Im Namen des Standorts

Rück- und Ausblick auf rot-grüne Hochschulpolitik

Rot-Grün hat es noch einmal geschafft, trotz Kriege, neoliberaler Politik, verstärkter Selektion, Abbau bürgerlicher Freiheiten etc. Das heißt für die Menschen, die sich in den gesellschaftlichen Funktionen SchülerIn, StudentIn, WissenschaftlerIn und Beschäftigte befinden, weitere vier Jahre rot-grüne Bildungspolitik. Wie diese womöglich aussehen könnten, darauf möchte ich am Ende eingehen. Wichtige Voraussetzung dafür ist zunächst eine Betrachtung der vergangenen vier Jahre.

Auf den ersten Blick scheint die Bilanz positiv auszufallen: die Erhöhung der Bildungsausgaben um 20 und der Anzahl der BAFÖG-Empfänger um 16 Prozent, das Studiengebührenverbot und die Reformierung verkrusteter Universitätslaufbahnen durch Juniorprofessuren.

Auf den zweiten Blick zeigen sich die Haken an der Sache: So wurde eine Verdoppelung der Bildungsausgaben und eine Grundförderung von 200 Euro für jeden Studenten versprochen. Dass die Bildungsausgaben überhaupt erhöht werden konnten, war eigentlich auch nur dem Glücksfall der Versteigerung der UMTS-Lizenzen geschuldet.

Nun ist es nicht schlimm, mehr BAFÖG zu bekommen, im Gegenteil, ich würde mich nicht dagegen sträuben. Es ist aber schlimm bzw. normal, dass diese ganzen „Verbesserungen“ einer Ideologie folgen, dass sie nicht aus Menschenfreundlichkeit umgesetzt wurden, sondern um den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb zu stärken, deshalb muß, ich zitiere: „Deutschland eine Ideenfabrik werden“. Wissen ist die zentrale Ressource des 21.Jahrhunderts. So gesehen ist das rot-grüne Projekt ein Modernisierungsprojekt für Deutschland. Der Konkurrenzdruck des Weltmarkts wird nach unten weitergegeben bzw. wird das Konkurrenz-. Leistungs- und Wachstumsprinzip in alle gesellschaftlichen Bereiche integriert. In diesem Kontext sind die Reformen zu sehen.

Die BAFÖG-Erhöhung soll die „Humanressourcen“ ausschöpfen. Die Dienstrechtsreform mit 25 % Gehalt nach Leistung und Juniorprofessur soll die Effizienz und Leistung und die Einführung von Studienkonten den Druck erhöhen, schneller, effizienter und arbeitsmarktorientierter zu studieren; und Bildung abrechenbar zu machen, sie in eine Ware zu transformieren.

Denn das Studiengebührenverbot ist nicht mehr als eine Farce. Genau heißt es in der 6. Novelle des Hochschulrahmengesetzes, dass seit dem 15.8.2002 gültig ist: „Dem § 27 wird folgender Absatz 4 angefügt: (4) Das Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden und das Studium in einem konsekutiven Studiengang, der zu einem weiteren berufsqualifizierenden Abschluss führt, ist studiengebührenfrei. In besonderen Fällen kann das Landesrecht Ausnahmen vorsehen.“

Also sind Studiengebühren theoretisch ab dem ersten Semester erlaubt. Aber auch wenn man annimmt, dass es „Ausnahmen“ bleiben, dann sind dennoch Zweitstudium, „Langzeitstudium“ und Seniorenstudium gebührenbedroht. Dabei hieß es doch noch im rot-grünen Koalitionsvertrag: „Wir werden das Hochschulrahmengesetz im Einvernehmen mit dem Bundesrat weiterentwickeln und dabei die Erhebung von Studiengebühren ausschließen.“

Begründet wird das zumindest teilweise Verbot mit dem Standort, denn „Deutschland braucht mehr und noch besser ausgebildete Fachkräfte mit akademischen Abschlüssen. Wir wollen die Zahl der Studienanfänger von heute 28 % auf das OECD-Niveau von etwa 40 % steigern. Deshalb“, nicht etwa aus Menschenfreundlichkeit oder ähnlichen Sentimentalitäten, „muss der Zugang zu unseren Hochschulen offen und in ganz Deutschland muß Studiengebührenfreiheit [fürs Erststudium] bestehen bleiben.“

Der Studiengebührenbegriff von Rot-grün ist allerdings recht seltsam, denn Bulmahn will folgendes schaffen: „die Grundlage für neue Modelle wie Studienkonten und Bildungsgutscheine.“ Und diese Modelle sollen dann Studierenden und Hochschulen gleichermaßen zugute kommen.

Studienkonten sind jedoch leider selbst Studiengebühren, die nur für eine bestimmte Zeit erlassen werden, sozusagen verschärfte Langzeitstudiengebühren, mit flexibler Studienzeiteinteilung.

Der Druck wird weiter steigen, wie er in den letzten Jahrzehnten beständig gestiegen ist. Zur Erinnerung: Es gab mal, ohne diese verklären zu wollen, eine Zeit ohne Zwischenprüfung. Diese Verschärfung von Selektion, Konkurrenz- und Leistungsdruck ist eine allgemeine Tendenz, man nehme sich nur mal das Hartz-Papier zur Hand.

