Lager schließen, Abschiebungen stoppen!

Vom 17. bis 19. November 2010 fand in Hamburg wieder die alljährliche Innenministerkonferenz (IMK) statt. Auf der Tagesordnung standen u.a. auch flüchtlings- und migrationspolitische Themen, wie „Aufent­halts­recht für integrierte Kinder und Jugendliche“ und „Maßnahmen zur Förderung der Integration“, aber auch „Sanktionierung integra­tionswidrigen Verhaltens“.

Seit dem 13. November gab es dagegen Demonstrationen und vielfältige Proteste, die sich gegen den Ausbau der Polizei, gegen Sicher­heits­wahn, Repression, Ausgrenzung und eine zunehmend autoritär formierte Gesellschaft richten, aber auch gegen die rassistische Migra­tions- und Flüchtlingspolitik Deutschlands.

Zeitgleich zur IMK veranstalteten bspw. die Jugendlichen ohne Grenzen (JOG)* wie jedes Jahr eine eigene Konferenz zum Thema „Abschiebung“ und initiierten zum Auftakt am 17.11. eine Demonstration unter dem Motto „I love Bleiberecht“, mit der Forderung nach einem bedingungslosen Bleiberecht. Obwohl überwiegend Kinder, Jugendliche und Familien daran teilnahmen, wurde die Demonstration diesmal von massiver Polizeipräsenz begleitet. Demonstrations­teil­­nehmer_innen konnten dadurch kaum mit der Öffentlichkeit Kontakt aufnehmen, um wie sonst Fragen zum Thema zu beantworten.

Am 18. November kürten die Jugendlichen ohne Grenzen dann im Rahmen einer Gala den Bundesinnenmini­ster Lothar de Maizière zum Abschiebeminister 2010. Diesen Preis als inhumanster Innenminister, den die JOG seit 2006 verleiht, erhielt de Maizière für seine Politik der Abschiebungen ins Drittland Griechenland trotz der katastrophalen Lage von Flücht­lingen dort. Mit 98 Stimmen setzte er sich deutlich gegen den Innenminister von Niedersachsen Uwe Schünemann (58 Stimmen) und den bayrischen Innenminister Joachim Hermann (42 Stimmen) durch. Als Preis erhielt er einen Abschiebekoffer mit Utensilien, die er für eine Abschiebung braucht, einen Forderungskatalog der JOG und Geschichten, die Schicksale von Abgeschobenen schildern. Den Preis nahm der Abschiebeminister jedoch nicht selber ent­gegen, sondern schickte einen Mitarbeiter vor. Nicht zu schämen brauchten sich dagegen die Gewinner der drei Initiativpreise, die jedes Jahr an Schulen, Initiativen und Menschen verliehen werden, welche sich gegen Abschiebungen einsetzen.

Zu den Verleihungen fand wie in den vergan­genen Jahren auch eine Aufführung des GRIPS-Theaters aus Berlin statt. Das neue Stück, das den gleichen Titel wie die neu gestartete Kampagne der JOG „SOS for human rights“ trug, handelt von drei Menschen, die sich auf den langen Weg nach Europa machen. Dabei wird die Situation in den Heimatländern gezeigt und die Gefahren, die sie auf dem Weg nach Europa z. B. mit Frontex durchzustehen haben.

Abschiebelager in Möhlau

In Sachsen-Anhalt jedenfalls scheint sich der verantwortliche Innenminister Holger Hövelmann für den Preis als Abschiebeminister 2011 zu bewerben. Seit Jahren erklärt das Innenministerium, dass Flücht­lingsfamilien in „normalen“ Wohnungen untergebracht werden sollen. Ob sich die Ausländerbehörden daran halten oder nicht, spielt jedoch keine Rolle. Vor über zehn Jahren (1998) erklärte das Innenministerium, die großen Lager sollen geschlossen werden. Hier wurde auch explizit auf Möhlau verwiesen. Passiert ist nichts.

Die Lebensbedingungen im Lager Möhlau sind unverändert unzumutbar: Isoliert, zwei Kilometer außerhalb des Provinzdörfchens ohne nennenswerte öffentliche Verkehrsanbindung gelegen, sind die Menschen dort in einer ehemaligen, maroden sowjetischen Plattenbaukaserne Perspek­tiv­losig­keit, Armut und institutioneller Willkür ausgeliefert. Einige leben bereits seit 16 Jahren in dieser Ausweglosigkeit. Die meisten von ihnen bekommen keine Arbeitserlaubnis oder Geburtsurkunden für ihre in der BRD geborenen Kinder. Immer noch können einige nur an zwei Tagen im Monat mit Gutscheinen einkaufen und verfügen kaum über Bargeld. Unhygienisch, baufällig und karg – das sind die auffälligsten Eigenschaften ihrer Unterbringung, an deren Unterhaltung das private Unternehmen KVW Beherbergungs­betriebe (siehe unten) horrende Summen verdient. Die vom Landkreis dafür bereitgestellten Gelder stehen in keinem Verhältnis zu den erbrachten Leistungen; hier wird ein großes Geschäft auf Kosten der Flüchtlinge gemacht! Das gravierendste Problem stellt jedoch nicht die unwürdige Unterbringung dar, sondern die stetige Schikane durch die Ausländerbehörde Wittenberg, welche die ohnehin schon flüchtlingsfeindliche und rassistische Ge­setzes­lage auch noch äußerst rücksichtslos anwendet.

