Fußballproduktion in Kinderhänden

Heißt „fair“ dann doch nur „Ablasshandel“?

Deutschland im Fußballfieber und die Mar­ketingmaschinerie läuft auf Hochtouren. Unübersehbar leuchtet das WM-Logo auf riesigen Werbetafeln, im Fernsehen und auf etlichen Produkten. Alles was Geld und Namen hat, ist auf den Sponsorzug aufgesprungen und versucht damit seinen Umsatz weiter zu steigern. Allein Adi­das hat für den Titel „offizieller FIFA-Spon­sor“ 45 Millionen gezahlt, bei einem Jahresumsatz von 6,6 Milliarden Eu­ro sicherlich eine Kleinigkeit. Was jedoch außerhalb der Öffentlichkeit steht, sind die Ar­beitsbedingungen derer, die die Sport­ar­tikel herstellen, auf dem dann der jew­eilige Markenname glänzt. Die Ar­beits­bedingungen in der Fußballpro­duk­tion in Pakistan sind dabei ein Beispiel der Aus­wirkungen kapitalistischer Verhältnisse.

Von Kindern für Kinder

Drei Viertel aller Fußbälle weltweit kommen aus Pakistan, genauer aus dem Distrikt Sialkot im Nordosten des Punjabs. Jährlich werden dort bis zu 35 Millionen Fußbälle gefertigt. Kaum eine/r weiß, dass abgesehen vom offiziellen WM-Ball, 80% aller Fußbälle von Hand genäht werden, mindestens die Hälfte davon durch Kinderhände. Ungefähr zehn Millionen Kinder arbeiten in der pakistanischen Wirtschaft – illegaler Weise – um zum Familieneinkommen beizutragen. Der Verdienst ist gering und liegt bei den Näher/innen zwischen 35-40 Euro monatlich, da sie für einen genähten Ball nur 50 Cent bekommen (2% des Fußballverkaufspreises). Das deckt weder die Grundbe­dürf­nisse, noch erreicht es den gesetzlichen Mindestlohn. Um eine Großfamilie ernähren zu können, müssen daher auch viele Kinder arbeiten. Die Sportartikelindustrie bietet sich an, zumal sie die pakistanische Industrie dominiert und Kinder ungesehen im Hause nähen können. Wenn man 3-4 Bälle täglich nähen muss, bleibt außer Essen und Schlafen keine Zeit für Schule oder um einfach Kind zu sein. Hätten sie andererseits Zeit für Bildung, wäre kein Geld da um diese zu finanzieren.

Ausgelagert

Weil Kinderarbeit offiziell verboten ist, arbeiten die meisten von ihnen versteckt in Häusern oder auf den Dächern als outgesourcte „kostengünstige“ Heimarbeiter/innen. Genau wie die Frauen und Mütter nähen sie zu Hause, während die Männer gemeinsam in der Werkshalle arbeiten*. Hinter den Mauern der Großbetriebe direkt arbeiten verhältnismäßig wenige, während in Kleinstbetrieben und Heimarbeit viele Menschen tätig sind. Die größeren Firmen haben aus Kostengründen zeitintensive Produktionsteile wie das Nähen ausgelagert, da in den 70er Jahren ein Gesetz verabschiedet wurde, welches Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeiter/innen zwingt, einen Beitrag zur Rentenversicherung und eine Bildungsabgabe für die Arbeiter/innen zu zahlen. Das war ein entscheidender Grund für Großbetriebe die damaligen Vorarbeiter zu motivieren, sich selbstständig zu machen. Heute arbeiten 90% der Arbeiter/innen out­ge­sourct für diese Großbetriebe. In diesen 7000 Klein­- und­ Kleinst­­be­­trie­ben ar­bei­ten ins­ge­samt zwi­schen 38000 und 42000 Menschen, meist im Umland der Industriestadt Sialkot. Früher verdingten sich die meisten Pakistani in der Landwirtschaft, doch weil viele nicht genug Land besitzen, um ihre Waren auf dem Markt zu verkaufen, nehmen sie jetzt hauptsächlich die Auftragsarbeiten der Großunternehmen an. Die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung in den kleinen Betrieben ist stark abhängig von der Auftragslage.

