Leere Orte

Antifaschistische  Erinnerungskultur in Kosovo

Den antifaschistischen Denkmälern in Kosovo ist die Bedeutung abhanden gekommen. Die ehemaligen Orte der Erinnerung sind leer. Der Zweite Weltkrieg spielt dort in den aktuellen Diskussionen um Vergangenheitsarbeit keine Rolle. Eindimensionale Konfliktanalysen haben zu eindimensionalen Ansätzen im Bereich der Vergangenheitsarbeit geführt. Die sogenannte internationale Gemeinschaft hat Vergangenheitsarbeit als wichtige Komponente des State-Building vorgegeben. Sich selbst stilisieren die internationalen Akteure lieber als Helfer statt als Konfliktakteur und damit Teil dieses Prozesses.

Zwei Themen, zwei Perspektiven – zum Einen die Vergangenheitsarbeit, zum Anderen die antifaschistischen Denkmäler in Kosovo. Eigentlich sollte das Eine ein Sammelbecken für das Zweite sein. Ist es aber nicht. Ich möchte im Folgen­den die zwei Themen aneinanderreihen, auf leeren Seiten, ohne vorschnelle Schlüsse zu ziehen, aus unterschiedlichen Perspektiven, ohne zu argumentieren. Deswegen springt der Text.

Antifaschistische Denkmäler

Wir sitzen im Büro des Partisanenverbandes in Pristina. Offiziell nennt sich dieser LANC – Vereinigung der Veteranen des antifaschistischen nationalen Befreiungskampfes. Wir – das ist die Forschungsgruppe Reconstructing the Past in Kosovo: Cultural Memory between Facts and Fiction (1), bestehend aus jungen WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen, die sich vergessenen oder tabuisierten Themen im Bereich Vergangenheitsarbeit widmet und die ei­gene damit verbundene Geschichtskonstruktion kritisch hinterfragt. Als Ausgangspunkt und Orientierung für die Archivarbeit dienen uns dabei dokumentarische Verfahren in der Kunst. Das erste Atelier in diesem Rahmen widmete sich den antifaschistischen Denkmälern und deren Rolle in der heu­tigen Erinnerungskultur in Kosovo.

Das Statut des Partisanenverbandes nennt den Schutz, die Sanierung und auch die Errichtung antifaschistischer Denk­mäler als Ziele – neben der Bewahrung antifaschistischer Traditionen, Werte und Ideale, sowie der Förderung der historischen Wahrheit über den antifaschistischen Befreiungskampf und dem fortführenden Gedenken an herausragende Persönlichkeiten aus dieser Zeit. (2) Die Zerstörung antifaschistischer Denkmäler, die von 1953 bis 1989 in der autonomen Region/Provinz Kosovo als Teil Jugoslawiens erbaut wurden (mehr als 300, wenn man Büsten und Schilder mitrechnet), unterteilt der Verband in 3 Phasen: von 1989 bis 1999 (unter serbischer Besatzung), 1999 bis 2001 (von albanischen Aufständischen), und von 2001 bis heute (eine Erklärung bleibt hier aus). (3)

Wir trinken Macchiato und Rakia. Neben Vahide Hoxha, die das Gespräch mit ihren 87 Jahren als Präsidentin leitet, sitzen noch sechs weitere Mitglieder um den Tisch und berichten aus ihrer Arbeit. Das Durchschnittsalter liegt bei geschätzten 80 Jahren. Der Verband habe es verpasst, die Jugend für die Ideale des antifaschistischen Kampfes zu gewinnen. Das Problem scheint ein altes. Das jüngste Mitglied am Tisch ist 74 Jahre alt. Eine Büste von Fadil Hoxha, verstorbener Ehemann von Vahide Hoxha und einer der führenden Partisanen während des Zweiten Weltkrieges, steht in der äußersten Zimmerecke. Sie hätten keine Genehmigung bekommen, die Büste in Gjakova/Gjakovica aufzustellen, seinem Geburtsort. Deswegen stände sie nun hier. Es sei eine Schande.

Ob der Partisanenkampf für Ehre oder Verrat steht, darüber ist man sich nicht einig in Kosovo. Das Gebiet war während des Zweiten Weltkrieges zwischen Italien, Deutschland und Bulgarien in drei Besatzungszonen aufgeteilt. Unter faschistischer Besatzung genossen die Albaner weitreichende nationale und kulturelle Rechte. Den Partisanen fiel es deshalb schwerer als in anderen Teilen Jugoslawiens, die Bevölkerung für den antifaschistischen Kampf zu rekrutieren. Führende Persönlichkeiten unter den kosovarischen Partisanen proklamierten das Recht Kosovos auf Selbstbestimmung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Kosovo jedoch Autonome Region Jugoslawiens. Deshalb fällt es auch heute den „letzten“ Partisanen nicht leicht, sich als Helden in die Kämpfe um die Unabhängigkeit Kosovos einzureihen.

