Gutes Gewissen durch Konsum

Ohne die fossilen Brennstoffe wäre der Kapitalismus wohl nicht möglich gewesen. Die Kohle der englischen Bergwerke war die Energiequelle der Industrialisierung, sie trieb die Dampfmaschinen an, welche die alte Form der handwerklichen Heimarbeit verdrängten. Diese Konkurrenz beraubte einen Großteil der Bevölkerung ihrer bisherigen Lebensgrundlage. Die Besitzlosen strömten in die Städte, um als formal freie Lohnabhängige ihre Arbeitskraft auf dem Markt anzubieten, die Fabriken zu füllen. Der Mehrwert, den ihre Arbeit abwarf, ermöglichte die weitere Expansion.

Das Öl verdrängte schließlich als neuer Treibstoff die Kohle, mit der von Henry Ford eingeführten Fließbandarbeit und den dabei produzierten Automobilen ging der Kapitalismus in die nächste Phase. In diesem Prozess wurden zwar gewaltige Produktivkräfte freigesetzt, die alte Hoffnung der Liberalen, der freie Markt würde letztlich für das Wohlergehen aller sorgen, erfüllte sich aber bekanntlich nicht. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Maschine in´s Stocken geriet. Heute ist nicht nur klar, dass die weltweiten Ölreserven in absehbarer Zeit erschöpft sein werden, sondern auch, dass das massenhafte Verfeuern fossiler Brennstoffe wohl insgesamt keine gute Idee war. Vom Horizont her droht die Klimakatastrophe.

Es wäre also angebracht, nach Alternativen zu suchen. Das ist aber schwierig, wenn man gleichzeitig den Klimawandel stoppen und das Wirtschaftssystem retten will, das diesen erst verursacht hat. Die politische Klasse übt sich also in Symbolik und versucht z.B. per Emissionshandel (siehe oben) den Kapitalismus zwar nicht umweltfreundlich, aber zumindest nicht mehr ganz so schädlich zu gestalten.

Gesund und nachhaltig

Manche Leute brechen darum schon in Jubel aus: „Die Trendforscher und Wirtschaftsexperten sind sich einig: Der Werte- und Systemwandel in der Konsum- und Wirtschaftslandschaft hin zu einer qualitätsorientierten nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise ist in vollem Gange. Dieser Wandel hat dramatische Folgen für alle Unternehmen. Unternehmerische Verantwortung (…) rückt zunehmend in das Zentrum unternehmerischen Handelns, denn die neuen kritischen Konsumenten gewinnen an Einfluss, dem sich kein Anbieter entziehen kann“ (1). Das Zitat stammt von KarmaKonsum, laut Selbstauskunft (2) „eine der führenden Trendforschungs- und Marketing-Beratungsgesellschaften zum Thema nachhaltige und gesunde Lebensstile (LOHAS)“.

LOHAS steht für Lifestyle Of Health And Sustainability und ist das neue Zauberwort der Marktforschung. Damit werden die Anhänger_innen eines gesunden, nachhaltigen Konsums bezeichnet, eben die erwähnten neuen kritischen Konsumenten ein Marktsegment, das sich weitgehend mit der Wählerschaft der Grünen decken dürfte. Das LOHAS-Kundenprofil sieht etwa so aus: Sie sind meist 40 bis 50 Jahre alt, akademisch gebildet, idealistisch, ökologisch und sozial interessiert, kaufen gern im Bioladen ein, verfügen also auch über das dafür notwendige überdurchschnittliche Einkommen. Grob geschätzt gehören etwa 10% der deutschen Bevölkerung dieser Klientel an, Tendenz steigend. Ein lohnendes Geschäftsfeld also, auch weil die LOHAS (anders als die alte Ökobewegung) nicht auf Verzicht setzen, sondern Nachhaltigkeit mit Hedonismus und Konsum verbinden wollen und nicht nur bereit, sondern auch fähig sind, für „nachhaltige“ Produkte etwas mehr zu bezahlen.