Markenmacht

Insgesamt gibt es von den 10 000 in Pakistan angesiedelten Sportartikel-Firmen nur zwischen 35 und 50 Großbetriebe, die mehr als 5000 Leute beschäftigen und hauptsächlich exportieren. Sie haben eine marktbeherrschende Position und einen jährlichen Umsatz von 2,5 – 3,5 Millionen Euro. Doch im Verhältnis dazu verdient Adidas, der größte Hersteller in Pakistan 200-mal pro Jahr. Im Grunde lassen neben vielen no-name-Marken auch alle global player wie Adidas, Nike, Reebok und Puma in Pakistan herstellen. Sie vergeben Verträge mit kurzer Laufzeit an mehrere große Hersteller/ Zulieferer und wechseln nach Belieben, um die innerpakistanische Konkurrenz für Kostenvorteile zu nutzen. Der Unterbietungs-Wettbewerb der Firmen wird dann am Ende der Produktionskette auf dem Rücken der Lohnarbeiter/-innen ausgetragen. Dass dies letztlich zu Kinderarbeit führt interessiert dann niemanden mehr. Bei einem reinen Jahresgewinn von 383 Millionen (Adidas) purer Hohn.

Image-Make-up

Im Zuge der Fußball WM 1998 wurde schon einmal Kinderarbeit in den Zulieferbetrieben öffentlichkeitswirksam kritisiert. Aus Angst ums Image entstand das so genannte „Atlanta-Abkommen“, welches von der FIFA und dem Weltartikelverband der Sports­­wearindustrie (WFSGI) initiiert wurde, um Kinderarbeit „abzuschaffen“. 65 Sialkoter Firmen erklärten sich zur Teilnahme bereit, fassten ihre Mitarbeiter in Nähzentren zusammen und feuerten diejenigen, die unter 14 Jahre waren. Etwa 7000 Kinder konnten zu dieser Zeit aus der Fußballproduktion „entfernt“ werden, doch ist es heuchlerisch von einer Beseitigung der Kinderarbeit zu sprechen. Solange die Löhne der „Erwachsenen“ keine Grundbedürfnisse decken, werden Kinder weiterhin versteckt zu Hause arbeiten müssen, weil nicht ansatzweise an Ursachen gerüttelt wurde.

Des Weiteren wurde ein Großteil der Kosten für diese Maßnahme auf das Her­stellerland abgewälzt, was die Pro­duktionskosten damit unweigerlich erhöhte. Die Konsequenz einiger Markenfirmen daraus war die Abwanderung auf den chinesischen Markt. Seit einigen Jahren sind die Betriebe in China nun auch zur großen Konkurrenz für die pakistanische Wirtschaft geworden und bekannte Marken nutzen bewusst die Standortlogik, um weiter Herstellungskosten der Zu­lieferer zu senken und Löhne zu drücken.

Handlungsansätze

Bestehende Handlungsansätze sind zum einen die Förderung unabhängiger Kontrollen in den Betrieben und der Versuch mit gezielten Aktionen am Image der Marken zu kratzen, so dass die Situation ihrer Zulieferbetriebe nicht länger vertuscht werden kann. Zum anderen gibt es den Fair-Trade-Ansatz mit dem Transfair-Siegel. Der beinhaltet einen Preisaufschlag der an die Näher/-innen (die damit fast das doppelte verdienen) und an die Herstellerfirma geht, die damit Maßnahmen wie Beleuchtung und Belüftung und andere Verbesserungen der Arbeitsbedingungen realisieren. Ein weiterer Teil des Fair-Trade-Aufschlages wird in Gesundheits- und Bildungsmaß­nahmen investiert und ein letzter Teil wird in Form von Kleinkrediten an Arbeiter/-innen vergeben, die sich eine andere ökonomische Existenz aufbauen wollen. Firmen mit dem Fair-Trade-Siegel müssen sich verpflichten, unabhängige Prüfer zu- zulassen, Kinderarbeit abzuschaffen, Arbeitsbedingungen zu verbessern und unabhängige Gewerkschaften anzuerkennen. Der Handel mit fairen Bällen läuft an, doch ist der Absatz bisher zu gering, um den Familien wirklich eine Perspektive bieten zu können.

