Krawalle für alle

Zu den Ereignissen vom 12. Dezember 2015

Statt dem geplanten „Sternmarsch auf Connewitz“ wurde es doch nur ein müder Spaziergang durch die Südvorstadt. Kein Wunder, denn neben Silvio Rösler mit seiner Offensive für Deutschland und Thügida hatte sich auch der notorische Christian Worch mit seiner Partei Die Rechte angemeldet – und der hat schließlich jahrelange Erfahrung, wie man mit solchen Aufmarschversuchen ordentlich scheitert. Am Ende waren es nur 135 bis 150 Hanseln, die ein paar hundert Meter durch die Südvorstadt latschten, von der Polizei großzügig mit Hamburger Gittern abgeschirmt.

Der Nazi-Aufmarsch selbst war somit nicht weiter beachtenswert. Die damit beabsichtigte Provokation gelang aber durchaus. So waren auch die lokalen Antifa-Sportgruppen an diesem Tag besonders sportlich unterwegs und mühten sich redlich, den guten schlechten Ruf zu verteidigen, den Connewitz sich im Lauf der Jahre erarbeitet hat. Der Krawall gestaltete sich dabei zwar ziemlich flächendeckend, aber eben darum auch wenig zielgenau. Brennende Mülltonnen ergeben zwar hübsche Pressefotos, nützen nur praktisch wenig, wenn sie mehr als einen Kilometer von der Aufmarschroute entfernt sind. Aber so macht mensch das eben, wenn man einerseits hübsch militant sein, sich aber andererseits nicht mit der Polizei ins Gehege kommen will…

Die Polizei ließ sich ihrerseits nicht lumpen und brachte an diesem Tag nicht nur vier Wasserwerfer, sondern auch jede Menge Tränengas zum Einsatz, was in der belebten Südvorstadt natürlich eine total dufte Idee war. So wurden an diesem Tag – mal mehr, mal weniger zielgenau – exakt 78 CS-Gas-Kartuschen verschossen. Ob die Polizei sich damit einen Eintrag im Guinessbuch der Rekorde sichern oder vielleicht auch nur ihre gammeligen Lagerbestände loswerden wollte (1), konnte noch nicht abschließend geklärt werden.

 

Keine Gewalt – sonst knallt´s!

Das Ausmaß an Gewaltbereitschaft (2), das da zu Tage trat, war natürlich schockierend – wobei die Beamten bekanntlich für so was bezahlt werden, also schon per Definition keinerlei „Gewalt“, sondern nur ihren Beruf ausüben. Umso empörter war die bürgerliche Öffentlichkeit über die Ausschreitungen der fiesen Autonomen.

Auch hier zeigte sich wieder das bekannte Fallgesetz des öffentlichen Diskurses: So wie ein fallender Gegenstand umso mehr an Geschwindigkeit gewinnt, je mehr er sich von seinem Ausgangspunkt entfernt, so drehten die Beteiligten der nachfolgenden „Debatte“ umso doller am Rad, je weniger sie von den Krawallen selbst direkt betroffen waren. Der Chef des Café Puschkin zum Beispiel war bei Ereignissen sehr nah dran gewesen (so wurden die Puschkin-Sitzbänke für Barrikadenbauversuche zweckentfremdet). Er äußerte sich in einem Facebook-Kommentar also ziemlich unaufgeregt und sarkastisch: „Wir danken der Stadt Leipzig und dem verantwortlichen Amt in Bautzen für den gestrigen Tag. Durch die Entscheidung eine Gruppe von Vollidioten mit der Androhung unser Stadtteil in Schutt und Asche legen zu wollen, ‚demonstrieren’ zu lassen, hatten wir einen tollen Tag. Ich wollte schon immer mal Wasserwerfer und Panzerwagen vorm Laden sehen, auch wusste ich bisher nicht wie Tränengas schmeckt.“

Umso aufgeregter waren dagegen viele Leser_innen des Leipziger Zentralorgans LVZ, die von dem Geschehen selbst nichts mitbekommen hatten und nun, aufgrund der nachfolgenden Berichterstattung, vermutlich meinten, von der Südvorstadt sei nach den Krawallen nur noch ein rauchender Krater zurückgeblieben. So wurde in einer LVZ-„Leserdebatte“ vom 18. Dezember 2015 gar nicht groß debattiert, vielmehr waren sich im Prinzip alle einig, ganz nach dem Motto: Schlimm, diese Kriminalität – die sollte man wirklich verbieten!