Diesem Konsum-Milieu stehen die Unternehmen gegenber, die dieses mit entsprechenden Waren beliefern und sich selbst mit dem Schlagwort „LOHAS“ vermarkten. Marketinggesellschaften wie KarmaKonsum fungieren als Mittler zwischen diesen beiden Polen. Sie melden nicht nur vorhandene Trends an die Unternehmen weiter, sondern wirken auch aktiv auf den Markt ein und versuchen als Multiplikatoren den Kundenkreis zu erweitern. Dabei nimmt derzeit wohl die UtopiaAG (die das größte deutschsprachige Internetforum für korrekten Konsum betreibt) die Führungsrolle ein.

Diese Vermittlungsarbeit ist nicht zu unterschätzen. Schließlich sind die LOHAS (laut KarmaKonsum) eine anspruchsvolle und gut informierte Konsumentengruppe, die mit konventionellen Marketingbotschaften kaum zu erreichen ist. Stattdessen legen sie Wert auf Authentizität und ein glaubwürdiges Auftreten der Unternehmen. Auch das Marketing muss also umdenken: „Das Internet ist das Leitmedium und Informations-Plattform  dieser Bewegung schlechthin. (…) Die neue Moral ist geboren aus dem Geist der Netzwerke: Viral Marketing und Mundpropaganda über eigene Erfahrungen sind relevanter im Entscheidungsprozess als die meisten Werbeversprechen. Die Veranstaltung KarmaKonsum-Konferenz liefert Ihnen die Informationen, die Sie zum Verständnis und im Umgang mit den neuen ökologischen Subkulturen benötigen“ (2).

Solche Konferenzen (wie sie nicht nur KarmaKonsum, sondern auch Utopia einmal im Jahr veranstalten) richten sich vor allem an die Unternehmen als Zielgruppe. Für die Einbindung der konsumierenden Basis ist dagegen die Webpräsenz das wichtigste Mittel, wo z.B. über Diskussionsforen die Möglichkeit zur Partizipation gegeben wird. Etwas Graswurzelaktionismus gibt´s gratis dazu: KarmaKonsum organisiert z.B. auch Flashmobs, während Utopia zur letzten Bundestagswahl zur Umgestaltung von Wahlplakaten aufrief und entsprechendes (mit dem eigenen Logo versehenes) Material verschickte.

Von diesen harten Fakten abgesehen scheint es aber schwierig zu erklären, was Unternehmen wie KarmaKonsum oder Utopia eigentlich machen. Denn bei allem vordergründigen Aktivismus tun sie tatsächlich ziemlich wenig. Ein Großteil der Aktivität erschöpft sich in der Pflege des eigenen guten, „authentischen“ Images. Dieses lässt sich anschließend verwerten, wenn man als „ehrlicher Makler“ mit anderen Unternehmen zusammenarbeitet und diese vom eigenen guten Ruf profitieren lässt.

KarmaKapitalismus

Dabei soll es freilich nicht nur um´s Geschäft gehen, sondern auch um Ideale. So will die UtopiaAG nicht nur „dazu beitragen, dass Millionen Menschen ihr Konsumverhalten und ihren Lebensstil nachhaltig  verändern“, „mit jedem Kauf umweltfreundliche Produkte und faire Arbeitsbedingungen in aller Welt unterstützen“, sondern auch „einen starken Impuls in Richtung Unternehmen setzen, dass es richtig und wichtig ist, ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig zu handeln“, um so das erwartete „grüne Wirtschaftswunder“ voranzubringen (3). KarmaKonsum-Macher Christoph Harrach bringt diese Philosophie mit dem Slogan „Do Good with your money“ auf den Punkt (4).

