Hilfe! Anarchie ausgebrochen!

Auf dem entfernten „Planeten der Habenichtse“ Anarres macht sich ein Physiker auf nach Urras, dem verfeindeten Mutterplaneten, auch wenn er dadurch auf seiner Heimatwelt zum Verräter wird.

Science Fiction, das sind Raumschlachten, grüne Männchen, gruselige mordlüsterne Monster, der Kampf des Helden auf Leben und Tod… zumindest könnten solche Klischeebilder erste Assoziationen sein. Natürlich gibt es Romane, deren Schwerpunkt genau aus diesen Grundpfeilern besteht, jedoch zeigt Science-Fiction-Literatur viele verschiedenen Facetten, wenn mensch genauer hinschaut. In ihr werden potentielle Zukünfte der Menschheit oder anderer erfundener Gesellschaften gezeigt. In „Planet der Habenichtse“ kommt die Erde (hier: Terra) nur am Rande vor, als eine Welt die sich selbst zugrunde gerichtet hat. Die Handlungsorte sind der Planet Urras und sein Mond Anarres. Auf diesem Mond ist seit zwei Jahrhunderten Realität, was auf unserer Erde nur kurze Zeiträume Bestand hatte und in der Schulgeschichte keinen Platz bekam, eine Gesellschaft, die sich ohne Staat und Markt selbst organisiert. Eine solche Organisierung kann viele Gesichter haben. Wie eine solche Gesellschaft aussehen könnte, dies zu beschreiben, ist das Verdienst der Autorin, Ursula K. LeGuin und gleichzeitig politischer und philosophischer Background ihres Romans.

Nach der Niederschlagung eines odonischen Aufstands auf Urras wurde den Überlebenden erlaubt auszuwandern und den unwirtlichen Wüstenmond Anarres zu besiedeln. Odo, eine Sozialreformerin, die ihre anarchistischen Ideen niederschrieb und viele Menschen beeinflußte, erlebte diese neue Heimat nicht mehr. Eine Million AnarchistInnen jedoch nahmen die Möglichkeit wahr und bauten auf dem Mond, der bisher nur für den Bergbau genutzt wurde, eine Gesellschaft nach ihren Prinzipien auf, eine Gesellschaft basierend auf freier Kooperation und gegenseitiger Hilfe. Doch stehen dem Ideal viele Hürden entgegen. Nicht nur, dass Anarres für menschliche Besiedlung wenig geeignet ist: ihm fehlt die reiche Flora und Fauna, die Vielfalt der Natur von Urras, was zu Jahren des Hungers und der Not führt. Auch das Verfestigen von Strukturen, das Entwickeln einer Bürokratie, die das Prinzip der Gleichheit untergräbt, das ritualisierte Nachbeten odonischer Formeln gefährden eine anarchistische Gesellschaft.

Zweihundert Jahre nach der Revolution entscheidet sich der Physiker Shevek, den weitgehend abgeschotteten Mond zu verlassen und dem Ruf des verfeindeten Mutterplaneten Urras zu folgen.

Urras gleicht sehr der Erde des kalten Krieges mit seinen kapitalistischen, staatssozialistischen und labilen 3.Welt-Systemen, die für Stellvertreterkriege herhalten müssen. In Shevek ruht eine Idee, die die Raumfahrt revolutionieren könnte, und die im Koordinierungsgremium von Anarres, auf Widerstand stößt. Er möchte die Grenzen aufbrechen und Urras die Idee des Teilens bringen, je länger er jedoch auf Urras verweilt, desto mehr muß er erkennen, dass er dort fremd ist, dass seine Ideen Eigentum des Staates werden sollen, dass es dort nicht um Menschen, sondern um Macht geht…

Ursula K. Le Guin zeichnet ein faszinierendes Bild zweier Gesellschaftsformen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, beleuchtet den Menschen als Individuum und soziales Wesen und sein Zurechtkommen in gesellschaftlichen Systemen und nicht zuletzt die Frage inwieweit ein Mensch Gesellschaft verändern kann. Eine der wenigen positiven Utopien, eins der herausragenden Werke der Science Fiction-Literatur, ein Plädoyer für eine soziale Utopie, scheinbar fremd und trotzdem seltsam nah.

kater francis murr

Ursula K. LeGuin: „Planet der Habenichtse

– in der Buchhandlung erhältlich –

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