Ein Leserbriefschreiber machte z.B. folgenden glorreichen Vorschlag: „Woher stammt die Angst der Verantwortlichen, einen ‚Ausweis für Gewaltlosigkeit’ einzuführen, den jeder, der demonstrieren will, vorher zu unterschreiben hat? Tut er es nicht, verliert er so lange das Recht auf Demonstration, wie er diese Unterschrift verweigert.“ (3) Der gute Mann hat vermutlich noch nie an einer Demonstration teilgenommen – wer demonstriert, will ja immer irgendwas geändert haben, was schon mal mangelnde Staatstreue anzeigt und deswegen verdächtig ist. So kennt sich unser Leserbriefverfasser mit den Abläufen bei Demonstrationen wahrscheinlich nicht so aus und kann darum natürlich auch nicht wissen, dass dort bereits heute schon ein generelles Steineschmeißverbot herrscht. Und dass es Leute gibt, die sich trotzdem nicht dran halten, das dürfte für ihn schlicht unfassbar sein, denn: Wenn etwas verboten ist, dann darf man das doch nicht machen!

Ein anderer Leserbriefschreiber dekretierte: „Bürger, die den Staat bekämpfen, haben das Recht verwirkt, die Vorteile des Staates zu nutzen. Milde ist gegen derartige Bürger keinesfalls gerechtfertigt.“ Der Mann fühlte sich durch die begangenen Rechtsverletzungen offenbar so dolle in seinem Empfinden verletzt, dass er den Rechtsstaat sofort über den Haufen werfen wollte. Das wirft dann aber allerlei verzwickte Fragen auf: Haben „derartige Bürger“ nun auch das Recht auf eine ordentliche Beweisaufnahme und ein Gerichtsverfahren verloren? Falls ja: Wie entscheidet man dann, wer zu den „Derartigen“ dazugehört? Frei nach Lust und Laune? Und nach welchen Rechtsgrundsätzen soll man die Leute überhaupt noch verurteilen, wenn sie doch alle Rechte „verwirkt“ haben? Hoffen wir mal, dass Polizei und Staatsanwaltschaft auf solche Sonderwünsche aus der Bevölkerung keine Rücksicht nehmen…

Empört war offenbar auch der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung: „Diese Gewalt von Anarchisten und sogenannten Autonomen ist schockierend. Hier waren Kriminelle am Werk, die vor nichts zurückschrecken. Das ist offener Straßenterror“, äußerte er sich in einer Pressemitteilung (4). Wahrscheinlich weiß Burkhard Jung gar nicht genau, was „Anarchisten“ sind. Er hat aber im Lexikon nachgeguckt und konnte somit der LVZ nähere Auskunft geben: „Hier steht uns eine Gruppe gegenüber, die diesen Staat abschaffen will.“ (5) Gegen die müsse man mit rechtsstaatlichen Mitteln „mit aller Härte“ vorgehen.

Genau. Anarchisten wollen den Staat abschaffen – das ist aber eine ganz klar politische Zielsetzung, was Jungs gleichzeitig geäußerter Meinung, man hätte es mit schlichten Kriminellen zu tun, sehr deutlich widerspricht. Ansonsten mag die Einschätzung des OBMs richtig sein oder nicht – in jedem Fall sind die möglicherweise gehegten langfristigen Ziele mancher Beteiligter kein geeigneter Maßstab, um das Geschehen zu beurteilen. Der 12.12. war eben kein Auftakt zur Weltrevolution, sondern nur der erfolglose Versuch, eine zahlenmäßig unbedeutende Nazidemo zu verhindern. So wurden zwar diverse Mülltonnen sowie einiges anderes kaputtgemacht, der Fortbestand des deutschen Staates war an diesem Nachmittag aber zu keiner Sekunde ernsthaft bedroht – falls doch, müssten wir auch über das Mülltonnenanzünden noch mal neu diskutieren.