Vergangenheitsarbeit in Kosovo

Seit der Unabhängigkeitserklärung am 17. Februar 2008 haben 101 UN-Staaten Kosovo als Staat anerkannt. Andere Staaten wie Russland, China oder Indien, und EU-Staaten wie Spanien, Griechenland und Slowakei erkennen Kosovo dagegen nicht an. Der Ahtisaari-Plan, Grundlage für die kosovarische Verfassung, beinhaltet die explizite Empfehlung, dass Kosovo einen umfassenden und gender-sensiblen Ansatz für Vergangenheitsarbeit etablieren sollte, welche die breite Auswahl an Transitional-Justice-Initiativen berücksichtigt (§ 2.5.). Der Bereich der Vergangenheitsarbeit oder auch Transitional Justice beinhaltet dabei strafrechtliche Verfolgung und Wahrheitsfindung, ebenso wie institutionelle Reformen, Reparationen sowie Erinnerungs- und Traumaarbeit. Das International Civil­ian Office hat kurz vor seinem Abzug letztes Jahr eine Arbeitsgruppe formiert, welche eine solche Strategie ausarbeiten soll. Die Gruppe besteht aus Vertretern unterschiedlicher Ministerien, Zivilgesellschaft, Opfergruppen und internationalen BeobachterInnen.

Während der gewaltsamen Konflikte in Kosovo sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung vertrieben und 13.100 Menschen getötet worden (HLC 2011; 01/1998 bis 12/2000) (4). Noch immer gelten 1.754 Personen als vermisst (ICRC 2013) (5).

Für die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechen ist der Internationale Strafgerichtshof für das Ehemalige Jugoslawien (ICTY) zuständig, sowie nationale Gerichte in den Staaten des ehemaligen Jugoslawien. In Kosovo gehört die nationale Rechtsprechung in solchen Fällen weiterhin zu den Aufgaben der EU-geführten Rechtsstaatsmission EULEX. Der Bereich Wahrheitsfindung wird vor allem von der regionalen Fact-finding-Koalition REKOM geprägt. In dieser haben sich vor sieben Jahren die wichtigsten Dokumentationszentren der Region des ehemaligen Jugoslawien zusammengeschlossen. Heute besteht das Netzwerk aus mehr als 1800 nicht-staatlichen Organisationen, Verbänden und Individuen. (6) Ziel ist es, Druck auf die Regierungen auszuüben, damit diese eine regionale Kommission zur Investigation und Dokumentation von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zwischen 1992 und 2001 einsetzen. Mehr als eine halbe Million Unterschriften konnten die Organisationen vor zwei Jahren sammeln. Nationale und lokale Konsultationen vergrößern den Unterstützungskreis und erlauben fortwährende Diskussionen, wie eine solche Kommission aussehen sollte.

Das Humanitarian Law Center in Pristina hat darüber hinaus letztes Jahr ein Buch herausgegeben, welches die Namen und Todesumstände der Getöteten und Vermissten zwischen 1998 und 2000 dokumentiert. Besonders große gesellschaftliche Aufmerksamkeit in diesem Zusammenhang gilt den Familienverbänden der vermissten Personen. Viele Familien warten nun seit mehr als 13 Jahren darauf zu erfahren, was mit ihren Angehörigen geschehen ist. Noch immer werden Massengräber aufgedeckt, Überreste entlang von DNA-Material identifiziert und an die Familien übergeben.

Auch im Bereich Erinnerungs- und Traumaarbeit sind viele unterschiedliche nicht-staatliche und kulturelle Organisationen aktiv (z.B.: YIHR, Alter Habitus, CRDP). (7) Immer mehr KünstlerInnen thematisieren den Umgang mit der Vergangenheit – in Theaterstücken (DramaturgInnen wie Doruntina Basha oder Jeton Neziraj), in Rocksongs (etwa der Band Jericho) und in der Kunst (KünstlerInnen wie Dren Maliqi, Flaka Haliti, Sokol Beqiri oder Albert Heta). Auch viele Kulturfestivals in Kosovo wie das regionale Dokumentarfilmfestival DOKUFEST oder das Internationale Literaturfestival polip haben heute einen Schwerpunkt zum Thema Vergangenheitsarbeit.

