Ihre Papiere bitte!

Schon mal Gedanken um den Pass gemacht? Nein, oder nur kurz vor einer geplanten Urlaubsreise? Glückwunsch, dann zählst Du zu dem privilegierten Drittel der Menschheit, das relativ frei über seinen Aufenthaltsort bestimmen kann.

Immer wieder liest und hört mensch in den Nachrichten von Menschen, die alles daran setzen, um aus anderen Teilen der Welt in die Europäische Union oder auch in die USA zu gelangen. Ebenso von jenen, die abgeschoben oder im Rahmen von Le­galisierungs­kampagnen Papiere erhalten. (1) Allerdings sind deren Zahlen gegenüber den Abschiebungen verschwindend gering: So sollen 2006 in Frankreich 6.000 undokumentierte Einwanderer Papiere erhalten und 25.000 abgeschoben werden.

So verschieden wie diese Menschen sind auch ihre Ziele und Beweggründe dafür, ihr zukünftiges Leben an das Gelingen dieser oftmals gefährlichen Reise zu knüpfen. Jährlich ertrinken mehrere Hundert Menschen bei dem Versuch, auf dem Seeweg von Nordafrika nach Europa zu kommen und allein 2004 wurden in der Wüste von Arizona über 200 Menschen tot aufgefunden. Was sie alle teilen, sind ungewisse politische, ökonomische und soziale Zukunftsaussichten und dass sie keine Papiere vorweisen können, die ihnen eine amtlich registrierte und komfortablere Einreise erlauben würden.

Jedoch ist nicht jeder Pass auch gleichzeitig ein „Türöffner”: Wurde er vom „falschen” Staat ausgestellt, kann es nützlicher sein, ihn bei der Einreise in die Europäische Union offiziell nicht zu besitzen, um so zumindest einen vorläufigen Aufenthaltstitel zu erhalten. Woran es den meisten MigranntInnen mangelt, ist also weniger ein Pass an sich, sondern ein Papier, das z.B. die Bewegungsfreiheit innerhalb der EU erlaubt.

Wenn die Söhne, Töchter, Väter und Mütter in ihrer Heimat aufbrechen, hat oft die ganze Familie zusammengelegt, um die Reisenden mit finanziellen Mitteln für den Neuanfang auszustatten. Im Gegenzug hoffen die Zurückbleibenden, dass es ihren Verwandten gelingt, das Ziel der Reise zu erreichen und dort eine Existenz aufzubauen, um ihre Familie zu unterstützen. Doch nicht nur diese sichern so ihr Überleben, sondern auch die Staaten, in die diese privaten Finanzströme fließen, machen Kasse. (2) Im Zielland angekommen, gelten diese Menschen dann als „Illegale”, Asylbewerber oder auch „Wirtschafts­flücht­linge”. In der BRD leben derzeit unter 85,5 Millionen Menschen circa 500.000-1,5 Millionen ohne Aufenthaltspapiere, in den USA gibt es bei einer Bevölkerung von 300 Millionen circa 20 Millionen „un­do­­ku­mentierte Einwanderer”. (3)

Was ist eigentlich ein Pass?

Allgemein gesprochen, ist er ein von einem Staat ausgestelltes Dokument, welches dem Träger beim Verlassen eines bestimmten Herrschaftsgebietes zu sicherer Passage und Aufenthalt verhelfen soll. Im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte entwickelte er sich zunehmend auch zum Identitätsdokument, welches die Authentizität des Trägers gegenüber anderen Regierungen bestätigt. (4)

Im Unterschied zum Personalausweis, der vorrangig der Identifikation innerhalb eines Staates dient, erfüllte der Reisepass außerdem immer auch die Funktion der Bewegungskontrolle. Im Zuge der Ents­tehung von staatlichen Zusammenschlüssen wie der EU, kam dem Personalausweis innerhalb dieses Territoriums auch noch die Funktion als Reisedokument zu.

Seine Bedeutung erhält der Pass dadurch, dass der Staat, genauer dessen Verwaltungsapparat – schon aus Selbsterhaltungsgründen – auf die Zuteilung von “dokumentarischen Identitäten” und damit auf die Erfassung „seiner” Bevölkerung angewiesen ist. Nur mittels eines Instrumentes der Bevölkerungs- und Bewegungskontrolle, wie dem der Passausstellung. kann einigermaßen nachvollzogen werden, wer wo Staatsbürger ist und sich entsprechend bewegen darf oder eben auch nicht.

