Gegen den Stillstand

Die Proteste in Bosnien und Herzegowina

Im Februar diesen Jahres gingen in Bosnien und Herzegowina mehrere Tausend Menschen auf die Straßen. Gegen die korrupte politische Elite des Landes, gegen Privatisierungen und gegen Massenarbeitslosigkeit. Ausgang nahmen die Demonstrationen in Tuzla. Anlass waren dort die Privatisierungen von fünf Fabriken, wogegen Arbeiter_innen demonstrierten, die seit mehr als einem Jahr keinen Lohn erhalten haben und nicht mehr krankenversichert sind. Später weiteten sich die Proteste auf Sarajevo, Mostar, Bihac, Zenica und weitere Städte aus.

Schon im Juni 2013 war es zu größeren Protesten gekommen. Anlass damals war die lahmgelegte Bürokratie, die keine Personenregisternummern für Neugeborene ausstellen konnte, weil sich die Politiker aus Föderation und serbischer Republik in Bosnien und Herzegowina nicht einigen konnten. Konsequenz: keine Geburtsurkunden, keine Pässe. Ein Baby benötigte eine dringende Knochenmarktransplantation, welche nur im Ausland möglich ist, konnte aber nicht ausreisen. Die Proteste wurden daher mancherorts als „Bebolucija“ (Baby-Revolution) bezeichnet.

Die Proteste diesen Februar haben jedoch eine andere Qualität erreicht. Mehr Menschen, mehr Aggressivität. Regierungsgebäude wurden gestürmt und in Brand gesetzt, Demonstrant_innen und Polizist_innen verletzt. Vier Kantonsregierungen sind in Folge aufgelöst worden: in Tuzla, Una-Sana, Sarajevo und Zenica-Doboj.

Die Ursachen für den Ärger in der Bevölkerung liegen in einem Netz zwischen politischen und wirtschaftlichen Stillstand, getragen von geschichtspolitischen Auseinandersetzungen und ethno-nationalistischer Propaganda in der Politik.

Das politische System in Bosnien und Herzegowina ist zementiert auf dem Gerüst des „Daytoner Friedensabkommens“. Dieses beendete zwar 1995 die kriegerischen Auseinandersetzungen, übertrug jedoch die Konflikte auf die politische Ebene. Vorwiegend als ethnischer Konflikt verstanden, handelten die Diplomat_innen ein ethnisch fundamentiertes politisches System aus. Bosniaken, bosnische Serben und Kroaten sollten sich die Macht teilen. Andere Gruppen in Bosnien und Herzegowina, etwa Roma oder Juden, fanden in dieser Sichtweise keinen Platz. Das Land wurde in zwei Entitäten geteilt, die bosnisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska, sowie den entitätsfreien Bezirk Brcko.

Dieser politische Stillstand paart sich mit einer anhaltenden wirtschaftlichen Misere. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist immens hoch, liegt bei über 63%(1). Korruption in Politik, Verwaltung und Gerichtswesen ist weit verbreitet.(2) Die Anti-Korruptionsbehörde hat erst letztes Jahr ihre Aktivitäten aufgenommen und bisher keine erkennbaren Ergebnisse geliefert. Die zahllosen Privatisierungen von ehemaligen Staatsbetrieben nach Ende des Krieges verliefen oftmals völlig intransparent. Das Auswärtige Amt betrachtet die Privatisierungen als abgeschlossen und fügt auf seiner Webseite in einem Nebensatz hinzu: „rund 90 Prozent des Eigenkapitals liegen in ausländischer Hand“.(3)

Das Vertrauen in die „internationale Gemeinschaft“ ist ebenfalls gering. Die NGOs, die nach dem Krieg wie Pilze aus dem Boden schossen, werden oftmals nur noch als eigener Wirtschaftszweig ohne Bedeutung für die Bevölkerung gesehen. Die internationalen Organisationen als Garant des Status Quo. Der Beitritt in die Europäische Union steht in weiter Ferne, und auch hier wächst die Skepsis, ob sich mit diesem denn auch wirklich positive Veränderungen verbinden.

Die Proteste gehen in verschiedensten Städten weiter, auch wenn nur noch mit wenigen Menschen, regelmäßig in Sarajevo, aber auch punktuell, wenn Arbeiter_innen ihre lang ausstehenden Löhne einfordern. Die täglichen Abendnachrichten sind voll davon. Am 9. Mai trafen sich bis zu 500 Menschen in Sarajevo, die zuvor in Protestmärschen aus der ganzen Föderation nach Sarajevo gelaufen waren. In mehreren Städten wurden Plena eingerichtet, auf denen aktive Bürger_innen über das weitere Vorgehen beraten und konkrete Forderungen formuliert haben. Einige dieser Forderungen wurden bereits auf lokaler Ebene umgesetzt, wie beispielsweise die Abschaffung von Jahresgehältern an schon abgewählte Politiker. Diese Plena fanden in riesigen Sälen statt und brachten mancherorts hunderte Menschen an einem Abend zusammen. Gegen den Stillstand und für neue Perspektiven.

tung

(1) UNDP, Human Development Report 2013

(2) Transparency International; www.transparency.org/country#BIH. Bosnien und Herzegowina befinden sich auf dem Corruption Perception Index auf Platz 72, zusammen mit Serbien, hinter Kroatien und Montenegro, aber vor Kosovo und Albanien, und auch vor Ländern wie Griechenland oder Bulgarien.

(3) www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/BosnienUndHerzegowina/Wirtschaft_node.html

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