Diese unzumutbare Situation führte bereits zu mehreren Selbstmorden und viele Flüchtlinge sind daran erkrankt. Die Initiative no lager halle engagiert sich deshalb seit Februar 2009 u.a. an einem Runden Tisch zusammen mit den Flüchtlingen aus Möhlau für die Schließung des Lagers. Doch trotz vieler Aktionen konnte in den letzten zwei Jahren außer direkte Hilfe für die Betroffenen wenig erreicht werden gegen die sture Verwaltung und die Absurditäten der deutschen Abschiebepolitk.

Neue Lösungen, aber keine Auswege

Anfang des Jahres gründete der Landkreis Witten­berg zwar endlich eine AG Möhlau, die aus Vertretern der Parteien und der Verwaltung besteht. Diese erarbeitete ihre „In­formationsvorlage zur künftigen Unterbringung von Asylbewerbern und geduldeten Zuwanderern im Landkreis Witten­berg“ aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit und den Betroffenen, jegliches Gespräch mit dem Runden Tisch wurde verweigert. So traf die AG am 28. April auch einmalig im Lager zusammen. Die Lagerleitung zeigte ihnen ausgewählte Wohnungen, ohne die dort wohnenden Flüchtlinge vorher zu fragen. Bei der Sitzung durften fünf Flüchtlingsver­tre­terInnen sich je­weils fünf Minuten zum Leben im Lager äußern. Der Lagerbetreiber Wiesemann war die gesamte Sitzung anwesend. Diese fünf-minütige „Redezeit“ blieb jedoch der einzige Kontakt der AG Möhlau mit den Flüchtlingen.

Im Juni 2010 sollte dann ursprünglich entschieden werden, ob das Lager Möhlau geschlossen wird. Doch die Grünen zogen ihren Antrag zur Schließung des Lagers zurück, da sie davon ausgingen, dass es dafür keine Mehrheit im Wittenberger Kreistag geben werde, der Landrat Jürgen Dannenberg (Die Linke) aber signalisierte, auch ohne Abstimmung die Schließung des Lagers durchzusetzen. Verändert wurde aber nur die Kündigungsfrist des Vertrages, der bisher einmal jährlich mit einer halbjährigen Kündigungsfrist beendet werden konnte; nun kann dieser vierteljährlich gekündigt werden.

Während sich der Landkreis Wittenberg mit einem neuen Unterbringungskonzept beschäftigte, bemühte sich die Ausländerbehörde um möglichst viele Botschaftsanhörungen (siehe Kasten) und Abschiebungen. Bereits im Januar 2010 konnte eine Ashkali-Familie nur durch die Härtefallkommission des Landes Sachsen-Anhalt vor der Abschiebung in den Kosovo bewahrt werden. Sämtliche syrische Flüchtlinge wurden der syrischen Botschaft vorgeführt, „Einladungen“ zu Bot­schafts­vorführungen bei den chinesischen, ghanaischen und der be­ninschen folgten, nur die Sammel­vorführung von 20 Flüchtlingen vor der Beninschen Botschaft am Ende August 2010 konnte verhindert werden. 17 Roma und Ashkali aus dem Lager Möhlau waren 2010 insgesamt von der Abschiebung in den Kosovo bedroht, nur die Härtefallkommission konnte sie davor schützen.

Zum 24. September veröffentlichte der Landkreis Wittenberg schließlich die Ausschreibung für die „Unterbringung und Betreuung von Asylbewerbern in einer zentralen Unterkunft sowie in Wohnungen im Landkreis Wittenberg“. Mitte Oktober fand dazu in Wittenberg der monatliche „Talk am Turm“ der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt e.V. statt. 20 Flüchtlinge beteiligten sich. Als Vertreterin des Landrates Dannen­berg war zum wiederholten Male Frau Tiemann aus der Verwaltung anwesend. Frau Tiemann war gebeten worden, das neue Unterbringungskonzept vorzustellen. Da kein wirkliches Unter­bringungs­konzept erarbeitet, sondern nur Gesetzes- bzw. Verordnungsauszüge zusam­menkopiert wurden und somit nur die Einhaltung der gesetzlichen Minimalstandards, wie z.B. mindestens 5 m² pro Person, vom zukünftigen Betreiber erwartet wird, blieben ihre Ausführungen recht karg.

