Ihr schuldet uns noch ein Leben

Anarchopunk in Großbritannien

1977 war ein Jahr, das auf politi­schem und kulturellem Gebiet fast eben­so weit­reichende Folgen hatte wie 1968. In der BRD eröffnete der „Deutsche Herbst“, die Ent­füh­­rung Hans-Martin Schleyers und kurz darauf einer Luft­hansa­­ma­schine eine neue Stufe in der Kon­frontation von linken Terro­ris­ten und staatlicher Repres­sion, die mit der Ermordung Schleyers und dem Tod der ersten RAF-Genera­tion in Stammheim endete.

1977 erreichten aber auch die Aktivitäten der italienischen „Au­to­­no­­mia“ ihren Höhepunkt. In vielen Städten besetzten Stu­dent_innen die Universitäten und lie­ferten sich – Seite an Seite mit Haus­besetzern, Arbeitern und Femi­nistinnen – Straßenschlachten mit der Polizei. In Bologna gelang es ihnen, für Tage die Kontrolle über die Stadt zu gewinnen. Der kom­munistische Bürgermeister rief schließ­lich das Militär zu Hilfe.

Und in Großbritannien veröffent­lich­ten im Mai 1977 – pünktlich zum 25. Thronjubiläum der Köni­gin – die Sex Pistols ihre zweite Single „God save the queen“. Mit der­lei Provokationen schaffte es die Band nicht nur auf die Titelseiten der Boulevardblätter, sie begrün­de­te auch die Popularität einer neuen Jugend­bewegung: Punk.

Kaufen vs. Selber machen

Auch wenn die Sex Pistols nicht nur willen­lose Komparsen waren, wie es ihr Manager Malcolm McLaren spä­­ter darstellte, waren sie doch ein durch­­kalkuliertes Kunst­produkt – ein Produkt, mit dem viel Geld ver­­dient werden sollte. Die In­­dus­trie spielte mit, Punkrock war für ca. ein Jahr das große neue Ding. Der alte Rock´n´­Roll-My­thos vom rebelli­schen jungen Mu­si­­ker, dem von fiesen Manager­ty­pen die Seele geraubt wird, trifft hier also nicht so recht zu. Die Sex Pis­tols waren vielleicht rebellisch – au­thentisch waren sie sicher nicht. Sie wurden auch nicht durch das Kapital korrumpiert, sie woll­ten von Anfang an daran teilhaben.

Den­­noch lösten sie etwas aus, was so nicht abzu­se­hen war. Um es mal über­spitzt zu sa­gen: Beim Punk fand nicht die kom­merzielle Aus­beu­­tung einer re­bellischen Subkul­tur statt, son­dern vielmehr wurde ein kommer­zielles Kunstprodukt von einer rebelli­schen Subkultur an­­geeignet, umge­wer­tet und für ei­ge­ne Zwecke nutz­bar gemacht.

Das wirklich Neue am Punk war nicht die Radikali­sie­rung altbe­kann­ter Rock´­n´­Roll-Provoka­tionen, sondern viel­mehr die Aufhebung der Grenze zwi­schen „Star“ und Publikum. Punk lieferte den Impuls für eine weit­gehende Demokratisierung der Pop­kultur. Musik zu machen, er­schien nicht mehr als ein nur wenigen vorbehal­te­nes Privileg. Ei­ne Gitarre halten und darauf Ge­räusche erzeugen konnte schließ­­lich jede/r, und so gab es auch kei­nen Grund, Musiker dafür zu Halbgöttern zu erheben. Im Zen­trum stand nicht mehr der „wil­de“ Rock­star, der auf der Bühne stell­ver­­tretend für das Publikum des­sen Bedürfnis nach Rebellion und Grenz­überschreitung ausagier­te, son­­dern das Publikum selbst, das sich nicht mehr auf die passive Kon­­sumentenrolle beschrän­ken ließ. Das ­Negativurteil „Das kann ja jeder!“ wurde ins Positive ge­wen­det – Punk bewies, dass wirk­lich jede/r Musik machen konnte.

