Grenzfall Südosteuropa

Leben mitten am Rand der EU

„I think borders are something very human, because the human being is not able to think about something that is not ending.“ (Zitat aus dem Film „borderline“)

Jeder und jede, der/die schon mal in den mittel- und osteuropäischen Regionen Europas umhergereist ist, kennt folgendes Bild: eine löchrige, staubige Straße in irgendeiner Stadt. Graue, herunterge­kommene Häuser und Wohn­blocks. Inmitten dieser Kulisse werden Obst, Gemüse, Honig und Fisch von den Einheimischen aus eigenem Anbau ange­bo­ten. Ärmlich aussehende Frauen wiegen ihre Kinder im Arm und preisen ihre Produkte an. Rentnerinnen sammeln leere Glasflaschen in Beuteln. Irgendwo stehen Musikanten mit dunklem Teint, Kinder spielen und manche betteln um ein paar Münzen…

Doch das ist nur die – manchmal fast romantisch anmutende – Oberfläche einer weit verbreiteten Misere. Viele dieser Menschen in den post-sozialistischen Ländern leben am Rande oder unterhalb des Existenzminimums und haben wenig Perspektiven auf eine Verbesserung ihrer Situation. Egal, ob in der Tschechischen Republik, in der Slowakei, Rumänien oder Bulgarien – die Einverleibung in die Europäische Union steht bevor oder ist gerade erfolgt. Auch wenn die jeweiligen Staaten stufenweise und mit immensem finanziellem Aufwand an die ökono­mischen, politischen und sozialen Stan­dards des westlichen Europas herangeführt werden sollen – um überhaupt „EU- reif“ zu werden – so gibt es doch viele Defizite und unübersehbare Gegensätzlichkeiten, die den „European Dream“ von der sozialen Realität trennt. Wie erleben die Menschen in diesen Ländern die Vorgänge und die ihnen auf verschiedene Art und Weise gesetzten Grenzen im Alltag? Wie empfinden sie die Veränderungen seit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“, der vielerorts als Revolution gefeiert wurde und mehr Freiheit und ein besseres Leben mit sich bringen sollte?

Das Berliner „Videokassetten-Tief­seh­magazin“ AK Kraak hat im Herbst 2003, also noch vor der EU-Ost­erweiterung im Mai 2004, eine Reise ent­lang der „Bor­derline South-East-Europe“ unternommen. Ihr dabei ent­standener Doku­men­tarfilm gleichen Titels führt uns in deutsche, tschechische, slowakische, ungarische, rumänische, bulgarische, türkische und ukrainische Grenzregionen. Die vorge­stellten Gebiete erscheinen wie ein Flickenteppich be­stehend aus verschie­de­nen Kulturen, Ge­schichten und Kon­flikten. Im Zwischen­titel aus dem Film heißt es dazu: „Dort sprachen wir mit Leuten über ihre soziale Situation und ihre Erfahrungen mit allen möglichen Gren­zen“. Herausgekommen ist ein Mosaik aus Eindrücken von Städten und Dörfern, gemischt mit Erfahrungen und Statements der Interviewten vor Ort.

>Grenze< ist dabei das vereinende Thema – welches aufgrund der unterschiedlichen Lebenswelten und Erfahrungen eine vielfältige Bedeutung und Beurteilung erfährt. Ob vietnamesische Billighändler, Flüchtlinge auf Transit in den reichen Westen, Schmuggel oder Bewegungs­einschränkung und Visabeschaffung. Auch Begrenzung durch soziale Diskrimi­nierung und die Ausgrenzung der Roma im Besonderen zeigen die Fülle an Problemen, für deren Lösung es mehr braucht, als eine rosige EU-Perspektive zu propagieren. Im Gegenteil: Es wird deutlich, wie sehr die Menschen trotz mancher Chancen, die mit der Osterwei­terung zusammenhängen, vor allem Zweifel haben, ob sie durch diese politi­schen Vorgänge nicht noch mehr Ein­schränkungen und Verschlechterungen ertragen müssen. Es kommt der Eindruck auf, dass sie mit ihren Befürchtungen bei den Entscheidungen der politischen Eliten schlicht übergangen werden, mit der Rechtfertigung, es gäbe ja keine andere Wahl. Und dabei spielt es keine Rolle, ob dies ein rumänischer Rentner oder ein slowakischer No-Border-Aktivist ist.

AK Kraak lässt bewusst subjektive Ein­drücke, unbeantwortete Fragen und leise Wünsche im Raum stehen. Es ist eben nur eine Momentaufnahme, die auf Mittel- und Osteuropa Erfahrene ebenso wirkt, wie auf Leute, die sich weniger mit dem Thema beschäftigt haben. Natürlich kann man bei einer 60-minütigen Film­rund­­reise keine ausführlichen Länder­studien er­warten. Aber die Doku bietet eine Sensibi­lisierung für die Thematik und schafft Anreize, sich kritisch mit den ange­schnittenen Themen zu beschäftigen. Also: einfach mal anschauen und ein bisschen grenzüberschreitende post-soz-Atmosphäre mit einem Schuss Europa­skepsis in sich aufnehmen!

nyima

www.akkraak.squat.net

Schreibe einen Kommentar