Das Problem ist nur, dass man erst mal Geld haben muss, um etwas Gutes damit anstellen zu können. Wo sollen etwa die hiesigen Erwerbslosen die Mittel hernehmen, um sich teure Bio- und Fair-trade-Produkte leisten zu können? Und was haben z.B. die Bewohner_innen südamerikanischer Slums vom fairen Handel, wenn sie gar nicht in der Lage sind etwas zu produzieren, was sich auf dem Weltmarkt losschlagen ließe? Die Antwort auf diese Fragen bleiben die LOHAS-Vordenker_innen trotz aller Avantgarde-Ansprüche leider schuldig.

So ist der LOHAS-Hype auch nur eine ökologisch aufgehübschte Variante des alten liberalen Irrglaubens von der ordnenden „unsichtbaren Hand“ des Marktes (die deswegen unsichtbar ist, weil sie nicht existiert). Er bildet damit auch die bislang letzte Schwundstufe der Ende der 1970er so hoffnungsfroh gestarteten Ökologie- und Alternativbewegung. Hatte diese (bei allen ideologischen Fragwürdigkeiten) doch einen Anspruch auf grundsätzliche gesellschaftliche Veränderung, so ist ein nicht geringer Teil der Bewegung mittlerweile in der Bürgerlichkeit angekommen. Die LOHAS-Konsument_innen vollziehen nach, was die Grünen im Bereich der parlamentarischen Politik vorgemacht haben: Der einstige politische Anspruch wird durch Moral ersetzt.

Gegen die Aufforderung zum bewussten Konsum wäre noch wenig einzuwenden, wenn dieser nur als Beitrag zur Problemlösung und nicht als die Lösung selbst propagiert würde. Eben dies schwingt im Hintergrund mit, wenn Harrach in einem Interview (5) scheinbar vorsichtig behauptet: „Ob der Konsum dafür ausreicht, die Welt zu retten, weiß keiner.“ Da irrt er sich, denn wissen könnte man das durchaus. Die Antwort lautet Nein.

Aber leider betreibt Harrach nur Markt- und keine Ursachenforschung. Und er glaubt nicht nur an die unsichtbare Hand des Marktes, sondern auch an allerlei sonstige unsichtbare Hände – der Name seiner Firma deutet es schon an. Zwar übersetzt Harrach den Begriff „Karma“ scheinbar realistisch als „Konzept von Ursache und Wirkung“. Der esoterische Name seiner Firma dürfte aber dennoch nicht nur dem Umstand geschuldet sein, dass KausalKonsum einfach nicht so geil klingt. Denn um reale Kausalzusammenhänge geht es hier nur am Rande. Vielmehr soll der Name KarmaKonsum eine „Haltung des verantwortungsvollen und ethischen Konsums“ bezeichnen. Es geht also vor allem um die richtige Haltung, das eigene gute Gewissen, und weniger um wirkungsvolles Handeln. Es ist eben alles nur eine Frage der richtigen Einstellung…

Um die geht es auch der Utopia-Chefin Claudia Langer. Deshalb bemüht sie sich eifrig, die Probleme der Welt so zu definieren, dass sie zu der von ihr bevorzugten Lösung passen. So habe z.B. „die Finanzkrise der letzten Monate gezeigt, wohin ungezügelte Gier uns bringt. Ja, nachhaltig wirtschaften macht also Sinn, auch für Unternehmen“ (6). Dass Unternehmer_innen Gewinn machen und Gewinn machen müssen, ist also völlig in Ordnung – sie dürfen nur nicht zu gierig sein, also auch noch Gewinn machen wollen. Es scheint für Frau Langer undenkbar zu sein, dass es womöglich die Spielregeln der Marktwirtschaft selbst sind, die regelmäßig zu Krisen führen, und nicht das individuelle Fehlverhalten von Einzelpersonen, die sich in ungezügelter Gier nicht an diese Regeln halten. Es ist also nur menschliches Versagen, wenn unser Wirtschaftssystem nicht so funktioniert, wie es soll…

