Konferenz der ArbeiterInnenbewegung

Am 8. November 2003 fand in Poznañ die Konferenz der ArbeiterInnenbewegung in Polen statt, zu der die ArbeiterInnen-Initiative (IP) der Anarchistischen Föderation (FA) eingeladen hatte. Der Zweck dieses Treffens war es, so viele der radikalen ArbeiterInnenprotestkomitees wie möglich zusammen zu bringen, Informationen über die aktuelle Situation in den jeweiligen Betrieben auszutauschen, Erfahrungen der lokalen Kämpfe zu vergleichen und nach Wegen einer Einigung und einer gemeinsamen Strategie für die Zukunft zu suchen. Etwa 50 Personen aus 15 verschiedenen Fabriken – darunter Mitglieder kleiner, unabhängiger Gewerkschaften, wie Solidarnosc’80, Sierpieñ’80 und Konfederacja Pracy (gegründet 2001) – und auch Mitglieder der IP/FA nahmen an der Konferenz teil. Viele hatten in ihren Betrieben im vergangenen Jahr Arbeitskämpfe, Streiks und Proteste durchgeführt, waren gegen schlechte Arbeitsbedingungen oder Entlassungen aufgestanden oder haben innerbetriebliche Unterstützung organisiert. So wurde die FSU, ein DAEWOO-Zulieferer, bestreikt während sich KollegInnen in Südkorea im Ausstand befanden. In den Krankenhäusern von Wroclaw finden fast ununterbrochen Proteste statt, weil Betriebsvereinbarungen immer wieder gebrochen werden. Die offiziellen Gewerkschaften indes hatten sich schon vor zwei Jahren aus den Protestkomitees zurückgezogen. Im Medizinischen Zentrum in Poznañ kommt es unterdessen nach Protesten zu Repressionen gegen AktivistInnen: sie werden gegängelt und bei der Ausstattung mit Arbeitsgerät benachteiligt. In ganz Polen läßt sich bei Neueinstellungen und Änderungskündigungen eine Tendenz zu leistungsorientierter Entlohnung beobachten. Vertraglich garantierte Prämien werden aber kaum ausgezahlt. Was bleibt, ist eine Lohnsenkung auf breiter Front.

Das Treffen beschränkte sich hauptsächlich auf den Informationsaustausch, es blieb kaum Zeit für konstruktive Diskussionen und weitere Schlussfolgerungen. Nichtsdestotrotz machte die ganze Veranstaltung einen positiven Eindruck auf mich. Denn die meisten Delegierten, egal wie erfolgreich ihr eigener Kampf bisher gewesen sein mag, erklärten ihre Bereitschaft und Entschlossenheit, den Kampf fortzuführen. Sie erklärten einstimmig, eineR nach dem/der anderen, ihre Missbilligung des Verhaltens der großen polnischen Gewerkschaften (insbesondere von „Solidarnosc“ und „OPZZ“) und befürworteten, einen neuen Weg der Einigung der ArbeiterInnenbewegungen in Polen zu gehen, abseits dieser arbeiterfeindlichen Gewerkschaftsstrukturen – konkrete Ideen dazu waren aber seltener. Es war klar, dass die polnischen ArbeiterInnen aus bestimmten Gründen noch immer nicht bereit sind, den anarchosyndikalistischen Weg zu beschreiten: Inbesitznahme der Fabriken durch Besetzung, Abbau alter Strukturen und Fortsetzung der Arbeit unter neuen, nicht-hierarchischen Bedingungen, basierend auf Solidarität und Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse. Das rührt vor allem daher, dass die Protestkomitees in den meisten Fällen aus nur sehr wenigen Leuten bestehen. Sie haben zwar großen Zuspruch unter ihren KollegInnen, das Potential ist groß, aber bis heute ist es mangels einer breiten aktiven Basis noch nicht möglich, radikale Schritte zu ergreifen. In solch einer Situation ist die weitere Entwicklung der Ereignisse nicht die schlechteste: man versucht, mehr und mehr Kontrolle und Einfluss in den Fabriken zu gewinnen, indem direkte Repräsentanten der ArbeiterInnen in die entscheidungstragenden Gremien gebracht werden. In einigen Fabriken führt diese Taktik zu konkreten Veränderungen vor Ort.

Gleichzeitig bereiten die AnarchistInnen der IP für Anfang nächsten Jahres eine landesweite Kampagne vor: Hilfe beim Aufbau von ArbeiterInnenprotestkomitees in ganz Polen, verbunden mit Bildungsarbeit. Das heißt in erster Linie, ArbeiterInnen in Workshops darauf vorzubereiten, Proteste und Aktionen so effektiv als möglich auszuführen. Dazu gehört die Gestaltung von Flugblättern und Plakaten, Umgang mit der Presse, aber auch die Organisation von Nahrungsmitteln und rechtlicher Unterstützung. Die junge Generation ArbeiterInnen in Polen scheint kaum Ideen und wenig Erfahrung zu haben, wie man das machen soll, und es werden sehr simple Fehler gemacht. Die deutschen AktivistInnen von der FAU unterstützen diese Kampagne und mit 500 Euro für die Vorbereitungen gespendet. Dazu hieß es: „Dieses Geld soll als Grundstock für ein Bildungswerk dienen, das die Bildungsarbeit der IP und der Solidarnosc 80 in polnischen ArbeiterInnenbewegung unterstützen wird (…) Uns Gästen von der FAU bleibt ein beeindruckendes Bild von Gewerkschaftsaktivisten der frühen 80er im Gedächtnis, die an ihrem Arbeitsplatz das libertäre Erbe der polnischen Arbeiterbewegung verteidigt und fortgeführt haben, ohne jeweils immer Anarchist oder libertär zu sein. Syndikalismus pur, auf polnisch: schmeckt gut und macht Hunger auf mehr!“

Die Verbindungen zwischen den verschiedenen Protestkomitees im ganzen Land wurden gestärkt und der Traum von wachsendem Widerstand, der zu Generalstreik und wahren gesellschaftlichen Veränderungen führt, bleibt lebendig. Die Zusammenarbeit der FAU mit polnischen Anarchosyndikalisten und indirekt mit ArbeiterInnenprotestkomitees ist eines der wichtigsten und vielversprechendsten Resultate dieser Konferenz.

Am darauffolgenden Tag fand ebenfalls in Poznañ ein Treffen der Anarchistischen Föderation (FA) statt. Hier drehte sich die Diskussion vor allem um eine bessere Kommunikation innerhalb der FA. Der Vorschlag eines zentralen „Büros“, das regelmäßig ein Bulletin zusammenstellen solle, wurde zugunsten einer dezentralen Organisation verworfen: Informationen werden im Internet gesammelt und vor Ort ausgedruckt und verbreitet.

(Dieser Text ist zu großen Teilen eine Übersetzung des Artikels von Veronica Sinewali in Abolishing the Borders from Below, #13, Dezember 2003. Ein Bericht zum Hüttenwesen, der von einem schlesischen Zinkwerkarbeiter, vorgestellt wurde, findet sich unter www.fau.org)

Nachbarn

Schreibe einen Kommentar