meinung, sondern ein Verbrechen (2), da gehen Staat und Conne Island völlig überein. Der Kritikpunkt der Extremismusstreik-Bewegung ist also weniger das Setzen eines Meinungsrahmens und damit das Ausschließen von allen, die sich nicht innerhalb dessen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen, sondern die Gleichsetzung linker und rechter antidemokratischer Bestrebungen in Form der Extremismustheorie, sowie die Befürchtung, aus dem Bekenntniszwang folge ein „Klima des Misstrauens“ und es sei „fast eine Aufforderung zu Spitzeltätigkeit“. Was auch nicht falsch ist, allerdings tragen auch viele staatliche und auch städtische Institutionen zur demokratischen Normierung der Gesellschaft bei, nicht nur der Verfassungsschutz. Dies gilt es zu kritisieren und skandalisieren, statt sich wie im Fall des Conne Island an die „weltoffene, liberale Stadt Leipzig“ anzubiedern. Jene Stadt, welche ihre Mittel für derartige soziale, kulturelle und politische Projekte konsequent zusammenstreicht, daß Häuser wie das Conne Island und Die VILLA nicht nur einmal von der Schließung bedroht waren und sein werden. Jene Stadt, die Asyl­bewerber_innen nicht dezentral in Wohnungen wohnen lässt, sondern sie lieber am Stadtrand in ein Containerlager stecken würde. Jene Stadt, die mit ihrer Ver­drängungspolitik gegen Drogenabhängige und andere vermeintlich asoziale Elemente das weltoffene und liberale Stadtzentrum für Tourismus und Konsum säubert. Bei allem Verständnis für die Abhängigkeit von städtischen Geldern darf die notwendige Kritik an den Verhältnissen nicht einem Demo­kra­tieidealismus weichen, der blind ist für die Ursachen und Wir­kungen der „Gesamtscheiße“ und nur der jeweiligen Projektkohle hinterher rennt.

Hoffen wir also, daß unter den existierenden demokratischen Bedingungen Projekte wie das AKuBiZ Pirna, Die VILLA und das Conne Island weiterhin ihrer Arbeit nachgehen können, sich dabei jedoch nicht auf Werte und Vorstellungen stützen müssen, die einer Herrschaft als Legitimation dienen. Die Verweigerung der Unterschrift ist dabei ein wichtiger Schritt, aber der Protest und die Diskussion um die Demokratie und ihre grundlegenden Fehler ein noch viel wichtigerer.

 

shy

(1) www.conne-island.de/news/86.html
(2) siehe auch: „Warum Demokraten (Neo-)Faschisten nicht kritisieren, sondern nur verbieten können“ (Freerk Huisken) nachzulesen unter: www.fhuisken.de/DemFasch.htm

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