Kulturlandschaften der EU-Osterweiterung

Die Armenschächte von Walbrzych

Wenn Sie Ruhe, Erholung und saubere Natur sowie einen nahen Kontakt mit der Umwelt suchen, können Sie das alles in Walbrzych finden.” Mit diesen Worten wirbt die Stadt Walbrzych (Waldenburg) im polnischen Niederschlesien um Besucher. Nach der Stilllegung des Steinkohlebergbaus arbeitet man nun am Image eines sauberen Kurortes. In Wirklichkeit gleicht die ganze Region mittlerweile einer Mondlandschaft: Arbeitslose Bergleute sind gezwungen dort illegal Kohle abzubauen.

Rund um Walbrzych gibt es unzählige Krater, Erdhügel, meterbreite Löcher. Eine „Kulturlandschaft“ besonderer Art: hier wird illegal Steinkohle gefördert. Walbrzych war bis vor wenigen Jahren ein traditionelles Bergbaugebiet. Bereits im 6. Jh. wurde hier Kohle abgebaut. Vor drei Jahren haben dann die großen Zechen Niederschlesiens dicht gemacht. Niemand in Walbrzych versteht, warum der polnische Staat ausgerechnet die Steinkohlereviere aufgegeben hat, wo doch jeder weiß, dass unter der Erde noch genug Kohle für die nächsten 50 Jahre liegt. Die Verantwortlichen argumentierten, dass die Kosten für den Abbau des „Schwarzen Goldes“ dreimal so hoch seien, wie der Erlös der Kohle. Doch die Kumpel verstehen unter Rentabilität etwas Anderes.

Mit der Einstellung desselben, hielt das Elend Einzug in dieser Gegend. Zur zerstörten Umwelt kam nun noch Massenarbeitslosigkeit hinzu. 15.000 Kumpel ohne Arbeit; dazu kommen noch 12.000 verloren gegangene Arbeitsplätze aus der Zulieferindustrie. Macht eine Arbeitslosenquote von ca. 50 % für die 140.000-Einwohner-Stadt. Quint-Essenz ist bittere Armut in den Familien. Die Regierung kümmerte sich bisher nur unzureichend um neue Arbeitsplätze und als dann auch noch die dünne staatliche Arbeitslosenhilfe von 300 Zloty, also umgerechnet rund 75 Euro, im Monat versiegte (in Polen gibt es nur für 6 Monate Arbeitslosenunterstützung), nahmen die ehemaligen Bergwerksarbeiter das Zepter selbst in die Hand.

Irgendwie müssen die Leute überleben und da dieses Gebiet immer noch über reiche Kohlevorkommen verfügt, sind mittlerweile viele dazu übergegangen diese Kohle, die man teilweise schon nach wenigen Zentimetern Graben erreicht, in Eigenregie “schwarz” abzubauen. Manchmal liegt die Kohleflöze dicht unter dem lehmigen Boden, doch meist müssen sie bis zu 30 Meter tiefe Erdlöcher graben, um an die Kohle heranzukommen. Während sich die polnische Regierung auf den Beitritt in die Europäische Union vorbereitet, buddeln die „Kohlespechte“ mit bloßen Händen und unter Lebensgefahr, in den so genannten „Bieda Szybs“ (Armenschacht), unter mittelalterlichen Bedingungen, nach Steinkohle. Rund 5000 ehemalige Bergarbeiter fördern auf diese Weise, in kleinen Gruppen zu je 4 Männern, tagtäglich Tonnen von minderwertiger Steinkohle aus den Wäldern rund um Walbrzych. Bei jedem Wetter, Sommer wie Winter, um sich und ihre Familien zu ernähren.

An ausreichende Sicherheit denkt dabei oft niemand. Die Verhältnisse in den behelfsmäßig mit Baumstämmen abgestützten Gruben sind trostlos, so stellt man sich eher sibirische Arbeitslager vor. Männer mit Ruß geschwärzten Gesichtern und dreckverschmierter Kleidung kauern vor kleinen Feuerstellen, über denen sie sich die Hände wärmen, Tee kochen oder ein paar Würste grillen. Meist aber hilft der Wodka gegen Kälte und Schinderei. Überall schleppen die Männer stumm und verbissen ihre Kohlesäcke an den Rand der Gruben. Dort warten bereits die Händler mit LKWs und kleinen Lieferwagen. Sie machen das eigentliche Geschäft mit der illegalen Kohle. Pro 50-Kilosack bekommen sie etwa zwei Euro von den Händlern. Die fahren dann hinaus auf die Dörfer oder bringen die gelben Säcke direkt zu den Kunden, von denen sie dann das Vielfache von dem verlangen, was die Bergarbeiter bekommen. Trotzdem ist die illegal geförderte Kohle um einiges erschwinglicher für die Not leidende Bevölkerung, als die im normalen Verkauf.

Täglich passieren Unfälle, doch über gequetschte Rippen, Kopfverletzungen oder Knochenbrüche spricht in den Kohlegruben schon niemand mehr. Von solchen „Bagatellen“ lassen sich die Männer nicht abhalten. Auch immer wiederkehrende Unfälle mit tödlichem Ausgang schrecken die Arbeiter nicht ab. Stattdessen flüchten sich die Kumpel in Zweckoptimismus. Tödliche Unfälle habe es immer gegeben – auch damals in den staatlichen Zechen. Einer der Kumpel fügt fast zornig hinzu: „Glauben Sie, wir würden das hier alles mitmachen, wenn wir eine andere Wahl hätten? Unser Land will der EU beitreten und hat noch nicht einmal einen einzigen Arbeitsplatz für uns. Sie haben uns ein Papier in die Hand gedrückt, auf dem steht, dass wir uns selbstständig machen dürfen. Das sei alles, was sie für uns tun könnten. Jetzt helfen wir uns eben selbst. Wenn wir hier verschüttet werden, dann haben unsere Familien wenigstens die Beerdigungskosten gespart.“

Bis vor kurzem tolerierten die Behörden das Ganze stillschweigend. Doch mittlerweile wurde damit begonnen, die Illegalen an der Förderung zu hindern. Wahrscheinlich wegen der massiven Unfallgefahr in den nicht ausreichend gesicherten Gruben. Eventuell aber auch auf Drängen Brüssels, dass sich in der Vergangenheit schon in Warschau beschwerte, weil die Region angeblich eine Freihandelszone werden wolle. Anfang März demonstrierten ca. 1000 Kumpel für die Legalisierung der “Armeleutegruben” oder die lange fällige Umsetzung der Neubeschäftigungspläne für arbeitslose Kumpel, sowie gegen die Konfiszierung ihrer Werkzeuge und der illegal geförderten Kohle. Die einzige Alternativ-Jobs, die ihnen nun angeboten werden, sind das Verfüllen und Rekultivieren ihrer illegalen Gruben.

lydia

Nachbarn

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