Antifaschistische Denkmäler

Vahide Hoxha zeigt uns ihr Album, ihre Dokumentation zu den antifaschistischen Denkmälern in Kosovo – die einzige, die der Verband besitzt: vergilbte Blätter, manchmal mit Fotos, manchmal ohne, gespickt mit leeren Seiten und handschriftlichen Notizen zum Jahr der Einweihung und zur Person des Architekten. Mit zitternden Händen blättert sie von Seite zu Seite und diskutiert mit unserem Fotografen Marko Krojac, ob dieses und jenes Denkmal noch steht. Marko verspricht, ihr die fehlenden Fotos nachzuliefern. Leider kam es nie dazu, zwei Monate später stirbt sie.

Marko Krojac ist spomeniac, eine Verbindung aus dem serbischen Wort für Denkmal „spomenik“ und dem englischen Wort „maniac“. Seit Jahren reist er durch die Landschaften des ehemaligen Jugoslawiens, um auch die kleinsten antifaschistischen Denkmäler aufzuspüren und zu fotografieren. Bisher umfasst seine Sammlung mehr als 500 davon. (8) Bekannt sind vor allem die utopischen Denkmäler von Bogdan Bogdanovic in Jasenovac, Mostar, Bihac oder Prilep. Ein Denkmal, das Marko 2011 in Peja/Pec (im Westen Kosovos) fotografierte, steht zwei Jahre später nicht mehr. (siehe Foto) Die Gemeinde hat sich entschieden, das Denkmal umzusetzen, weg aus dem Stadtpark, hinaus in die Berge an einen Ort, der an Partisanenkämpfe erinnert. Diese Entscheidung sei in Absprache mit dem Partisanenverband getroffen worden, versichert uns Zija Mjulhaxha, Verbandsmitglied und ehemaliger Bürgermeister der Stadt Peja/Pec zu Zeiten Jugoslawiens. Er könne es verstehen, dass sich die Menschen seiner Stadt nach einem Denkmal sehnen, welches alle „Kämpfer“ für das unabhängige Kosovo symbolisiert, einfach sei es dennoch nicht für ihn, bei Spaziergängen nun einen leeren Ort vor sich zu sehen.

Ein Mann, der in unmittelbarer Nachbarschaft zum besagten Ort wohnt, hat eine andere Erklärung: Das sei ein serbisches Denkmal gewesen, deswegen ist es gut, dass es weg ist. Ein anderer Nachbar berichtigt ihn, dass es kein serbisches, sondern ein antifaschistisches Denkmal gewesen sei. Aber auch er meinte, es sei besser, nach vorn zu schauen. Und bei allem, was Deutschland für Kosovo getan hat, müsse man die Deutschen nicht mehr als Faschisten in Erinnerung behalten. Im Jahr 2003 wäre schon einmal eine Granate am Sockel des Denkmals explodiert. Die Fenster der umliegenden Häuser seien zerstört worden, das Denkmal selbst habe aber kaum etwas davon abbekommen.

Zija Mjulhaxha zeigt uns ein Foto, welches das Denkmal während des Abrisses vor wenigen Monaten zeigt. Marko ist sich sicher, dass es eine Fotomontage ist. Ich frage mich, aus welchem Grund jemand eine Montage gestalten sollte. So richtig real sieht das Bild aber wirklich nicht aus. Die ehemals vier metallenen, abstrakten Statuen mit erhobenen Fäusten liegen im sauberen Schnitt meterhoch vor dem Sockel und hinter drei Männern, die sich lachend vor dem entzweiten Denkmal zeigen. Hilfe bei der „Abtragung“ des Denkmals hat die Gemeinde Peja/Pec von der italienischen KFOR-Einheit bekommen, die in der Region stationiert ist. Italienische KFOR-Soldaten hätten das technische Gerät gebracht und die Arbeiten am Denkmal verrichtet. Wo die zwei Teile des Denkmals jetzt aufbewahrt werden, bevor sie an die alternative Stelle in den Bergen gebracht werden, konnte uns keiner sagen. Wer weiß, ob es sie noch gibt. Mjulhaxha beschwichtigt, das Denkmal sei an einem sicheren Ort. Ein Anruf beim KFOR-Pressesprecher mit der Frage, ob wir Bildmaterial und Informationen von der Aktion und ein Interview mit einem beteiligten Soldaten bekommen könnten, blieb ohne Erfolg. Er könne gar nicht verstehen, was ich wollte, und warum die KFOR ein solches Forschungsprojekt unterstützen sollte. Deutschland und Italien waren neben Bulgarien die faschistischen Besatzungsmächte in Kosovo im zweiten Weltkrieg – knapp 70 Jahre später helfen italienische KFOR-Soldaten, antifaschistische Denkmäler abzureißen.