Das „Jeder kann es machen“ wurde aber nicht nur auf das Musik­machen bezogen. Ebenso eignete mensch sich die Mittel an, um selbst Platten herauszubringen, unzählige (oft sehr kurzlebige) Labels wurden gegründet und foto­kopierte Fan­zines herausge­bracht. Derselbe Do-it-yourself-Ethos zeigt sich darin, dass z.B. die aus der Hausbeset­zerszene stam­men­de Band Scritti Politti auf der Rückseite ihrer ersten Single die genauen Preise für Aufnahme, Mastering, Pressung und Druck und entsprech­ende Adressen ab­druck­te. Punk hatte also auch ein starkes egalitäres, anti-hierarchi­sches Element – die Verbin­dung mit anarchistischen Inhalten und einer entsprechenden Praxis war nur folgerichtig. Den größten Einfluss auf diese Entwick­lung hatte sicher die Band Crass.

Hippies oder Punks?

Eine Weile gehörte es für Punks zum guten Ton, „Hippies“ zu hassen. Liebe und Frieden waren ja schö­ne Ideale – aber den Punks fiel es schwer, noch an moralisch ein­wandfreie Lösungen zu glauben. Eben daraus bezog Punk seine provokative Kraft. Die gesellschaft­lichen Zumutungen wurden nicht mehr im Stile der klassischen Protestsongs angepran­gert, viel­mehr schlug sich das Gefühl, bis zum Hals in der Scheiße zu stecken, in dadaistischer Kom­mu­­ni­kations- und Sinnverwei­ge­rung und sarkasti­scher Überaffir­ma­tion nieder: „Zurück zum Be­ton“ statt „Give peace a chance“. Die Betonung des Bruchs zwi­schen den Gene­ra­tionen verdeckt aber die Konti­nuitäten. In gewisser Wei­se waren Crass die vollkommen­ste Verkörpe­rung der Idee des Punk – mit ihrem simplen, energetischen Sound, den Künstler­namen der Mu­siker_innen (Steve Ignorant, Joy de Vivre, Penny Rimbaud), den ra­dikalen Anarcho­pa­rolen, ihrer Ab­sage an die Musik­in­­dustrie. Ande­rerseits waren sie aber auch ehema­li­ge Hippies, und ihr Leben in einer Land­kommune bei London (1) war defi­nitiv so hippie­haft wie nur möglich. Auch ihr Anarcho-Pazifis­mus war ein Rück­­griff auf die radikale Frie­dens­be­we­gung der 60er.

Crass waren von der Energie des Punk und dessen rebellischer Atti­tü­­de begeistert, aber enttäuscht da­von, dass die meisten Bands keine an­­­de­ren Ziele hatten, als einmal bei Top of the Pops aufzutreten. Also ver­­­suchten sie, es besser zu machen. Der rohe Punk-Sound diente als Trans­­­portmittel für ihre politischen Ideen, um Informationen zu ver­brei­­­­ten und so das Bewusstsein der Men­­s­chen zu ändern. Entsprechend ru­­di­­mentär klang auch die Musik auf ihrem 1979 veröffentlichten De­­­bütalbum „The Feeding Of The 5000“, die Texte standen klar im Vor­­­dergrund. Die politi­schen Statements der Band führten aber auch zu Problemen: So verwei­ger­­te das mit der Herstellung der Plat­te be­auftragte Presswerk wegen des Tex­tes zum Eröffnungsstück „Asy­lum“ (einer harschen Anklage des unter­drückerischen, frau­­­en­feind­li­chen Charak­ter des Chris­­­tentums) die Zusammen­arbeit.

Crass verfolgten eine Politik strikter Un­­abhängigkeit, schufen eigene Netz­­werke, brachten Platten auf ihrem eigenen Label heraus. Um zu ver­­hindern, dass die Platten über­mä­­ßig teuer verkauft wurden, druck­ten sie die Preise (die knapp über dem Selbstkostenpreis lagen) direkt auf die Cover – eine Praxis, die viele andere Bands übernah­men. In den Beiheften zu den LPs wur­­den die Texte durch ausführ­li­che Erläuterungen und Collagen er­gänzt. Um den kollektiven Cha­rak­ter des Projekts deutlich zu machen, traten Crass in einheitlichem Büh­nen­outfit in schwarzen Armee­ho­sen und T-Shirts auf. Damit wur­den sie nicht nur ideologisch, son­dern auch ästhetisch prägend für die ent­ste­hende Anarcho­punk-Szene.

