Extrem_________Silvester

Der Silvesterfeier am Connewitzer Kreuz im Süden wird jedes Jahr mit Spannung ent­­gegengesehen. Ein Grund ist der Ort selbst – als eine Art „melting point“ in dem als links-alternativ geltenden, dorf­ähn­lichen Stadt­teil Connewitz. Bunt- und Ver­trautheit zei­gen sich auch in den feucht-fröh­lichen Sil­vester-Nächten. Ein zweiter Grund ist die „La­geeinschätzung“ der Staatsmacht, die dort ein besonderes „linksautonomes“ Ge­fähr­dungspotential aus­macht und den Platz da­rum seit 1999 per Kamera überwacht. Auch wenn dies die traditionellen Schnee­ball­­schlachten oder politischen Spontanzu­sam­­menkünfte bis­her weder ver­­­­­­hin­dert, noch ein­­ge­schüch­­tert hat, bleibt das Con­ne­­­witzer Kreuz ein „neu­­ral­gischer Punkt“. Nach­­dem es in den letz­ten Jah­ren eher ru­hig zu­ging, kam es zum Jahres­wechsel 2007/2008 zu hef­tigen Aus­ein­an­der­setz­un­gen zwi­schen Po­li­zei und zu­meist jungen Leu­­­ten. Ver­letzte gab es auf beiden Sei­ten – darunter viele Un­be­teiligte, die Be­kannt­schaft mit Schlag­stöcken und Pfef­ferspray ma­chen muss­ten. 35 Men­schen wurden fest­ge­nom­men. Im April schickte die Po­li­zei­­direk­tion Leipzig kon­zertiert Vor­la­dun­gen an ver­meintliche „Ran­­dalie­rer“. Der Vor­­wurf lautet zu­meist Land­frie­dens­­­bruch. Der Hin­weis, dass po­­li­­zei­­lichen Vor­­ladungen nicht Fol­­ge ge­leistet werden muss, gilt auch hier. Den Be­trof­fe­nen sollte zu­dem be­wusst sein, dass in die­sem Fall be­son­dere Sorgfalt an­gebracht ist.

Schaut man sich nämlich die po­li­tischen De­batten an, die derzeit in Leipzig geführt werden, ahnt man schnell, dass hier ein Exem­pel statuiert werden soll. So ist ein besonders vehemen­tes Vorgehen der Er­mittlungsorgane zu er­warten, verknüpft mit einer po­litischen Aufladung des eigentlich un­politischen Sachverhaltes.

Bereits einen Tag nach Neujahr liefen sich in der Lokalpresse sozialdemokratische, kon­­­servative und rechte Kommunal­po­li­ti­ker warm: Ein härteres Vorgehen gegen die Connnewitzer Szene, die Revision der wohl­wollenden städtischen Politik gegen­über alternativen Kultur- und Wohnpro­jek­­ten im Stadtteil und sogar die Verschär­fung des Strafrechtes wurden gefordert. DSU-Stadtrat Obser, der derzeit mit Re­pu­blikanern und ehe­maligen NPD-Ab­ge­or­­dneten an einem Wahl-„Bündnis für Sach­­sen“ bastelt (1), schwadronierte mit Blick auf die „Ran­dalierer“ vom „gewalt­be­­­reiten Wurm­fortsatz“ der Linkspartei.

Die Krönung stellte das kurz darauf von der Leipziger Volkszeitung geführte In­ter­view mit dem so genannten „Ex­tre­mis­mus­forscher“ Eckard Jesse dar. Da wur­den die Silvesterauseinandersetzungen un­miss­­verständlich einem imaginären links­ra­dikalen „schwarzen Block“ zu­ge­schrie­ben. Lokaljournalist Döring und Jesse sti­li­sierten die „Linksextremisten“ zum von der Politik vernachlässigten Ge­fah­ren­potential für die demokratische Mit­te hoch und sprachen der politischen Lin­ken ihre Verdienste im Kampf gegen Na­zis ab (schließlich bräuchten sie „Geg­ner wie etwa Rechtsextremisten, um sich zu pro­filieren“). „Konsequenteres Durch­grei­fen gegen Gewaltbereite, Schnellver­fahren und härtere Gesetze“ – so sah das Er­gebnis der Möchtegern-Politikberatung des Herrn Jesse aus. Erst nachdem die öffentli­che Meinung auf­geheizt war, druck­te die Lo­­kalpresse kritische Stimmen zum Po­li­zeieinsatz und präsentierte von Polizeige­walt Betroffene, die das zuvor eta­blierte Bild störten.

