Gekommen, um zu bleiben

Karl Meyerbeer, Pascal Späth (Hrsg.): „Topf & Söhne – Besetzung auf einem Täterort“, Verlag Graswurzelrevolution 2012

Mit dem Topf-Squat in Erfurt verbinde ich nicht viele, aber gute Erinnerungen. Ein Konzert mit anschließender Party, bei der trashiger Elektropop und eine rosa Federboa zum Einsatz kamen… Ein böllernder Kanonenofen im Veranstal­tungsraum, der den Kunststoff meiner Regenjacke noch auf 40-Zentimeter-Distanz zum Schmelzen brachte. Verdammt leckeres Essen. Zu zwölft im Hochbett pennen. Ein verkatertes Frühstück, flockende Sojamilch im Kaffee. Im Regal neben der Couch Aktenordner mit politischem Bildungsmaterial. Der Ausblick aus dem Fenster im ersten Stock zeigt trübes Wetter und Industrieruinen… Und dann 2009, kurz nach der Räumung des Hauses, eine recht verpeilte Soli-Aktion in Leipzig, die schon im Polizeikessel startete. Später versuchten wir, ein Häufchen von ca. zwanzig Leuten, weit abgeschlagen vom Hauptfeld der Demonstration, den Berufsverkehr am Connewitzer Kreuz zu stoppen…

In ähnlicher Weise erinnern sich offenbar viele Menschen. Acht Jahre lang, vom April 2001 bis April 2009, war das besetzte Haus auf dem ehemaligen Gelände der Firma Topf & Söhne ein wichtiger Anlaufpunkt für Erfurt und darüber hinaus. Ein Ort für Subkultur und Politik, für Diskussionen und Partys, ein Ort, der geschichtliche Bedeutung mit aktueller antifaschistischer Praxis vereinte. Und es gibt unzählige Menschen, deren Lebensläufe durch die Besetzung geprägt wurden, die sich in irgendeiner Weise mit dem besetzten Haus verbunden fühlten.

So sollte „Topf & Söhne – Besetzung auf einem Täterort“, kürzlich im Verlag Graswurzelrevolution erschienen, auch ursprünglich bloß eine Broschüre werden. Wegen der Vielzahl der Zuschriften wurde dann doch ein Buch daraus…

Die Zeit der Besetzung wird im ersten Teil des Bandes beleuchtet. Die Form der Texte ist vielfältig, Analytisches wechselt sich mit persönlichen Rückblicken und Interviews ab. So entsteht nach und nach ein Gesamtbild der verschiedenen Fraktionen und Individuen, die das Haus belebten: Polit-Aktivist_innen und Party-Macher­_innen, gelegentliche Gäste und dauerhaft Engagierte. Bauwagenpunks erteilen gute Ratschläge an die jüngere Generation („Nicht so viel Müll rumliegen lassen, sonst kommen Ratten“). Und ganz nebenbei wird so auch ein Stück Bewe­gungs­geschichte geschrieben, spiegeln sich in der Geschichte des Hauses die großen Debatten der letzten zehn Jahre wider. So geht es natürlich um Antisemitismus und Israelsolidarität, um Antifaschismus und Arbeitskritik, aber auch um szeneinternes Macker­tum und die Definitionsmacht bei sexuellen Übergriffen.

Der zweite Abschnitt des Buches befasst sich dann mit der Geschichte des Geländes und führt damit tief in die Abgründe der deutschen Vergangenheit.– die Firma Topf & Söhne produzierte während des 2. Weltkriegs Krematoriumsöfen für Ausch­witz. Nach einem kurzen Abriss der Unternehmensgeschichte werden die Biographien der am Ofenbau beteiligten Ingenieure behandelt. Dabei ist es erschreckend, wie indifferent diese dem Zweck ihres eigenen Handelns, der industriellen Vernichtung von Menschen, gegenüberstanden. Dabei waren die weit davon entfernt, bloße Befehlsempfänger zu sein, sondern bemühten sich vielmehr darum, immer effizientere Methoden der Leichenverbrennung zu entwickeln. Auch die Lage der bei Topf & Söhne beschäftigen Zwangsarbeiter_innen wird beleuchtet, die Entwicklung der Firma nach 1945, und schließlich das Bemühen der Besetzer_innen um eine angemessene Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes – durch eigene Nachforschungen, Rundgänge, Vorträge und durch eine aktuelle antifaschistische und gesellschaftskritische Praxis.

Umso krasser erscheint es im Rückblick, dass das Gelände im April 2009 mit einem Großaufgebot schwer bewaffneter Polizei geräumt wurde – anschließend wurden mit dem ehemals besetzten Haus auch die meisten anderen Gebäude dem Erdboden gleich gemacht, um Raum für Gewerbeflächen, einen Supermarkt und einen Parkplatz zu schaffen. Die dramatischen Ereignisse der Räumung nehmen den dritten Teil des Buches ein. Auch hier wechselt die Form der Texte zwischen Interviews, Analysen und persönlichen Berichten. Wut, Hilflosigkeit und Enttäuschung scheinen ebenso durch wie der „kaputte Charme der letzten Tage“ (so eine Kapitelüberschrift). Und Bernd das Brot darf natürlich auch nicht fehlen…

Dabei wird noch einmal klar, was für eine riesige Lücke das Ende des Hauses hinterlassen hat. Dieses Buch ist ein würdiger, bewegender, vielschichtiger, komischer, chaotischer, wütender und natürlich auch etwas wehmütiger Nachruf auf ein Projekt, das in dieser Form sicher einzigartig war.

justus

Rezension

Schreibe einen Kommentar