Um falscher Heldenverehrung vor­zu­beugen: Der große Einfluss von Crass wäre ohne diesen Reso­nanz­boden, eine Szene, die liber­tären Ideen aufgeschlossen gegen­über­stand, nicht denkbar gewesen. Da­bei war die Bewegung weniger ho­mo­­gen, als es im Rück­blick oft scheint. So kritisierte z.B. die Anarcho-Band Apostles den dogma­ti­­schen Pazifismus von Crass und be­zichtigten diese der Heuche­lei (die Apostles hatten ihrerseits Pro­ble­­­me mit manchen Punks und „Tra­­di­tionsanarchis­ten“, da die Mit­­glieder der Band sich offen zu ih­­rer Homosexualität bekannten). Auch musikalisch gab es unter­schied­­­liche Ansätze. Prä­gend waren z.B. Amebix und Discharge, die den Punk in Sachen Energie und Härte wei­ter radika­lisierten und mit Metal-Elementen verbanden. Sie leg­ten damit den Grundstein für den Crust- und späteren Grindcore – vor allem der Dis­charge-Stil wur­de tausendfach von anderen Bands kopiert. Ru­bella Ballet dagegen er­setz­­ten das triste Schwarz von Crass durch selbst­gefertigte Bühnenout­fits in Neon­farben und tendierten mu­si­­ka­­lisch zu einem poppigen New-Wave-Sound.

Die Anarchos kommen

Bis Mitte der 80er war die Anar­cho­­­­punk-Szene sehr aktiv und lie­fer­­te der britischen Linken neue Im­pulse, indem sie die herkömm­li­chen Mittel des politischen Kamp­­­fes durch neue Formen der direkten Aktion er­gänz­te und neue Themen in den politischen Diskurs einbrachte.

Vor allem die radikale Tierbefrei­ungs­bewegung profitierte von den Anar­chopunks. So ziemlich jede Anarcho-Band hatte wenigstens ein Lied im Programm, das sich mit Tier­versuchen oder Vegeta­rismus be­fass­te, viele Punks übernahmen ei­ne vegane oder vegetarische Le­bens­weise. Sie trugen auch ent­schei­dend dazu bei, dass die 1976 gegründete Animal Liberation Front (ALF) Anfang der 80er Jahre ei­nen enormen Zulauf hatte. Die ALF war ein dezentrales Netzwerk lose miteinander verbundener Kleinst­grup­pen, die direkte Aktio­nen gegen Pelz­farmen, Versuchs­la­bo­re usw. durch­führten, um dort ge­fan­gene Tiere zu befreien. Parallel da­zu gab es ein Netzwerk von Un­terstützergruppen, die Kontakte her­stellten, Gefangene unterstütz­ten und Pressearbeit machten. Als zur ALF gehörig galten alle Grup­pen, die deren Statuten anerkann­ten. Dazu zählte auch ein ausdrück­li­cher Verzicht auf Gewalt gegen Men­schen. Die ALF hatte eine klare anar­chistische Grundhaltung, wie sich aus ihrem Logo (ein großes Anar­cho-A, in das kleiner das L und das F eingefügt waren) ablesen lässt. Die breite Unterstützung, die die Or­ga­nisation zu dieser Zeit genoss, lässt sich daran erkennen, dass 1982 das Militärlabor in Porton Down, in dem Tierversuche durchgeführt wur­den, von rund 2000 Akti­vist_innen gestürmt wurde. Solche Ak­tio­nen führten aber auch zu ver­stärkter staatlicher Repression.

Auch Pazifismus war ein wichtiges Thema – die Gefahr eines Atom­krie­ges war einfach nicht zu ignorie­ren. Mit der Stationierung US-ame­rikanischer Mittel­strecken­raketen in Westeuropa (die von der Sowjetun­ion in ähnlicher Weise beantwortet wurde) erreichten die Span­nun­gen zwi­schen den Super­mäch­ten einen neu­en Höhepunkt. Dies führte auch zu einem erneuten Anwachsen der britischen Friedens­be­we­gung. Ein Meilen­stein war das 1981 begonnene Women´s Peace Camp – eine Gruppe von Frauen campier­te vor den Zäunen des Luft­waffen­stütz­­punkts in Green­ham, der als Ab­schussbasis für Nuklearraketen vor­gesehen war (2).