Es lassen sich viele andere Geschichten zu antifaschistischen Denkmälern in Kosovo erzählen. Das antifaschistische Grab auf dem Märtyrerhügel Pristinas, welches auf der einen Seite von UCK-Gräbern und auf der anderen Seite von Rugovas Grab umringt ist, welches erst letztes Jahr renoviert wurde, aber mit völlig neuen Farben und ohne die Namenstafeln der gefallenen Partisanen. Anstelle der Namenstafeln sieht man heute Zeichnungen von kiffenden Aliens oder ejakulierenden Penissen. Anstelle der Erinnerung an den Kampf gegen den Faschismus dient der Ort heute vorwiegend der schönen Aussicht, als Spielplatz und als Dunkelkammer für Drogen und Stunden zu zweit. Oder der Obelisk auf dem Platz der Brüderlichkeit und Einheit im Zentrum Pristinas, dessen Bedeutung sich vom Monument der Revolution zum Monument der Ethnien gewandelt hat. Eine Statue im Umfeld symbolisiert nicht mehr die Partisanen, sondern erinnert durch eine Graffiti-Intervention vor einigen Jahren nun an die „internationalen Helfer“ Kosovos. Neueste Pläne der Stadt sehen eine Umbenennung des Platzes in Adem-Jashari-Platz (nach einem UCK-Kämpfer), den Abriss des Obelisken und den Bau einer Tiefgarage vor.

Vergangenheitsarbeit in Kosovo

Was will ich sagen? Dass antifaschistische Denkmäler nicht einfach abgerissen werden sollten? Sag ich das als Deutsche, oder weil das für den kosovarischen Diskurs über den Umgang mit Vergangenheit unumgänglich ist? Ich fühle mich weder als Deutsche noch als jemand, der so allgemeine Aussagen treffen wollte. Also keins von beiden. Sag ich das als Antifaschistin? Was bedeutet eigentlich Antifaschismus, was antifaschistische Geschichtsschreibung und wie ändern die sich in diesem Rahmen gewonnenen Interpretationen von Geschichte über die Zeit? Und was ist Antifaschismus gekoppelt an nationale Identitäten? Sag ich das, weil ich die Denkmäler schön finde oder schöner als UCK-Monumente oder Bill-Clinton-Statuen? Ja, ich finde das Utopische schöner als das männlich Heroische. Aber Denkmäler generell stehen gegen meine Auffassung, dass Erinnerungskulturen ständig im Wandel begriffen sind, und somit dem Material Stein völlig widersprechen. Was ist es denn dann?

Es geht mir um die verschriebene Objektivität internationaler Akteure in Kosovo. Deutschland ist und war Akteur des Konflikts in Kosovo, und sollte sich daher nicht als globales Vorbild für Vergangenheitsarbeit stilisieren, sondern eine aktive selbstreflexive Rolle in den Diskussionen um Vergangenheitsarbeit in Kosovo einnehmen. Der Rekurs auf Deutschlands Rolle im Zweiten Weltkrieg in Kosovo ist dafür unumgänglich. Und dies sollte nicht erst dann geschehen, wenn die Denkmäler abgerissen und die letzten Partisanen gestorben sind, sondern jetzt.

tung

(1) betweenfactsandfiction.wordpress.com/
(2) veteranet-lanc.org/index.php?option=com_content&view=article&id=50&Itemid=55
(3) veteranet-lanc.org/index.php?option=com_content&view=article&id=46&Itemid=53
(4) www.kosovomemorybook.org
(5) www.icrc.org/eng/resources/documents/feature/2013/05-31-kosovo-missing.htm
(6) www.zarekom.org/The-Coalition-for-RECOM.en.html
(7) Für einen Überblick über aktuelle und vergangene Initiativen: www.dwp-kosovo.info
(8) Galerie auf Flickr zu den Monumenten der Revolution: www.flickr.com/photos/23162282@N05/sets/72157610619105737/
*Die fehlende Erklärung und Nennung von Akteuren des gewaltsamen Konfliktes in Kosovo ist Intention. Anstatt eindimensionaler Konfliktanalysen und des Wiederholens von Klischees ist es manchmal besser zu schweigen.

Nachbarn

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