So kann der neue Betreiber die Unterbringung nach eigenem Ermessen gestalten, solange er ein günstiges Angebot vorlegt. Die Entscheidungskriterien sind: 80% Preis, 5% Betreiberkonzept, 15% Infrastruktur. Gleich­­falls ergibt sich für Flüchtlinge im Landkreis Wittenberg keine andere Perspektive, als in den zu Verfügung gestellten Gebäuden ab März oder Juni 2011 zu leben. Für Alleinreisende, also Flüchtlinge ohne Familie, im neuen Lager und für Familien in einem extra Block mit Wohnungen. Nach dem Willen des Landkreises sollen sie so für mindestens fünf Jahre wohnen, so lange soll der Vertrag gültig sein. Ohne Kündigung verlängert sich der Vertrag mit dem Betreiber automatisch, genau wie der alte. Aus dem Lager kommen die Flüchtlinge nach wie vor nur durch Tod, Heirat einer deutschen MitbürgerIn, Abschiebung oder Illegalität.

(no lager halle)

 

* Jugendliche ohne Grenzen ist seit 2002 eine Initiative von jungen Flüchtlingen und Migran­ten, die sich aus dem Berliner Beratungszentrum junger Flüchtlinge, dem GRIPS-Theater-Jugendclub (Banda Agita) und der Flüchtlingsinitiative Brandenburg zusammensetzt.

 

Wiesemanns „Beherbergungsbetriebe“

Marcel Wiesemann betreibt mit seiner KVW Beherbergungsbetriebe drei Lager: Eins in Brandenburg und zwei in Sachsen-Anhalt. Diese Lager sind dafür bekannt, dass sich Mühe gegeben wird, viel Geld einzusparen und möglichst wenig für die Unterbringung der Flüchtlinge auszugeben. Dies bestreiten die Landkreisverwaltungen nicht.

Zur aktuellen Lage: Neuruppin (Landkreis Ostprignitz-Ruppin): Die Ausschreibung des Landkreises scheiterte jüngst wegen rechtlicher Fehler. Der Vertrag mit der KVW Beherbergungsbetriebe musste verlängert werden. +++ Zeitz (Burgenlandkreis): ganz im Süden Sachsen-Anhalts liegen zwei Lager, ein Containerlager in Weißenfels in Stadtnähe und ein weiteres bei Zeitz. Im Augenblick ist nicht klar, ob das Lager Weißenfels geschlossen wird und alle Flüchtlinge des Landkreises in noch größerer Isolation bei Zeitz leben müssen. +++ Möhlau (Landkreis Wittenberg): Die Bewerbungsfrist für die Bewirtschaftung der zukünftigen Unterbringung für die etwa 180 Flüchtlinge ist am 01. Dezember 2010 abgelaufen. Die alleinstehenden Flüchtlinge werden in einem neuen Lager untergebracht, die Familien sollen in Wohnungen ziehen. Die Ausschreibung macht es möglich, dass alle Familien in einem Wohnblock untergebracht werden und somit in Zukunft zwei getrennte Lager bestehen. Wiesemann hat bei der Bewerbung einen deutlichen Wettbewerbsvorteil, da er seit Juni von den Plänen zur Schließung des Lagers Möhlau weiß. Am 07. Februar 2011 wird darüber entschieden.

Botschaftsanhörungen

Sog. Botschaftsdelegationen von Ländern wie z.B. Guinea, Nigeria, Sierra Leone halten sich in der BRD auf und „begutachten“ Flüchtlinge aus „ihrem“ Land. Merkmale sind Sprache/Dialekt, Gesichtsform (dies geht bis hin zu „Kopfvermessungen“ [siehe hierzu auch S. 14ff in diesem Heft]), Narben etc., die die Botschaftsdelegation als vermeintliche Anhaltspunkte für Staatszugehörigkeiten nimmt bzw. behauptet zu nehmen.

Entscheidender dürfte aber sein, dass die BRD Interesse daran hat, Flüchtlinge, die staatenlos sind, abzuschieben. Für eine Abschiebung brauchen die Ausländerbehörden Reisepapiere, Pass- oder Passersatzdokumente. Diese sollen die Botschaftsdelegationen ausstellen. Die BRD zahlt deshalb der Botschaftsdelegation pro vorgeführtem Menschen Geld und pro ausgestelltem Reisepapier, also Dokument zur Abschiebung, nochmals Geld.

Genötigt werden Flüchtlinge aus dem ganzen Bundesgebiet. Teilweise werden sie ohne Ankündigung von der Polizei aus dem Bett geholt und unter Polizeibegleitung vorgeführt. Dann spielt sich die „Botschaftsanhörung“ wie eine tatsächliche Abschiebung ab, die unsanft aus dem Bett Geholten erfahren später, dass sie „nur“ einer Botschaftsdelegation vorgeführt werden und nicht zum Flughafen gebracht werden.

Besonders gefährlich macht diese Abschiebeanhörungen, dass viele Flüchtlinge vorgeführt werden und damit die kommende Abschiebung – mit den durch die Botschaftsdelegation ausgestellten Papieren – mit einer Chartermaschine direkt vorbereitet wird. Es ist dann weder mit eigenem Widerstand (durch den Flüchtling) noch durch Protest von Unter­stützerInnen möglich, den Flug zu verhindern. Von einer Teilnahme an einer Botschaftsanhörung ist deshalb dringend abzuraten!

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