Auch der Falkland-Krieg von 1982 trug zur Brisanz des Themas bei. Mit den so genannten „That­cher­­gate-Tapes“ schafften Crass es damals sogar, Thema hitziger De­­batten im britischen Parlament zu wer­den. Hintergrund dafür war das Ge­rücht, die britische Armee hätte wäh­rend des Falkland-Krieges ab­­­sichtlich das Kriegs­schiff HMS Shef­field geopfert, um so die HMS In­vin­­cible (auf der zu der Zeit der Sohn der Queen, Prinz Andrew als Sol­­­­dat diente) zu schützen. Crass fab­­­rizierten eine Kassette, die als zu­fäl­lig mitgeschnittenes Telefonge­spräch erscheinen sollte – tatsäch­lich benutzten sie dabei Aufnahmen der Stimmen von Margaret That­cher und Ronald Reagan, die sie so mon­­tierten, dass diese nun den Un­ter­­­gang der HMS Sheffield und die Aus­­­wirkungen eines möglichen Atom­­krieges für Europa diskutier­ten. Kopien des Tapes wurden der Presse zugespielt und erregten bald ­­gro­ßes Aufsehen – das US-Verteidi­gungs­­­mi­nis­terium hielt die Aufnah­men gar für eine geschickte Fäl­schung des KGB. Der Legende nach ver­­­­such­te der KGB tat­sächlich, die Band zu rekrutieren, nach­dem sie als wirkliche Urheber be­kannt ge­wor­den waren.

Ihren Höhepunkt erreichte die Anar­chopunk-Bewe­gung 1983/84 u.a. mit der „Stop-the-city“-Kam­pagne, einer Reihe von Aktionen im Lon­do­ner Stadtzentrum, bei denen bis zu 3000 Menschen Blocka­den gegen Firmen durch­führten, die in Waffenhandel, Um­weltzer­stö­rung und Tier­versuche ver­strickt wa­ren. Die Ak­tion war von der Lon­doner Zweig­stelle von Green­peace initiiert wor­den, die Anarcho­punks trugen jedoch viel zum Erfolg bei.

Niedergang und Zersplitterung

Zur größten He­raus­­­forderung für die Anarcho­punks und die britische Linke ins­gesamt wurde aber der im März 1984 beginnende Bergar­bei­­ter­­streik. Ausgelöst wurde dieser durch die angekündigte Schließung ei­­­ner Reihe von unwirt­schaft­­­lich arbeitenden Zechen. Un­mit­­telbare Folge wäre der Verlust von 20.000 Arbeitsplätzen ge­wesen.

Schon in den ersten Tagen des Streiks kam es zu heftigen Auseinan­dersetzungen mit der Polizei, die bald zu bür­ger­kriegs­ähnlichen Szenen aus­wuch­­sen: So gerieten in Or­greave bei Sheffield 10.000 Bergar­beiter und 3000 Polizisten anei­nander. Bis zum Ende des Streiks waren zehn Men­­schen ums Leben gekommen, tau­sende Berg­leu­te verletzt oder ver­haftet wor­den. Im Novem­ber 1984 waren zwei Drittel der Berg­­wer­ke stillge­legt.

Obwohl die Anarchopunks den Streik nach anfänglichem Zögern un­terstützten (etwa durch Benefiz­kon­zerte), blieb die Kluft zwi­schen ih­nen und den Arbeitern unüber­brück­bar. Die Anar­cho­punks ten­dier­­­ten dazu, die Welt in zwei Lager auf­zuteilen: die „Gu­ten“ (die wie sie in besetz­ten Häusern lebten, nicht arbeiteten, kein Fleisch aßen usw.) und die „Bö­sen“ (die das „Sys­tem“ unter­stütz­ten). Die Berg­ar­beiter fielen für sie eher in die zweite Kategorie – schließ­­lich aßen die meis­ten von ihnen Fleisch und kämpf­­ten vor allem darum, ihre Jobs zu behalten. Und die Arbeiter wa­ren zwar dankbar für die Hilfe der merkwür­dig geklei­de­ten Fi­gu­ren, die sie bei Blockaden und Kämp­­fen gegen die Polizei unter­stütz­­ten, letzt­lich blieben ihnen die Punks aber fremd (einige Zeit zuvor hatten manche von ihnen noch selbst die Punks verprü­gelt).

Im März 1985 en­dete der Streik, die finan­ziellen Be­lastun­gen für die Ar­beiter und ihre Familien waren zu groß ge­wor­den. Dies war nicht nur die ent­schei­dende Nie­der­lage der bri­tischen Ge­­werk­­schaf­­­ten, es führte auch zum Nieder­gang und zur im­mer stär­keren Zersplit­te­rung der Anar­­­cho­­punk-Be­we­­gung. Viele Ak­­ti­vist_innen ver­ab­schie­deten sich in der Folge von ih­ren alten pazi­fis­ti­schen Idea­len. Ein Bei­spiel dafür war das 1983 ge­grün­de­te Heft Class War. Die­­ses ver­band Anar­­­cho­punk mit Tier­be­freiung und Klas­sen­kampf und üb­te sich da­bei in einer zuneh­mend mili­tan­ten Rhetorik.