Über dieses Dokument wird jedem Individuum – seit der Entstehung der modernen Nationalstaaten – eine bestimmte Nationalität und Identität zugeteilt. Außerdem bescheinigt der ausstellende Staat somit, einen Staatsbürger bei dessen Ausweisung aus einem anderen Staat wieder aufzunehmen. Weiter gefasst, geht es um den gesteuerten Ausschluss und die Überwachung von (un)erwünschten Personen, sowie die Registrierung und Nutz­bar­machung von menschlichen „Ressourcen“.

Der Reisepass ist als Instrument der Identitäts- und Bewegungskontrolle ein Mittel staatlicher Politik, welches an der Schnittstelle zwischen dem National­staatskonzept, internationaler Politik (Passunionen wie das Schengener Abkommen) und ökonomischen Interessen (Zollunionen und transnationale Bewegung von Arbeitskräften) operiert.

Die Geschichte dieses Papiers ist auch die Geschichte seiner Transformation und Anpassung an die jeweiligen Bedürfnisse und Interessen derer, die über die Art und Weise seiner Anwendung bestimm(t)en. Zu diesen zählen neben staatlichen Stellen auch Passfälscher, Schleuser sowie Arbeitgeber, die “Illegale” zu Hungerlöhnen schuften lassen.

Dies war nicht immer so: Im Mittelalter gliederten sich die europäischen Gesellschaften nach Ständen, Räumen und Aufgabengebieten. Bedeutender als die geographische Zugehörigkeit war der Stand, dem man angehörte. Der Staat war nur einer von mehreren Akteuren, die das Leben strukturierten.

Die vormoderne Geschichte des Passes lässt sich in groben Strichen von vermuteten Registrierungssystemen im Alten Ägypten über Kontrollsysteme im Römischen Reich bis zum englischen König William I., der im 11. Jahrhundert alle Ein- und Ausreisen seiner Untertanen mittels eines Festungssystems an der Küste kontrollierte, nachzeichnen.

Im Kontrast dazu beansprucht der moderne Staat die Loyalität der Bevölkerung auf seinem Territorium vor allen anderen Akteuren (bspw. Kirchen, gewerkschaftlichen Vereinigungen, usw.). Im Gegenzug bietet er den BewohnerInnen des Territoriums seinen Schutz an. Dieses Versprechen findet sich schon in der älteren Form des Passes als Passierschein, dessen Träger bereits das staatliche Gewaltmonopol zu akzeptieren hatten. Seit der Französischen Revolution 1798 und der Entstehung der modernen Nationalstaaten schließlich, wird er außer als Reiseerlaubnis auch als Identitäts- und vor allem National­itäts­nachweis genutzt.

Der moderne Pass, wie er im Zuge der Nationalstaatsentwicklung entstand, ist für den Staat und die Regierung Voraussetzung für die Bewegungs- und Bevölkerungskontrolle

Die Geschichte des Passes veranschaulicht damit eine doppelte Kontinuität: Gemeint ist zum einen die Entwicklung des Passes vom Passierschein zum Identitäts- und Bewegungskontrollinstrument. Ebenso aber auch die Kontinuität des Passes als Steuerungsinstrument, welches den jeweiligen sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnissen angepasst wird, dessen grundlegende Prinzipien jedoch konstant bleiben.

Worum es sich beim Pass – wie bei anderen staatlichen Kontrollmechanismen auch – schließlich handelt, ist das Zusammenspiel von staatlicher Logik und der gegenwärtigen Form des Kapitalismus, der auf globalen Austausch ausgerichtet ist.

Die Rede ist hier nicht von einem prinzipell neuen Phänomen innerhalb der menschlichen Bewegung und Wanderung, sondern von einer Verschiebung und Umordnung der Faktoren und Umstände, die Politik und Wirtschaft dazu veranlassen, die legitime Bewegung der Menschen einzuschränken oder offiziell zuzulassen.

Im Ersten, als auch während des Zweiten Weltkrieges, gewann der Besitz oder Nichtbesitz einer nationalen Zugehörigkeitsbescheinigung auf die Lebenschancen eines Individuums massiv an Einfluss. Reisende, ob sie nun freiwillig unterwegs waren oder auf der Flucht, waren von staatlich ausgestellten Dokumenten abhängig, die ihnen eine nationale Identität zuschrieben.

