Gesellschaft für eine lustigere Gegenwart

Ich traf mich mit den drei jungen Männern von der „Gesellschaft für eine lustigere Gegenwart“ im Freisitz vom Conne Island. Hinter uns wurde geskatet, nebenan Sportzigaretten geraucht. Nur hatte ich leider vergessen, mir selbst was zu trinken mitzunehmen und musste entsprechend tief in die Tasche greifen.

?: Ihr wart zuvor im Bündnis gegen den Krieg aktiv und habt nun euren Schwerpunkt auf Überwachung und Repression verlagert. Wie kam es dazu und was für einen Zusammenhang seht ihr zwischen diesen Themen?

A: Es gibt da eigentlich mehrere Linien, die uns dazu gebracht haben. Eine davon war das Dilemma des Bündnis gegen den Krieg, sich gegen Politiken zu wenden, die nicht im Einflussgebiet sind, sprich wenn man was gegen einen Krieg machen will, der in erster Linie von den USA und dem Irak geführt wird, dann hat man natürlich wenige Angriffsmöglichkeiten von Leipzig aus. Daraus sind Überlegungen entstanden, sich vor Ort „Sparring-Partners“ also Ansprechpartner für seine politischen Forderungen zu suchen. Zum anderen ging es auch darum zu zeigen, dass Gewalt und Militarisierung nicht nur Probleme der US-amerikanischen Außenpolitik sind, sondern auch im Alltag greifen. Und Leipzig ist bekannt für seine repressive Stadtpolitik durch das Pilotprojekt der Videoüberwachung. Deshalb wollten wir dort ansetzen. Aber wir beschäftigen uns aber auch noch mit anderen Phänomenen der Militarisierung der Gesellschaft, beispielsweise haben Mitstreiter des Bündnisses gegen Krieg zur 13. Panzerdivision recherchiert, wo in Leipzig, vor Ort, Auslandseinsätze vorbereitet werden.

B: Wir haben damals im Bündnis überlegt, auf welchen verschiedenen Ebenen es wichtig ist, sich mit dem Irak-Krieg oder eben den neuen Weltordnungskriegen auseinander zu setzen und wir haben unseren Schwerpunkt auf die spezifischen Veränderungen der Weltpolitik nach dem 11. September gesetzt und dazu gehört eben auch, dass dieses Datum eine Markierung für eine Welle von anti-freiheitlichen Gesetzen, Verschärfungen und Repression darstellt. Da besteht ein direkter Zusammenhang zwischen diesen Kriegen und der Verschärfung der Gesetzgebung zur inneren Sicherheit. Aber natürlich hat das auch mit persönlichem Interesse am Thema Überwachung zu tun.

?: Ist Kameraüberwachung eine Form von Gewalt?

A: Jein. Kameraüberwachung soll soziale Probleme nicht lösen, sondern unterdrücken und verdrängen. Das würde ich schon als Form von Gewalt bezeichnen, wenn auch nicht in erster Linie als „schmerzliche“ Gewalt…

B: Das kann schon schmerzlich sein, im Winter frieren zu müssen, wenn man sich sonst im Bahnhof aufgewärmt hat. Aber es ist schon eine andere Gewalt als beispielsweise Repression gegen Globalisierungskritiker.

C: Es ist auf jeden Fall strukturelle Gewalt und diese wird durch Kameraüberwachung insgesamt gefestigt.

A: Jedenfalls ist es eine repressive Ordnungsmaßnahme, die zeigt, wie eine Gesellschaft ihre BürgerInnen behandelt und ordnet.

?: Wollt ihr euch weiterhin auf Videoüberwachung konzentrieren?

B: Das war ein Einstieg, der in Leipzig Sinn macht wegen der Pionierrolle, die hier polizeilicher Videoüberwachung einnimmt. Außerdem sind das noch sichtbare, – nicht wirklich offene – aber sichtbare Veränderungen, die stattfinden. Deshalb haben wir damit angefangen und diesen Videoüberwachungs-Stadtplan erstellt. Jetzt geht es uns aber darum, dieses Phänomen in die Gesamtheit der Überwachungstechnologien und -praktiken einzubetten.