Doch dies war erst der Auftakt der De­nun­ziations-Kampagne gegen links. Im Zu­­ge der Debatte um den so genannten „Dis­­­kokrieg“ (2) richtete der sächsische In­nenminister Albrecht Buttolo ein Schrei­ben an den Leipziger Ober­bür­ger­meis­ter, in dem er die unzureichende Ge­währ­leis­tung der öffentlichen Sicher­heit durch die städtischen Ver­ant­wor­tungsträ­ger anpran­ger­te. Der CDU-Minister sah die Ursache für die auf­ge­heizte Stimmung in der Stadt aber nicht etwa in den Konflikten zwi­schen or­ga­ni­sierten krimi­nel­len Netz­werken, sondern in der „un­zu­reichenden räumlichen und inhaltli­chen Distanzie­rung bestimmter politi­scher Kräfte in der Stadt von extremis­tischen Gewalttaten.“ Seine Hauptthese war, dass „die Gewaltex­zesse beispielsweise der links­ex­tremis­tischen Szene anlässlich rechts­extremis­ti­scher Demonstrationen in engem Zu­sam­men­hang mit der Untätig­keit der Stadt­ver­waltung hin­sicht­lich der Stützpunkte links­ex­tremistischer Gewalt­täter in Con­ne­witz“ stehen.

Ausflug in die Extremismustheorie

Diese Argumentation nimmt die frag­wür­di­­ge Extremismustheorie auf. Nicht Nazis, die gewaltsam ein völkisches, autoritäres Re­­­gime er­richten wollen, gelten als Haupt­­­problem für die Ge­sellschaft und die Unversehrtheit ihrer Mitglieder, son­dern linker Anti­fa­schis­mus, der sich aktiv ge­­­gen diese men­schenverachtenden Ein­stel­lungen und Handlungen richtet.

Die inhaltliche Analyse geht der Ex­tre­mis­mus­theorie ab, und genau das ist das Pro­­blem. Sie ist eine Art zeit­ge­nössische Va­­rian­te der Totalitaris­mus­theorie und kon­­zen­triert sich auf die Be­trach­­tung von Be­wegungen und Par­teien, die „in Oppo­si­­tion zum li­beralen Verfas­sungsstaat“ ste­hen. Genau wie der Tota­litarismus­theorie geht es dem Ex­tre­mismusansatz um den Ver­gleich von Struk­­­turmerkmalen ih­rer Be­­trach­tungs­objek­te/ -sub­jekte, et­wa in Be­zug auf die Mittel zur Durch­setzung der je­weiligen politischen Inhalte.

Aus sozialwissenschaftlicher Pers­pektive wird dieser Ansatz mehr­heitlich abgelehnt, er be­hindere neue wissenschaftliche Er­kennt­nisse sogar. „Dass es sich beim Ex­tre­mis­­mus um Demokra­tie­feindschaft, Ge­walt­­bereitschaft, Rep­ression, Dog­matis­mus etc. handelt, kann nicht einmal als Er­­gebnis der Extremis­musforschung aus­ge­geben werden, denn dabei handelt es sich bereits um ihre Voraussetzung“ (Dr. Gero Neugebauer, Otto-Suhr-Institut für Po­­litikwissen­schaft) (3). Die Ex­tremis­mus­theorie geht von einer „normalen“, ver­fassungstreuen Mitte der Gesellschaft aus. Links und rechts von dieser liegen die be­droh­lichen „extremistischen“ Ränder. Die­­ses Modell ist fragwürdig: Ver­schie­de­ne empirische Studien über chau­vinis­ti­sche, rassistische, antidemokratische Ein­stel­lungen in der Bevölkerung be­weisen, dass eine „lupen­reine“ Mitte, die sich an der Men­schenwürde (Art. 1 GG) oder am no­­minellen Prinzip der De­mo­kratie orien­tiert, nicht existiert. Viele befürwor­ten die Ein­führung einer Dik­tatur oder sind von chau­vinistischen Denkweisen der­art er­füllt, dass sie lauthals nach här­teren Sank­tionen gegen Men­schen nicht-deutscher Her­kunft oder sozial Benachtei­lig­te schrei­en (vgl. Brähler/ Decker 2006 „Vom Rand zur Mitte“, Heitmeyer 2007 „Deut­sche Zu­stände. Folge 6“). Und auch poli­tische Re­präsen­tanten der so genann­ten Mitte fal­len durch anti­semitische oder rassis­ti­sche Äußerungen auf.