Dieses Studienkontenmodell als sozial anzukündigen ist ebenso eine Unverschämtheit. Denn es ist genauso wie beim BAFÖG: Wer genug Geld von den Eltern oder geerbt hat, der braucht sich nicht um die Regelstudienzeit zu scheren. Wer allerdings aufs BAFÖG angewiesen ist, steht unter dem Druck in dieser Zeit fertig zu werden. Und genauso wird das mit Studienkonten sein. Wer Geld hat um die 35 Euro für die Semesterwochenstunde zu bezahlen (wie es in einem Papier der rheinland-pfälzischen Landesregierung angedacht ist) braucht sich nicht um sein Studienkonto zu kümmern, wer nichts hat, beeilt sich entweder oder hat Pech gehabt.

Reinhard Loske von den Grünen wollte dazu aber auch noch was sagen: „Es [das Studienkontenmodell] konkurriert im politischen Raum mit dem Modell der Langzeitstudiengebühren. Etwa bei den Modellen in Rheinland-Pfalz, NRW und Schleswig- Holstein hat man eine große Ausstattung mit staatlich finanzierten Bildungsgutscheinen. Das stärkt die Position der Studierenden und gibt ihnen ein Anspruchsrecht. Das übt Qualitätsdruck auf die Hochschulen aus. Das schafft bei den Studierenden – was durchaus wichtig ist – ein Ressourcenbewusstsein, ein Bewusstsein dafür, dass man mit der Ressource Bildung schonend umgeht.“

Bildung als knappes Gut zu verstehen, ist schon eine Frechheit, das zeugt von einem ziemlich ökonomistischen Bildungsverständnis. Denn wo werden nach der derzeitigen Betriebswirtschaftslehre knappe Güter gehandelt? Auf dem Markt. Das bedeutet, Bildung als Ware zu verstehen, deren Preis durch Angebot und Nachfrage reguliert wird. Die starke Position der Studierenden ist die des Nachfragers. Doch das hat nichts mehr mit selbstbestimmter Bildung, mit der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zu tun.

Bildung als Ware, bedeutet Universitäten als Unternehmen. Und genauso läuft es auch, immer mehr Unternehmensaspekte werden auf die Universitäten übertragen: Straffung der Hierarchien, verstärkter Einfluss der Wirtschaft, verstärkte Drittmitteleinwerbung, Konkurrenz in und zwischen den Hochschulen. Und dieser Prozess läuft unterschiedlich schnell auf Länder- und Hochschulebene.

Dabei gibt es jedoch keinen Grund die jetzige Universität zu verteidigen, da auch sie kaum einen anderen Zweck hat als Eliten auf den Arbeitsmarkt und für wichtige Stellungen in Unternehmen, Zivilgesellschaft und Staat vorzubereiten und somit mitnichten, die Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentwicklung, sondern vielmehr die Reduktion der Menschen auf bestimmte Funktionen fördert.

Nach diesem sicherlich notwendigen Abschweifen auf allgemeine Betrachtungen, zurück zu rot-grüner Regierungspolitik. Auf was müssen wir uns womöglich die nächsten Jahre einstellen? Sicherlich auf eine weitere Erhöhung von Konkurrenz- und Leistungsdruck im Namen des Standorts, im Namen der Nation. Die SPD fordert in ihrem Wahlprogramm eine stärkere Profilierung der Hochschulen, um „Wettbewerbsposition[en] behaupten zu können“ und die engere Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft. Sie möchte „Exzellenzzentren“ an den Hochschulen, in denen sich „die Spitzenforschung konzentrieren“ müsse und „Ausgründungen von jungen, innovativen Unternehmen“. Des weiteren soll „Ökonomisches Grundwissen und die Fähigkeit, einen Geschäftsplan zu erstellen, […] zum gewohnten und vertrauten Handwerkzeug werden“. Die SPD will „Lehrstühle für Existenzgründungen an allen Hochschulen“ gründen. Menschen werden als Material begriffen: „Die Köpfe, das Wissen, die Kompetenz und die Kreativität der Menschen sind unsere wichtigste Ressource“ und „Deutschland braucht gut ausgebildete Menschen und eine starke wettbewerbsfähige Forschung.“

Besser könnte man den Entfremdungscharakter dieser Bildung nicht ausdrücken. Für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands werden die Menschen unter ein Leistungsregime gestellt und mit ökonomisch-formalem Fachwissen vollgepfropft. Dies liegt nicht allein an Rot-Grün , jede andere Regierung hätte diese Entwicklung nur wenig anders, höchstens langsamer durchsetzen können. Es ist der kapitalistische Grundcharakter lokal wie global und dessen Entwicklung, der dem Bildungssystem die Grenzen setzt. Trotzdem ist eine solche Entwicklung nicht einfach so hinnehmbar, es ist wichtig sich gegen diese Steigerung des Leistungsdrucks zur Wehr zu setzen und gegen Zwänge in Form von Scheinen und Prüfungen zu kämpfen. Schließlich geht es auch darum, halbwegs gut leben zu können. Und dazu braucht man freie Zeit und so wenig äußere Zwänge wie möglich.

kater murr

Bildung

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