Grün, ja grün…

Dieser Denkfehler erklärt wohl auch die Beliebigkeit, die die UtopiaAG in der Wahl ihrer Partner an den Tag legt. Zu denen zählen u.a. die Deutsche Telekom AG oder die Otto Group, Unternehmen also, die mit sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit wenig am Hut haben. So bemüht sich der US-amerikanische Ableger der Telekom seit Jahren darum, eine gewerkschaftliche Organisierung seiner Beschäftigten zu verhindern. Und manch eine_r erinnert sich wohl noch an den Skandal, den es hervorrief, dass die deutsche Telekom die gesammelten Verbindungsdaten nutzte und Privatdetektive anheuerte, um Mitarbeiter_innen zu bespitzeln. Aber bei Utopia weiß man ja: „Ein  großes Ziel braucht viele Unterstützer!“ Da kann mensch nicht wählerisch sein und erlaubt selbst dem Verband der Automobilindustrie, auf der Utopia-Website zu werben.

Damit spiegelt Utopia zumindest einen Trend der Wirtschaftswelt treffend wider. Denn immer mehr Firmen üben sich im „Greenwashing“, versuchen also, sich ein ökologisches Image zu geben. Wie das funktioniert, zeigt z.B. der Stromkonzern Entega, einer der Partner von Utopia (7). Obwohl Entega sich selbst als Ökofirma vermarktet, handelt es sich dabei um ein Subunternehmen von Konzernen, die ganz und gar nicht „öko“ sind, nämlich der Stadtwerke Mainz und der HSE (bei der wiederum der Stromkonzern E.ON 40% der Aktien hält). Das Manöver, die eigenen spärlichen Ökostrom-Anteile (3% bei den Stadtwerken bzw. 10% bei der HSE) in eine neue Firma auslagern, zielt darauf ab, über die neue Fassade ein besseres Image und damit neue Kunden zu bekommen.

Kein Wunder. Schließlich dürften die wenigsten Unternehmen ein Interesse haben, ihre alten und immer noch Gewinn abwerfenden Produktionsanlagen einzumotten oder gemäß den Grundsätzen der Nachhaltigkeit umzurüsten. Da ist es allemal billiger, wenn der Systemwandel nur beim Marketing stattfindet, dieselben Produkte also nicht mehr als „gut & günstig“ beziehungsweise „jung, wild & sexy“, sondern als „gesund & nachhaltig“ beworben werden. So warb Anfang 2010 der Discounter Lidl in einem Werbeprospekt: „Lidl setzt sich weltweit für faire Arbeitsbedingungen ein.“ Aufträge würden nur an „ausgewählte Lieferanten und Produzenten“ vergeben. Dabei stammt ein Großteil der bei Lidl verkauften Textilien aus Sweatshops in Südostasien und wurden nachweislich unter miserablen Arbeitsbedingungen produziert. Auf eine Klage wegen unlauteren Wettbewerbs hin musste Lidl seine Werbeprospekte wieder einstampfen. An seiner Strategie hat der Konzern dennoch nichts geändert. Jetzt wirbt er mit den Worten: „Nachhaltigkeit hat seit vielen Jahren für Lidl einen hohen Stellenwert.“ Das ist doch schon mal ein kleiner Schritt in eine bessere Zukunft…

(justus)

 

(1) karmakonsum.de/konferenz/hintergrund/

(2) www.karmakonsum.de/info/geschaeftsfelder.html

(3) www.utopia.de/utopia#partnerwahl

(4) www.karmakonsum.de/2007/06/12/in-eigener-sache-excitinggreen-wird-zu-karmakonsum/

(5) jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/425980

(6) www.utopia.de/blog/unterwegs-nach-utopia/warum-wir-nicht-an-den-pranger

(7) www.andre-henze.de/wissenswertes/republica/utopia-watchblog/der-utopistische-pressespiegel.html

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