Kann das alles sein?

Fair Trade als Lösung aller Probleme? Natürlich verbessert fairer Handel von Bällen real die Lebens- und Arbeitsbe­dingungen der Menschen, aber reproduziert er nicht andererseits auch die Form des kapitalistischen Wirtschaftens? Der Konsument soll Bewusstsein bekommen, und kann sich zeitgleich vom schlechten Gewissen freikaufen? Eine Art Ablasshandel für die Menschen in den Industrieländern, die es sich leisten können, faire Produkte zu kaufen? Was ist mit den Billigarbeiter/innen und Hartz-4-Empfänger/innen hier, deren Kinder sicher nicht mit fairen Bällen kicken – sind das dann Ausbeuter?

Natürlich sind „wir“ verglichen mit den Lebensumständen in Pakistan wohlhabend, denn dort zeigen sich die Auswirkungen einer kapitalistischen Weltordnung x-mal härter. Sicherlich gibt es hier auch eine ganze Reihe von Menschen, die sich die Bälle leisten können oder sie sich zumindest leisten wollen, wenn sie die Situation kennen. Als Industrieland sind wir global gesehen Ausbeuter, als Menschen darin stehen wir in der großen Mehrzahl jedoch ebenso auf der Seite der Ausgebeuteten. Gerade deshalb kann und darf ein Fair-Trade-Ansatz nicht dort stehen bleiben.

Die Marke mit dem Gewinn in Millionenhöhe zu zwingen, für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne zu sorgen, wäre dabei ein Schritt, der weiter greift und zumindest an der Verteilungsgerechtigkeit ansetzt.

Doch bleiben wir bei der umgesetzten Transfair-Handlungsalternative, bei dem die Konsumierenden den Aufschlag zahlen, aber weiterhin für die gleichen Firmen hergestellt wird. Im Grunde fördert dieses Konzept auch die kapitalistische Wirtschaftslogik und etabliert lediglich eine Art von „sozialer Absicherung“ darin. Die Frage die sich daraus stellt ist, ob mit der „Befriedung“ revolutionäre Ansätze und Widerstandspotential der Arbeiter/innen geschwächt wer­den, oder ob sie Freiräume schafft, sich emanzipieren zu können.

Und warum versucht diese Organisation eigentlich nicht, mit der kapitalistischen Logik des Wirt­schaftens im Klei­nen zu brechen? Selbstverwaltete Betriebe, Genossenschaften oder politisch unterdrückte linke Bewegungen sind sicherlich unter­stützens­werter als Großbetriebe, die zeitgleich für andere Marken nähen lassen. Ansätze diesbezüglich gibt es bereits, meist von kleineren NGOs, die zum Beispiel eine faire Kaffeeproduktion in Chiapas fördern und somit gleichzeitig die zapatistische Bewegung unterstützen.

Ein anderes Problem im Zusammenhang mit dem Transfair-Siegel ist die Konkurrenz unter den produzierenden Arbeiter/innen. Denn solange der Absatz hier nicht so umfassend ist, ist er dort keine finanzielle Absicherung und der Streit bzw. die Konkurrenz um den zu produzierenden „fairen Ball“ bleibt groß.

Fair Trade bedeutet definitiv eine Verbesserung der Lebensbedingungen für die Menschen in Pakistan, und jede/r der/die es sich leisten kann, sollte das fördern. Vor allem aber Bewusstsein für die Situation bei den Menschen hier zu schaffen, ist ein wichtiger Schritt, um Druck ausüben zu können, damit sich die Lebensbedingungen weltweit verbessern. Solidarität ist gefragt im Kampf gegen die miesen Arbeitsbedingungen. Fair Trade ist dabei ein Schritt zur Lösung, jedoch kein Teil der Lösung, denn die Ursache wird nicht angegriffen. Solange sich Adidas einen Werbevertrag mit David Beckham 161 Millionen US-Dollar kosten lassen kann, während eine Fußballnäherin 50 Cent für 4 Stunden Arbeit bekommt, läuft in dieser Welt entschieden etwas falsch.

(momo)

* Frauen arbeiten nicht in den Betrieben wegen des religiösen Purdah-Systems der Geschlechtertrennung.

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