 

Der kleine Aufstand zwischendurch

Nun überschätzt aber nicht nur der Oberbürgermeister die Randalierer, sondern scheinbar auch die Randalierer sich selbst. Diesen Eindruck erweckte jedenfalls ein Text, der u.a. bei Indymedia verbreitet wurde und mit „Insurrektionalistische Linke / Undogmatische Gruppen“ unterzeichnet war. (6) Die anonymen Verfasser_innen freuten sich, weil an diesem Tag soviel an Zeug kaputtgegangen war: „Wir gratulieren zu den Angriffen auf die Sparkasse und den Rewe am Connewitzer Kreuz, auf das großflächige Zerklimpern der Bundesbank, den etlichen zerschepperten Werbetafeln, den vielen in Brand gesteckten Mülltonnen, die zu Barrikadenzwecken auf die Straße gezogen wurden, zu dem Zerstören der LVB-Haltestellen, der Sabotage der Eisenbahnschienen, zu jedem einzelnen Reifen, der auf die Straße gezogen und in Brand gesteckt wurde, zu jeder eingedellten Bullenkarre“… Und so weiter. Wie man sieht, wurde an diesem Tag eine ganze Latte an unterdrückerischen Einrichtungen zerschlagen.

Es folgte ein bissel Manöverkritik, die inhaltlich aber auch nicht weiter bemerkenswert war: „Wir bekommen es nicht hin, richtig gute Barrikaden zu bauen, und wir bekommen es auch nicht hin, den Bullen so richtig zuzusetzen.“ Ähnlich tiefschürfend die folgende Bemerkung: „Was uns aufgefallen ist: Es scheint so eine gewisse Scheu davor zu geben, sich eine Hassi anzuziehen. Aber gerade für das Gesicht ist sie das A und O der Vermummung. Mütze und Schlauchtuch sind nichts dagegen.“ Das wirft immerhin spannende Fragen auf. Zum Beispiel die Frage, an welchen Körperteilen man sich denn sonst noch mit einer Hasskappe vermummen könnte, wenn man sie zur Abwechslung mal nicht „gerade für das Gesicht“ benutzen will – am Knie vielleicht?

Aber lassen wir die blöden Witze. Denn im Anschluss wird es richtig ernst und grimmig, wenn sich die Verfasser_innen von der unsolidarischen Linken distanzieren, die „sich immer und immer wieder distanziert“. Denn merke: „Wer die Möglichkeit zum Krawall abgibt, hat seine Untertänigkeit bereits bewiesen. Von ihm/ihr ist kein Widerstand mehr zu erwarten. Ihr steht auf der Seite der Herrschenden und bettelt um ein Stückchen Macht. Ihr und wir gehören nicht zusammen. Ihr müsst nicht mitmachen und könnt einfach eure Aktionen machen, wir hindern euch nicht und distanzieren uns nicht, aber wenn ihr nicht solidarisch seid, sondern euch distanziert, dann gehört ihr zur SPD, den Grünen und zur Linkspartei. Bitte lasst uns in Ruhe.“

Man merkt, diese aufständischen Linken sind zwar nach außen hart, aber innen doch ganz weich. Wenn andere Linke sie kritisieren, dann kümmert das unsere Flugblattschreiber_innen einerseits überhaupt nicht, aber insgeheim fühlen sie sich doch davon verletzt. Da schreibt mensch sich schnell in Rage und textet flugs eine Menge Unsinn zusammen.