A: Videoüberwachung fällt den Leuten noch auf und sie sind sensibilisierbar, während Fragen der Rasterfahndung und der biometrischen Erfassung noch ziemlich unbekannt sind. Es ist viel schwieriger, diese abstrakten Phänomene zu vermitteln, und schließlich mit seiner Kritik gehört zu werden. Insofern war Videoüberwachung ein guter Aufhänger für eine Kritik an der Überwachungsgesellschaft.

B: Ich würde nicht den Begriff „Überwachungsgesellschaft“ verwenden, ich bin immer skeptisch, wenn irgendwelche „Gesellschaften“ ausgerufen werden. Überwachung ist eine Art, wie soziale Probleme und Krisen gedeckelt werden, aber sie ist nicht der Kern des Ganzen.

A: Jein. Ein weiteres Problem ist immerhin, dass ständig neue Technologien entstehen, wo noch keine Diskussion geführt wird, inwieweit diese einen Eingriff in das, was wir als Persönlichkeitsrechte wahrnehmen, mit sich bringen. Diese Technologien werden unser Leben und unser Verständnis von Privatheit auf jeden Fall verändern.

?: Womit wollt ihr dieses Thema Verbindung bringen?

A: Wir werden versuchen sichtbar zu machen, was in der Ordnung des Stadtraumes sonst noch wirkt, also Kontrollen von Polizei, privaten Sicherheitsdiensten, Bahnschutz und Ordnungsamt. Über Leipzig hinaus sind die neuen Pass- und Visabestimmungen von Bedeutung

B: Ich würde sagen, es gibt eine globale Entwicklung durch neue Bedrohungsszenarien, politische Konzepte und technische Möglichkeiten, die sich lokal aber dennoch unterschiedlich auswirken. Man muss die Rahmenbedingungen im Auge behalten aber trotzdem an konkreten Punkten ansetzen, wo man Widerstandsperspektiven hat.

?: Angesetzt habt ihr beispielsweise mit diesem Stadtrundgang zur Videoüberwachung. Was war da eure Intention und wie bewertet ihr ihn im Nachhinein?

B: Wir wollten verschiedene Mechanismen der Überwachung hautnah erlebbar machen, wie man gefilmt wird, überwacht wird und Datenspuren hinterlässt, Potentiale für Ausgrenzung und Repression aufzuzeigen aufzeigen. Da kann man auch legalistisch argumentieren, dass in die Grundrechte eingegriffen wird.

A: Diese Potentiale zur rassistischen und sozialen Ausgrenzung werden im Moment zwar wenig wahrgenommen, können aber in Zeiten ökonomischer und sonstiger Krisen schnell ausgeschöpft werden.

B: Zur Einschätzung: Ich bin im Großen und Ganzen zufrieden, weil es eine Menge positiver Reaktionen gab und erstaunlich viel Medienpräsenz. Das merkt man an diesem Interview, aber auch im ND, der jungen Welt und der LVZ kamen Berichte, wobei wir bei der LVZ gar nicht zufrieden damit sind, was sie geschrieben haben. Aber wir haben es geschafft wahrgenommen zu werden und auch den vielen Lesern der LVZ klarzumachen: „Wir finden das total Scheiße, was da läuft“, das ist schon mal etwas. Wo ich gespalten bin, ist die Tatsache, dass wir bei vielen, die nicht von vornherein kritisch eingestellt waren, es nicht geschafft haben zu überzeugen. Da kam dann immer wieder das Argument: „Aber ich hab doch nichts zu verbergen, dann kann mir das doch egal sein.“ Da ist so ein Grundvertrauen, dass die gesammelten Daten schon nicht gegen einen verwendet werden.