Die Verfassung als Orien­tierungspunkt der „Mit­te“ ist zudem selbst politisch um­kämpft. Wie ver­äußerlich ver­­­briefte Grund­­­­rechte sind, zeigt die faktische Ab­schaf­­fung des Grund­­­­rech­tes auf Asyl im Jahr 1993 eben­so wie die der­zeit von In­nen­­mi­ni­ster Schäuble re­gel­mäßig einge­brach­­­ten Vorschläge für Ver­fassungs­än­de­run­gen, um so z.B. Bundes­wehr­einsätze im Inneren oder Online-Durch­suchungen zu ermöglichen.

Die Extremismustheorie kann also nur als in­­teressengeleitetes Kampfinstrument be­zeich­net werden. Die politische Linke und Rech­­te werden gleichgesetzt und damit die grund­­legenden inhaltlichen Differenzen zwi­­schen ihnen ausgeblendet. Jede Kritik am Status quo führt zum Vorwurf des „Extremismus“.

Ob­wohl sie in wissenschaftlichen Kreisen mehr­­­heitlich zurückgewiesen wird, dient die Extremismustheorie besonders in Sach­­­sen als Grundlage von Meinungs­bil­dung und praktischer Politik. Sogar ein ei­­­genes Institut – das Hannah-Arendt-Ins­ti­­tut für Totalitarismusforschung – leistet sich der Freistaat, und mit Eckart Jesse, der als Professor für Politische Systeme und Politische Institutionen an der TU Chem­nitz lehrt, einen wissen­schaftlichen Stich­­wortgeber. Dass Jesse einen Privat­krieg gegen die gesamte politische Linke führt, zeigt die politische Funktion der Ex­tre­­mismustheorie und fügt sich gut in die Stra­­tegie der kon­servativen Staatsregie­rung ein. Der Politikwissenschaftler selbst pflegt enge Kontakte zur Neuen Rechten und tritt als Autor und Herausgeber einschlägiger Publikationen für einen Schluss­strich unter die Aufarbeitung des Na­tional­sozialismus und für das Heraus­tre­ten aus dem „Schatten der Ver­gangen­heit“ (4) ein. Dieser Hang zum Ge­schichts­­re­vi­­­sio­nis­mus, sein Plädoyer für einen „po­si­tiven Nationalismus“ und auch sein La­men­tieren über die „vielfach privilegier­te jü­di­sche Position in der Bundesrepu­blik“ (5) hinderten das Bundes­ver­fassungs­gericht seinerzeit nicht daran, ihn als Gut­achter im NPD-Verbotsverfahren zu bestellen.

Zurück nach Leipzig

Der Tonfall, den die politischen und wis­sen­­schaftlichen Eliten in Sachsen anschla­gen, macht klar: Hier wird mit tatkräftiger Un­terstützung der Presse die gesellschaft­li­che Diskreditierung der politischen Lin­ken, linker Kultur und besonders von An­ti­faschistInnen, denen es nicht reicht, Zi­vilcourage nur zu fordern, vorangetrie­ben. Da­mit geht automatisch die Bagatel­li­sie­rung der sich aktivierenden Naziszene in Leip­zig und den ländlichen Regionen Sachsens einher.

Der Meinungsmainstream folgt dieser Gleich­­macherei. So ru­fen Schlagzeilen wie die der Leip­ziger Volkszeitung nach ei­nem Auf­­marsch der „Freien Kräf­te“ in Leipzig-Grünau im Ap­ril, „Trotz Neo­nazi-Demo und Antifa-Protest gestern Abend keine ernst­­haften Zwi­schen­­fälle“, kaum Wider­spruch hervor. Dass Anti­fa­schistInnen durch das Platten­bauviertel getrieben, mit be­­rittener Polizei bedroht und poli­zei­li­chen Will­kür­maßnahmen ausgesetzt wur­den, während Nazis in Ruhe mar­schieren kon­­n­ten, liegt in der Logik des bür­ger­lichen Rechts­staates und scheint bei der „Zi­­vil­ge­sell­schaft“, die derzeit durch Ak­tions­programme hochgepäppelt wird, nicht sonderlich auf Interesse zu stoßen.

