Rückblick auf die Veranstaltungs- und Aktionswoche (2.-10. Juni 2006)
Vom 2. bis 10. Juni 2006 führte ein Bündnis verschiedener Leipziger Gruppen unter dem Motto „kick control“ eine Veranstaltungs- und Aktionswoche mit abschließender Demonstration durch. Anlass aber nicht einziger Hintergrund für die Initiative war die am 9. Juni startende Fußballweltmeisterschaft in Deutschland: ein Großereignis, das bereits im Vorfeld neben dem sportlichen Wettkampf eine derartige Unmenge von kritisierungs- und hinterfragungswürdigen Facetten und Nebenwirkungen ankündigte, dass man da eigentlich nicht mehr hinschauen wollte: Sicherheit galt dabei als oberste Priorität, es galt Terror und Gewalt abzuwenden, mit allen Mitteln.
Dem Bündnis „kick control“ ging es in der Veranstaltungs- und Aktionswoche darum, diesen Zweck „Sicherheit“, als auch die Mittel zur Durchsetzung – altbewährte wie neu erfundene Maßnahmen – zu diskutieren und letztendlich bei der Demo mit annähernd 300 Teinehmer/innen in der Öffentlichkeit lautstark zu kritisieren.
In den inhaltlichen Veranstaltungen wurde zunächst der allgemeingesellschaftliche Aspekt thematisiert, der Wandel sozialer Kontrolle und die so bezeichneten Konturen der Sicherheitsgesellschaft (siehe Buchtipp Seite 22).
In einer weiteren Veranstaltung drehte es sich um die Hintergründe, die reale oder konstruierte Gefahr durch bspw. Terror und die damit verbundene Verbreitung von Ängsten. Sie führten dann zur bereitwilligen Akzeptanz aller möglichen, auch Persönlichkeitsrechte einschränkenden, Sicherheitsmaßnahmen. Inwieweit hierbei der technische Fortschritt als zusätzliches Übel mitspielt, wurde im Rahmen der Vorstellung all der faszinierenden Möglichkeiten und Methoden in der Überwachungsgesellschaft diskutiert.
Mit gemeinsamem Kicken in der Öffentlichkeit wollte man der guten alten Forderung nach Rückgewinnung öffentlicher Räume Ausdruck verleihen. Da der Augustusplatz bereits in Hand der FIFA und somit für die banale Bevölkerung nicht mehr zugänglich, geschweige denn bespielbar war, musste man sich im Zugangsbereich zur Fußgängerzone aufhalten. Weil das aber nun mal einfach nicht geht, da Verkehr und alles mögliche andere blockiert werden und außerdem die Aktion nicht als angemeldete Veranstaltung dem Ordnungsamt vorgelegt worden war, wurde die Sache nach einer Stunde dann auch unterbunden. Immerhin verzichteten die Ordnungskräfte auf die umfassende Personalienfeststellung aller Teilnehmer und das Erteilen von Platzverweisen, was wir hiermit noch einmal zutiefst dankbar hervorheben wollen.
Eine dritte inhaltliche Veranstaltung widmete sich dann einem Mittel der eher rabiaten Durchsetzung von Sicherheit: den Gewalttäterdateien und so genannten Gefährderanschreiben (oder -ansprachen) mit denen unliebsame Gesell/innen aus den Massen der friedlichen Bürger/innen herausgefiltert werden und ihnen mit persönlichem Anschreiben von der Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen dringend abgeraten wird. Referent war hier ein Aktivist der Roten Hilfe, der selbst einmal von einem solchen Anschreiben betroffen war, sich nicht mit der Einschränkung abgefunden und erfolgreich gegen diese Sonderbehandlung geklagt hat. Angesichts von mehreren hundert derartiger Anschreiben, die allein in Leipzig an Fußballfans – tschuldigung, es muss heißen: mutmaßliche Gewalttäter – verschickt wurden, welche hier und da in den unteren Ligen auffällig geworden sind, gibt es hier eindeutig Handlungsbedarf.
Man will all die Blutbäder nicht schönreden, die von Fußballfans in ihrer verbrecherischen Unfähigkeit ihre Emotionen zu zügeln, bekanntlich regelmäßig angerichtet werden, bzw. angerichtet werden könnten wäre, da nicht der bereits auf Hochtouren laufende Kontroll- und Repressionsapparat in und um die Welt des banalen Ligafußballs. Jüngstes Beispiel dafür, wie aus Kontrollwahn und Sicherheitsbedürfnis bei Fußballspielen längst schon Schikane und Kriminalisierung geworden sind, ist der Fall einer sechzehnjährigen Dresdnerin, die den Fehler begangen hat, ein Auswärtsspiel der SG Dynamo Dresden in Saarbrücken zu besuchen. Da sie darüber hinaus jung, weiblich, unauffällig und somit nicht im geringsten dem Standardbild des gewaltbereiten Fans und Schmugglers von Pyrotechnik und Waffen entsprach, wurde sie, wie alle anderen „so genannten unauffälligen insbesondere weiblichen Fans“ vor Spielbeginn in extra bereitgestellten Kabinen einer Komplettdurchsuchung unterzogen. Sie klagte gegen diese Sonderbehandlung und verlor, schließlich war der Verdacht aus den oben genannten Gründen berechtigt und der Tatbestand der Gefährdung (es gibt tatsächlich von Zeit zu Zeit Ausschreitungen bei Dynamo Dresden-Spielen) gegeben. Das Urteil des Verwaltungsgerichtes Saarlouis ist ein lesenswerter Beitrag zum Thema und sei jeder und jedem hier als Lektüre ans Herz gelegt.
Insgesamt waren die Veranstaltungen nur mäßig besucht – über die Gründe wurde in der Auswertung durch das Bündnis schon ausführlich spekuliert, selbiges sei hier der Leserschaft überlassen.
Nunmehr zwei Wochen nach WM-Start muss man natürlich feststellen, dass die Welt zu Gast bei Freunden ganz andere Blüten treibt, dass Deutschland sich endlich wieder gefunden hat, dass im patriotischen Miteinander sich alle ganz lieb haben und die Zeiten, wo man Fahnen schwenkend in den Krieg und nicht nur durch die Stadt gezogen ist, ein für alle Mal vorbei sind. Wahrscheinlich werden wir froh sein, wenn nach Ende der WM nur die Kameras bleiben, die Fahnen verschwinden und der Rest in den „Normalzustand“ zurückkehrt.
Auf die Gefahr hin, dass man dann mit dem Thema Überwachungskritik nur noch auf Lethargie und taube Ohren stößt, ist das Bündnis dennoch fest entschlossen sich weiter der Sache zu widmen. Dabei wird es dann jenseits des Diskutierens von Fallbeispielen auch um das Finden und Etablieren weiterer und vielleicht auch mal ganz neuer Aktionsformen gehen, um den Forderungen Gehör zu verschaffen:
+ + Gegen Sicherheitswahn, Repression und Überwachung + + Gegen die Lösung gesellschaftlicher Konflikte durch Repression + + Schluss mit rassistischer und sozialer Ausgrenzung + +
(larsson)
* Aktuelle Informationen unter: www.kickcontrol.de.vu