A: Es ist auch viel erwartet, alle in zwei Stunden zu überzeugen. Aber die Stimme der Kritik wurde wahrgenommen und das kann auch einen Prozess des Nachdenkens in Gang bringen. Es lief jedenfalls besser als unsere Veranstaltungen im Vortrags-Format, wo kaum jemand kam. Diese Form scheint mir ein bisschen eingeschlafen zu sein. Es war gut, mal wieder die Kritik in die Stadt zu tragen.

C: Die Vorankündigungen in der LVZ und so waren ja auch offen gehalten, es war nicht klar, dass wir dagegen sind. Es war ein Stadtrundgang mit Information und dadurch konnten wir auch über die Szene hinaus Leute erreichen.

?: Ich habe mich gewundert, dass ihr euch eher positiv auf den Datenschutzbeauftragten bezogen habt, so mit: „Diese Polizeikamera ist nicht genehmigt, wir werfen hier jetzt einen Brief an den Datenschutzbeauftragten ein, und der bringt das dann in Ordnung“.

B: Nie!

A: Ich dementiere. Ich denke, dass der Datenschutz in Deutschland den Weg bereitet hat für Videoüberwachung, eben durch dieses Pilotprojekt, das der damalige, von uns nicht geliebte, sächsische Datenschutzbeauftragte Thomas Gießen genehmigt hat. Er hat später für einen Datenschützer noch eine seltsame Berühmtheit erlangt, als er nach dem Kofferfund im Dresdener Bahnhof mehr Videoüberwachung gefordert hat und kritisierte, das die Kameras nicht 24 Stunden am Tag aufzeichnen.

B: Zu dieser Eingabe, die wir gemacht haben: Ich denke, dass es wichtig ist, auf allen möglichen Ebenen, wo man was machen kann, das auch zu tun. Eine prinzipielle, radikale Kritik zu formulieren und trotzdem eine Eingabe an den Datenschutzbeauftragten zu machen ist für mich überhaupt kein Widerspruch. Außerdem dachten wir, das wäre eine Handlung, die von den Medien gut transportiert werden kann und Leuten den Einstieg ins „Kritisch-Sein“ leichter macht.

?: Was habt ihr jetzt an weiteren Aktivitäten vor?

C: Also zunächst ist ein sechsteiliges Radioprojekt angedacht, wo wir mit Interviews und so verschiedene Aspekte dieses Themas näher beleuchten wollen.

B: Wir wollen am Beispiel einer Stadt mit unterschiedlichen Schwerpunkten zeigen, wer ausgegrenzt wird und was für Institutionen dabei welche Rolle spielen. Dann gibt es noch ein zweites Konzept, ein Workshop oder eine Podiumsdiskussion, die sich eher auf einer theoretischen Ebene mit den gegenwärtigen Entwicklungen auseinandersetzt. Was gibt es für neue Techniken, was für Anlässe und Vorwände für Repression auch gegen Linke und Globalisierungskritiker. Es soll um die Rahmenbedingungen gehen und um Perspektiven des Widerstandes. Aber beides, Radioprojekt und Workshop klappen nur, wenn sich noch Leute finden die sich beteiligen wollen.

?: Wie kann man euch unterstützen?

B: Man kann natürlich einfach bei uns mitmachen, am besten ist aber, wenn sich jemand für eins unserer Projekte interessiert. Es gibt da ganz konkrete Möglichkeiten: Man kann unsere Kamerakarten aufhängen, man kann für das Radioprojekt recherchieren oder auch selbstverantwortlich oder mit uns zusammen einen Beitrag machen.

A: Wir sind eigentlich für jede Form von Zusammenarbeit offen.

?: Ja, schön. Vielen Dank. Dann stoppen wir mal die Überwachung und ich mach das Tonband aus.

B: Oh, so haben wir das noch gar nicht gesehen…

maria

Kontakt: gflg@gmx.de
www.leipziger-kamera.cjb.net

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