Ob das Ziel des Anti-Extremismus-Kamp­fes allein im Aufheizen der Mehr­heits­mei­nung besteht, ob es sich um par­teipoli­ti­sche Ränkespiele handelt oder ob ein kon­zertierter Schlag gegen linke Pro­jekte zu er­warten ist, ist nicht aus­zu­machen. An­gesichts der Art, wie eine un­politische, aus den Fugen geratene Sil­vesterparty am Conne­witzer Kreuz auf­gebauscht wird, kann allerdings zu Recht von einer po­litischen Kampagne gegen die lin­ke Szene in Leipzig ge­sprochen werden. Als der Leip­ziger Polizeichef Rolf Müller im April 2008 überraschend zurücktrat, wur­de auch auf die Kritik an seiner „De­eska­la­tions­strategie“ bei „Krawallen ge­walt­berei­ter Autonomer, wie zum Jahres­wech­sel am Connewitzer Kreuz“ verwie­sen. Wenn das Vor­gehen von Polizei und Er­­mittlungs­be­hörden als deeskalativ be­zeich­net wird, mag man sich lieber nicht aus­malen, zu wel­chen Mitteln sein Nach­folger Horst Wawrzynski greifen wird. Der säch­sische In­nenminister jedenfalls kün­dig­te bereits ein härteres Vorgehen an.

In diesem Sinne: Lasst euch nicht aus der Fas­sung bringen. Silvester feiern ist kein Ver­brechen. Und vor allem sind „linke, antifaschistische Politik und Kultur […] nicht „extremistisch“, sondern extrem wich­tig!“. (6)

(Rote Hilfe Leipzig)

(1) Der ehemalige NPD-Landtagsabgeordnete Klaus Baier trat mittlerweile der DSU (Deut­sche Soziale Union) bei, während Mirko Schmidt, der im Dezember 2005 als erster die NPD-Landtagsfraktion ver­ließ, mit der „Sächsischen Volkspartei“ recht er­folglos sein Glück versucht und ebenfalls beim „Bündnis für Sachsen“ mitmischt. Dies gilt auch für den Ex-NPD-Fraktionär Jürgen Schön – inzwischen im Schlepptau mit der Kleinst­partei FPD (Freiheitliche Partei Deutsch­lands).

(2) Bei dem auch als „Türsteherstreit“ be­zeichneten Kleinkrieg im Leipziger Sicher­heits­dienst- und Discotheken­milieu war es im März zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Tür­stehern, Polizei und Jugendlichen gekom­men, bei denen ein Mensch zu Tode kam.

(3) Gero Neugebauer: „Extremismus – Rechts­ex­tremismus – Linksextremismus. Einige An­merkungen zu Begriffen, For­schungs­konzep­ten, Forschungsfragen und Forschungs­er­gebnissen“ in: Schubarth/ Stöss (Hrsg.), Rechts­ex­tre­mis­mus in der Bundesrepublik Deutsch­land. Eine Bilanz, Bonn 2000, S. 21f.

(4) Titel eines von Jesse gemeinsam mit Rainer Zitelmann und Uwe Backes herausgegebenen Sammel­bandes, der „Impulse zur Histori­sie­rung des Natio­nalsozialismus“ geben will, Eckhard Jesse, Uwe Backes, Rainer Zitelmann (Hrsg.): „Die Schatten der Ver­gangenheit : Impulse zur Histori­sierung des National­sozialismus“, Ullstein, Frankfurt am Main/Berlin 1992.

(5) Eckart Jesse: „Philosemitismus, Anti­semitismus und Anti-Antisemitismus“ in: „Die Schatten der Vergangenheit : Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus“.

(6) So lautete das Motto des Offenen Briefes der aus Anlass auf die be­schrie­benen Vorgänge gegründeten „Initiative gegen jeden Extremis­mus­begriff“ (www.inex.blogsport.de).

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