Erstens kommen eventuelle Distanzierungen ja immer erst hinterher, wenn der eigentliche Krawall schon vorbei ist. Es ist also schlicht dummes Gejammer, dass man selbst keine Aktionen mehr machen könnte, wenn andere Leute sich nachträglich davon distanzieren. Zweitens geht es den Verfasser_innen auch gar nicht um die bloße „Möglichkeit zum Krawall“, weil sie die Möglichkeit, dass ein Krawall in manchen Momenten auch mal nicht sinnvoll sein könnte, gar nicht in Betracht ziehen. Die Frage lautet für sie nicht etwa: „Krawall oder nicht?“, sondern nur noch: „Wickeltuch oder Hasskappe?“ Krawall gilt ihnen in jedem Fall als das richtige, weil angeblich wirkungsvollste Mittel. Wer den Krawall im konkreten Moment für sinnlos hält oder einfach persönlich keine Lust hat, sich mit der Polizei zu kloppen (bzw. sich von dieser verkloppen zu lassen), hat eben nicht kapiert, was die richtige revolutionäre Strategie ist und damit dann direkt seine „Untertänigkeit“ bewiesen. Im Gegenzug stellt jede kaputte Schaufensterscheibe einen Auftakt zum kommenden Aufstand dar.

Distanzieren muss man sich davon tatsächlich nicht, weil einerseits für die jeweiligen Aktionen ohnehin nur diejenigen verantwortlich sind, die daran teilnehmen, und andererseits, weil der moralisch erhobene Zeigefinger auch nur ein schlechter Ersatz für inhaltliche Kritik ist (7). Wenn es das Hauptziel der Verfasser_innen ist, „den Bullen so richtig zuzusetzen“, kann man ihnen dabei nur Glück und gute Besserung wünschen. Um alles Weitere kümmern sich Polizei und Staatsanwaltschaft dann schon im Rahmen ihrer Berufsausübung, womit bei allem Krawall doch alles in der hübsch gewohnten Ordnung bleibt.

Überhaupt lässt sich darüber streiten, ob die üblichen Krawalltaktiken nun wirklich dermaßen wirkungsvoll sind – wie sich beobachten lässt, sind die Beteiligten die meiste Zeit über mit Weglaufen beschäftigt. Vollends sinnlos ist es, den „Aufstand“ als rein taktisches Problem zu behandeln, wie die Verfasser_innen es tun. Ein wirklicher Aufstand müsste schon etwas mehr bewirken als kaputte Mülltonnen und Fensterscheiben, nämlich grundsätzlich neue, auch längerfristig veränderte zwischenmenschliche Beziehungen herstellen. Das ist durch exemplarische Kleingruppen-Action nicht zu leisten. Auch der vermehrte Einsatz von Hasskappen wird da wenig weiterhelfen.

justus

 

(1) www.lvz.de/Specials/Themenspecials/Legida-und-Proteste/Legida/Bei-Dezember-Krawallen-in-Leipzig-wurde-abgelaufenes-Reizgas-eingesetzt

(2) vgl. demobeobachtung.noblogs.org/post/2015/12/13/pressemitteilung-der-demonstrationsbeobachtung-leipzig-zum-12-12-2015/

(3) dokumentiert unter linksunten.indymedia.org/de/node/162684

(4) www.leipzig.de/news/news/oberbuergermeister-burkhard-jung-zu-den-ausschreitungen-am-12-dezember-2015-in-leipzig/ (5) siehe www.lvz.de/Leipzig/Lokales/Krawalle-in-Leipzig-Jeder-wusste-was-kommt

(6) linksunten.indymedia.org/de/node/167216

(7) Kritik und allgemeine Solidarität schließen sich natürlich nicht aus, bzw. würde unsolidarische Kritik noch mal ganz anders ausschauen. So würde ich z.B. Neonazis nicht ausgerechnet für ihre taktischen Fehler kritisieren – davon können die gern so viele machen, wie sie wollen.

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