Kommunen: Selbstermächtigung oder -isolierung?

Die Idee der Kommune wird bereits seit Jahrhunderten kontrovers diskutiert, da sie auf der einen Seite Sehnsüchte nach Unabhängigkeit, persönlicher Entfaltung und kollektiver Selbstermächtigung weckt, allerdings andererseits Befürchtungen von internen Abhängigkeiten und Abschottungsprozessen gegenüber der „Außenwelt“ hervorruft.  Ebenso umstritten ist es, ob es politisch sinnvoll sei, für die Gründung von Kommunen als Mittel zur langfristigen Überwindung des Kapitalismus, zu streiten. Oder sind sie diesem vielmehr von vornherein unterlegen? Fördern nun Kommunen kapitalistische Herrschaftsstrukturen oder ist sie deren beispielgebender Gegenentwurf?

PRO

Die weitverbreiteste Mär über die „Kom­mune“ beginnt in etwa so: „Hinter sieben Bergen, bei den sieben Zwer­gen …“ und wird von einer urba­nesken Bohemé kolportiert, für die „revolutionär“ höchstens noch ein Prädikat für eine neue Kneipe auf der gewohnten Partymeile bedeutet. Sachlich betrachtet, ist die förderal organisierte, kommunale Selbstverwaltung dagegen der realistischste Gegenentwurf zum modernen Flächenstaat mit seinen zähen und korruptionsanfälligen, zentralen Verwaltungsapparaten. Und die politische Vorstellung eines Netzwerkes dezentraler, unabhängiger Kom­munalverwaltungen, die vielfältige, vitale Austauschbeziehungen miteinander pflegen, ist tatsächlich älter und historisch weitaus wirksamer gewesen, als die krude Idee eines allumfassenden, beständig mehr Ohnmacht produzierenden, römischen Leviathans. Sei es nun im politischen Leitbild der griechischen Polis, in den vormittelalterlichen Christengemeinden, in den unzähligen neuzeitlichen Siedlungs­be­wegungen, im Städtebundgedanken, in den Anschauungen der frühen SozialistIn­nen, in der Kibbuzim-Bewegung der Neo-Israeliten oder etwa in der Bolo-Bolo-Utopie der AnarchistInnen. Immer dann, wenn man ernsthaft die politische Mitbestimmung und damit zwingend verbunden, die Verantwortung der gemeinschaftlich organisierten Individuen, also die Selbstermächtigung jedes Einzelnen, ins Zentrum politischer Überlegungen rückt, wird mensch letzt­lich bei der Vorstellung eines Netzwerkes selbstverwalteter Kommunen enden. Nicht anders der anti­kapi­ta­listische Kampf des Kommunismus der Arbeiter UND Bauern, deren revo­lutionä­rer Fixstern nachwievor die Pariser Com­mune von 1871 ist. In diesem mo­dernen Idealbild kommunaler Selbstverwaltung spielt die direkte Kontrolle der landwirtschaftlichen Grundversorgung ebenso eine Schlüsselrolle wie die gemeinschaftliche Verfügung über Werkzeuge bzw. Produktionsmittel, um Güter des alltäglichen Be­darfs herstellen und/oder mit anderen Kom­munen tauschen zu können, und so eben von den zentralen Verteilungsmecha­nis­men des korrupten Staates bzw. des ausbeutenden Kapitals unabhängig zu sein. Man mag die Möglichkeiten solcherart lo­kaler Autonomie vor dem Hintergrund eines ausdifferenzierten, omnipräsenten Rechtsstaates aktuell ungünstig einschätzen, allein diese Einsicht entbindet uns nicht von der politischen Verantwortung, für zukünftige Generationen die Experi­men­tierräume zu erkämpfen und zu verteidigen, die sie dereinst befähigen werden, zu besseren politischen Verhältnissen miteinander fortzuschreiten.

Das politische Ideal der Kommune ist deshalb nicht nur für die weitere Entwicklung der sterbenden Industrienationen von entscheidender Bedeutung. Es ist auch eine zentrale Kategorie, wenn in Zu­kunft wirklich Ernst gemacht werden soll mit einer auf Ge­genseitigkeit be­ruhenden Entwicklungszusammenarbeit zwischen mehr und weniger technisch bzw. kulturell entwickelten Regionen rund um den Globus. Das Leitmotiv aufklärerischer Exportschlager sollte deshalb nicht Nation-Building sondern vielmehr Kommunen-Building heißen. Die Kommune ist dabei jedoch gleichzeitig kei­ne universelle Lösung mit genauen Parametern, sondern lediglich eine gemeinsame Richtung. Der Grad und die Art und Weise der jeweiligen Kommunalisierung muss von Gruppe zu Gruppe und von Re­gion zu Region nach eigenen Ansprüchen und Herausforderungen selbst bestimmt werden. Das betrifft ihre Größe, um politische Mit­bestimmung und individuelle Selbstbestimmung zu gewährleisten, das betrifft das Maß an landwirtschaftlicher und energetischer Subsistenz, um eine unabhängige Grundversorgung sicher zu stellen, und das betrifft die Menge an betrieblicher Gemein­schaftsproduktion, um durch Austausch alle weiteren Bedürfnisse befriedigen zu können, ohne dass die Arbeit hierfür zur Qual wird.