Auch bei Crass machten sich Selbst­zwei­fel breit: „Wie sollte es weiter­ge­hen? Fan­gen wir jetzt an, Sachen in die Luft zu sprengen? (…) Wir zo­gen alle Möglich­keiten in Be­tracht, aber letztlich – und das Schei­tern des Berg­arbeiterstreiks half uns, das zu erkennen – kannst du einen Haufen direkter Aktionen ma­chen, aber was bringt das? Du en­dest damit, Leute zu verletzen“ (3). 1984 löste sich die Band auf.

Die Verbitterung in weiten Tei­len der radikalen Linken kam nicht von ungefähr. Un­ter der Regierung Margaret That­chers nahm die Re­pression un­ge­kannte Aus­maße an. Sie traf alle, die nicht in das Bild des guten Bür­gers passten. Im Fe­bruar 1985 wurde das Peace Camp beim Luft­waffen­­stützpunkt in Moles­worth (ne­ben Greenham die zwei­te ge­plan­­te Raketenab­schuss­basis in Groß­­britannien) geräumt – durch den größten Militäreinsatz in Frie­denszei­ten, den das Land je ge­sehen hatte. Einige Monate spä­ter wurde ein jährlich zur Som­mer­sonnen­wen­de am Stone­henge-Monument statt­­fin­­den­des Festival, bei dem sich Hippies und „Travel­lers“ tra­fen, von der Polizei mit bruta­ler Gewalt zer­schlagen.

Hier kehrt die Linie, die von der Hippie­bewegung über Crass zu den Anarcho­punks geführt hatte, zum Aus­gangs­punkt zurück. Das erste Stone­­­henge-Festival war 1974 von Wally Hope (bür­ger­lich: Phil Russel) orga­ni­siert wor­den, einem guten Freund der späte­ren Musi­ker_innen von Crass, und diese waren selbst direkt in die Vorberei­tungen invol­viert. Mehrere hundert Hip­pies kamen, und hielten das Gelän­de um das Monu­ment neun Wo­chen lang besetzt, bis sie von der Polizei vertrieben wurden. Wally Hope starb ein Jahr später in einer psychia­trischen Klinik, in die er ein­gewiesen worden war (4).

Aber auch wenn die britische Anar­cho­punk-Szene nach 1985 immer mehr zerfiel, hat sie doch die politische und kulturelle Land­schaft nachhaltig geprägt und weltweit ihre Spuren hinterlassen. Trotz der Fehler, die sie sicherlich hatte, hat sie viel dazu beigetragen, anar­chis­tische Ideen zu modernisieren und zu verbreiten. In den USA setzte die Poli­tisierung der dortigen Hardcore-Szene erst Mitte der 80er ein, Bands wie MDC spielten dabei eine wichtige Rolle, ebenso soziokulturelle, selbstverwaltete Zentren wie das ABC No Rio in New York oder die Gilman Street in San Francisco. Heut­zutage sind die Anarchopunks ein wich­tiger Bestandteil der linksradikalen Szene in den USA, wobei sie dort eine ähnliche Funktion haben wie hier in Deuschland die Autonomen. Aber auch auf dem europäischen Kontinent und in Süd- und Mittelamerika hat sich die Anarchopunk-Bewegung ausgebreitet, die Verbindung von Haus­besetzerszene, Hardcore/Punk, veganem oder vergetarischem Lebensstil, anarchis­tischen Ideen und DIY-Ethik ist auch hier seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der Punk-Subkultur (und sicher nicht der schlech­teste). Die Anar­cho­punk/DIY-Szene ist also eine Größe, mit der noch zu rechnen ist. Das Spiel geht weiter.

(justus)

 

(1) Das so genannte Dial House, ein offenes Kommuneprojekt, wurde 1967 gegründet. Einige der früheren Mitglieder von Crass wohnen noch immer dort.

(2) Das Camp endete im Jahr 2000, danach wurde auf dem Gelände eine Gedenkstätte eingerichtet.

(3) www.uncarved.org/music/apunk/offbeat.html

(4) die Geschichte von Wally Hope taucht u.a. im Booklet von Crass´ „Christ – The Album“-LP auf, ebenso in Penny Rimbauds Buch „Shibboleth – my revolting live“, erschienen 2004 im Ventil-Verlag

Schreibe einen Kommentar