Spätestens am Ende des 20. Jahrhunderts wurde angesichts der sogenannten „Asyl-oder Einwanderungsproblematik” klar, dass in einer sich globalisierenden Welt Migration anders als durch das Beschneiden der legalen Einwanderungsmög­lichkeiten reguliert werden muss, da dies lediglich zu einem Anstieg der illegalen Einreise führt. Ein Grund dafür liegt darin, dass die Motivation zur Emigration aus den ärmeren Weltgegenden in die industrialisierten Staaten in den letzten Dekaden beständig zugenommen hat, während die Immigrationsanreize in den in­dustrialisierten und „entwickelteren Staaten” konjunkturellen Schwankungen unterliegen. Trotz des Wissens um diesen Umstand haben in den letzten Jahren faktische Einwanderungsländer wie Frankreich, die USA oder die BRD ihre Einwanderungsrestriktionen verschärft. (5)

Und trotz aller Versuche, Menschen zu identifizieren und bestimmten Kategorien zuzuordnen, ist dieses Projekt im Sinne der Nationalstaaten bisher zwar vorangeschritten, hat aber – aus Sicht der Regierungen – zu keinem befriedigendem Abschluss gefunden. Schlußendlich erfüllt der Pass seine Funktion nur, wenn sowohl die Bediensteten der staatlichen Verwaltungs- und Kontrollapparate als auch die zu registrierenden Subjekte, die vorgeschriebenen Prozeduren und Verhaltensweisen akzeptieren und umsetzen.

Man kann also die Politik der Passvergabe oder Passverweigerung und damit die gegenwärtige Einwanderungspolitik der Industriestaaten als eine “beschränkte Glo­balisierung” beschreiben. Auf der einen Seite werden der Warenverkehr und die Finanzströme internationalisiert während die Bewegung von Menschen über Staatsgrenzen hinweg immer schärferen Restriktionen unterworfen wird.

Der Pass bewegt sich damit im Spannungsfeld von wirtschaftlicher bzw. staatlicher Migrationspolitik und dem menschlichen Einfallsreichtum, die aufgestellten – und durchaus realen – Hindernisse zu umgehen oder zu überwinden.

hannah

Zum Weiterlesen:
www.clandestino-illegal.de, www.picum.org (Internationales Netzwerk für “illegale Migranten), Atlas der Globalisierung 2006.
(1) So legalisierte Italien 1999 150.000 Statuslose und im Jahr darauf weitere 40.000, unter der Bedingung, dass diese eine dauerhafte Beschäftigung und Unterkunft vorweisen konnten. Ähnliche Amnestien gab es auch in Spanien, Frankreich und Belgien.
(2) Zwischen 1999 und 2005 stieg der Wert der Überweisungen von Migranten in ihre Heimatländer von 70 auf 230 Milliarden Dollar. In Bangladesch beträgt der von Migranten bestrittene Anteil am staatlichen Devisenaufkommen 30 Prozent. und in Mexiko sind diese Einnahmen nach den Ölexporten die zweitwichtigste Devisenquelle. Atlas der Globalisierung.
(3) www.auslaender-statistik.de/illegal.htm, www.illegalaliens.us
(4) “Pass: von der zuständigen Behörde für jemand, der eine Reise zu unternehmen beabsichtigt, ausgefertigte, die Persönlichkeit des Reisenden feststellende, zu diesem Ende mit dessen Personalbeschreibung und seiner Namensunterschrift versehene, gewöhnlich auch Ziel und Zweck der Reise angebende Urkunde, durch welche der Reisende sich über seine Person sowie die Unbedenklichkeit seines Reisens auszuweisen vermag und auf Grund derer er eintretendenfalls auch den Schutz derjenigen Behörden, durch deren Gebiete er reist, in Anspruch nehmen kann.” Brockhaus Konversationslexikon, 14. vollst. neubearb. Auflage, 12. Bd., Leipzig, Brockhaus 1908.
(5) Z.B. in der BRD durch die Verfassungsänderung 1993 und damit der Streichung des allgemeinen Asylanspruchs (ehem. Artikel 16 GG), in Frankreich mit dem Loi Pasqua und dem Loi Debré.

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