Die selbstverwaltete Kommune, ob nun als Aussteigerprojekt müder Großstädter oder als Genossenschaft von Bauern und Bäuerinnen, ob als besetzte Fabrik oder Kleingärtner-Syndikat, ist also nach wie vor die einzige vernünftige Antwort, die mensch den revolutionären Geistern dieser Erde geben kann, wenn sie nach mehr Selbstbestimmung, mehr politischer Mitbestimmung und damit nach mehr lokaler Autonomie verlangen.

(clov)

CONTRA

Neben anderen Aktionsformen war und ist auch der Aufbau von Kommunen ein beliebtes Mittel der libertären Bewegung, um der herrschaftsfreien Gesellschaft ein Stück näher zu kommen. Die lange Tradition dieses Ansatzes sagt freilich wenig über seine Brauchbarkeit aus. Um die zu beurteilen, muss man zunächst wissen, was man mit der Kommune erreichen will. Mögliche Ziele wären z.B. Abkopplung von der kapitalistischen Ökonomie, Propaganda der Tat, Herrschaftsfreiheit in der kleinen Gemeinschaft, Überwindung des Systems durch Aufbau einer Parallelökonomie.

Wenn Leute sich angesichts der herrschenden Zustände in ihre eigene geschützte Ni­sche zurückziehen, mag das im Rahmen der jeweiligen Biographie ein vernünftiger Schritt sein. Das heißt nicht, dass es auch politisch sinnvoll ist. Der Versuch, den Kapitalismus durch den Aufbau einer Pa­rallel­öko­nomie zu über­winden, ist je­denfalls zum Scheitern ver­urteilt – die ka­­pi­talistische Öko­nomie ist we­ni­ger kon­kur­renz­orien­tierten Wirt­schafts­formen stets überlegen, wenn es darum geht, sich im­mer neue Bereiche der Welt ein­zuverleiben. Selbst eifrige Propagandisten des Kommunelebens (wie G. Landauer) machten sich da keine Illusionen, die Entwicklung z.B. der israelischen Kibbuz-Bewegung hat es auch praktisch bewiesen.

Auch was die Propaganda durch die Tat, das praktische Beispiel angeht, ist der Wert des Kommu­ne­modells gering. Die Ab­kopplung von der kapitalistischen Öko­­nomie und die Konstruktion einer ge­schlos­senen Einheit von Arbeitsplatz, Wohn­­ort, Politgruppe und Freundeskreis führt dazu, dass mensch sich auch von de­nen abkoppelt, die durch das eigene Beispiel überzeugt werden sollten. Dies gilt um­so mehr, da das Kommunemodell vor allem auf den ländlichen Raum zuge­schnit­ten ist – in der Stadt gibt es schließ­lich kaum einen Grund, warum mensch z.B. am Arbeitsplatz auch noch wohnen sollte.

Zudem garantiert die kleine Gemeinschaft keineswegs Herrschaftsfreiheit. Auch sie kann einen repressiven, von starren Hier­ar­chien geprägten Charakter annehmen. Die freie Assoziation setzt nämlich nicht nur die Freiwilligkeit des Eintritts in eine Ko­operation voraus, sondern ebenso die Mög­lichkeit, aus der so entstandenen Vereinigung auch wieder auszutreten. Diese Mög­lichkeit muss nicht nur theoretisch be­stehen (als flapsiges „Du kannst ja gehen, wenn dir was nicht passt!“), sondern auch praktisch, d.h. ohne dass dies (wo­mög­lich untragbare) negative Folgen für das Individuum hat. Nur dann ist die tatsächliche Freiwilligkeit einer Zusammen­ar­beit gewährleistet. Die Struktur der Kom­mune mit ihrer Kopplung aller wichtigen Lebensbereiche steht dem entgegen: Wer mit einem Schlag seinen Lebensunterhalt, seine Wohnung und sein soziales Umfeld zu verlieren droht, überlegt im Kon­fliktfall dreimal, ob er der Mehrheit widerspricht oder sich nicht doch eher unterordnet.

Mehr noch: Wenn jemand eine Möglichkeit suchen würde, um eine Gruppe von Menschen in größtmöglicher ökonomischer Abhängigkeit zu halten, die lückenlose Überwachung nicht nur der Gruppe als ganzer, sondern auch die wechselseitige, alle Lebensbereiche umfassende Kontrolle der Gruppenmitglieder untereinander zu gewährleisten, so könnte derjenige nur schwer ein Modell finden, dass besser dafür geeignet wäre als die Landkom­mune.

Soweit wird es in den meisten Fällen nicht kommen. Es geht mir auch nicht darum, irgendwelche Horrorszenarien zu entwerfen – der Punkt ist, dass die Struktur der Kommune nicht geeignet ist, im Falle des „Größten Anzunehmenden Unfalls“ dem Entstehen neuer Herrschaftsverhältnisse entgegenzuwirken, sondern diese im Gegenteil noch verstärkt. Das „System“ aussperren zu wollen ist nutzlos – wenn man sich selbst dabei einsperrt, wird es gefährlich.

(justus)

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