Legends of Leaks

Sommerlöcher haben ja die Angewohnheit, letztlich doch immer irgendwie gefüllt zu werden. In der Netzcommunity besorgten das diesen Sommer zwei alte Bekannte, die mit WikiLeaks im letzten Jahr in aller Munde waren. Ihr mediales Comeback erlebten sie nun im „Zickenkrieg“ (Fefe) und mit dem „Depeschen-Desaster“ (das ehemalige Nachrichtenmagazin). Doch der Reihe nach …

 

Herbst 2010: Die Internet-Plattform WikiLeaks machte mit immer skan­dal­trächtigeren Enthüllungen auf sich aufmerksam. Gründer Julian Assange geriet unter Vergewaltigungsverdacht, während sich der deutsche Sprecher Daniel Domscheit-Berg mit Kritik an Assanges autokratischem Stil und einer Festplatte ungeleakter Daten aus dem Staub machte. Diese hinterlegte er vertrauensvoll beim deutschen Chaos Computer Club (CCC), der sich um eine Übergabe kümmern sollte, sobald Assange die Sicherheit der Enthüllungsplattform wiederhergestellt hatte. Dazu kam es bis dato nicht, jedoch fanden sich kurz darauf die Daten im Internet wieder. Julian und Daniel beschuldigten sich gegenseitig des Vertrauensbruchs (und gerüchteweise der Ge­heim­dienstzusam­menarbeit) und ließen sich von den Medien in eine regelrechte Schlammschlacht treiben, aus der beide nur als Verlierer herausgehen konnten.

Während Assange sich wegen der Ver­gewaltigungsvorwürfe nach wie vor in britischem Auslieferungs-Hausarrest befindet, arbeitet Domscheit-Berg fieberhaft am neuen „Open­Leaks“ (eine Art toter Briefkasten, durch den Whistle­blower Dokumente direkt bei Open­Leaks nutzenden Medien anonym einreichen können). Das stellte er beim Chaos Communication Camp 2011 vor und rief die Hakcker_innen zum Testen auf. Im Grunde business as usual, jedoch war der CCC-Vorstand der Ansicht, Domscheit-Berg habe damit den Eindruck erweckt, der CCC würde mit „eine[r] Art Sicher­heits­über­prü­fung“ ein „CCC­­­­­-Gütesiegel“ vergeben und schloss ihn per Mehrheitsbeschluss vom Club aus, da Ansehen und Glaubwürdigkeit des CCC bedroht seien. Es bleibt zu vermuten, daß dies nur der sprichwörtliche Tropfen war, der das Fass des WikiLeaks-OpenLeaks-Zanks, in die der CCC mit hinein gezogen wurde, zum Überlaufen brachte. Doch mit soviel Zoff und Klatsch um die hochsensiblen Whistle­­­blower-Plattformen und deren Programmierer nicht genug, leckte auch WikiLeaks selbst und liefert Kri­ti­ker_innen neue Munition.

Beim „Leck im Leck“, dem (wahrscheinlich) unfreiwilligen Zugänglichmachen der US-Diplomaten-Depeschen, mangelte es den Enthüllern nämlich ziemlich an Professionalität. Julian Assange hinterlegte vor etwa einem Jahr für den Kontakt-Journalisten vom Guardian, David Leigh, eine Datei auf dem öffentlichen Wikileaks-Server, versteckt unter all den veröffentlichten Daten. Dazu gab er ihm ein Passwort, welches es um ein bestimmtes Wort an einer bestimmten Stelle zu ergänzen galt. Bei der Datei handelt es sich um die kompletten und unredigierten US-Depeschen, die von WikiLeaks und Medienpartnern wie dem Guardian in Auszügen schon veröffentlicht wurden. Die von Julian hinterlegte Datei enthält jedoch das gesamte Rohmaterial, u.a. die Daten von Infor­man­t_innen und anderen potentiell gefährdeten Personen. Die verschlüsselte Datei wurde im Zuge der Spiegelungen der Seite im November 2010 durch Wiki­Leaks-Sym­pa­thi­sant_in­nen (zum Schutz vor Attacken gegen die Plattform) weltweit mit verteilt und ist seitdem für jeder­mensch er­reich­bar. Aller­dings wusste bis En­de August 2011 niemand in der Öffentlichkeit, was sich in dem komprimierten Datenhaufen verbarg. Dann aber gab die Wochenzeitung der Freitag (Domscheit-Bergs Open­Leaks-Medienpartner) das Leck bekannt und setzte Hinweise auf das Passwort. Dieses wurde in kompletter Form vom Guardian-Journalisten in einem Buch als Kapitelüberschrift verwendet, offenbar in dem Unwissen darüber, daß es noch gültig war. Seitdem kann jede_r mit etwas For­schungswillen und Google-Kenntnissen die ehemals geheime, mit sensiblen Daten bestückte Datei auslesen. Darauf ging WikiLeaks in die Offensive und leakte seinerseits die unredigierten Depeschen, mit der Begründung, daß diese ja nun sowieso für jedermensch zugänglich seien und gefährdete Personen Monate Zeit hatten, sich in Sicherheit zu bringen. Die Interpretationen, wie genau und warum es zu dieser Panne kam, ob (verschwörungstheoretisch gesehen) Absicht dahintersteckte oder es sich tatsächlich nur um eine Verkettung unglücklicher Unfähigkeiten handelte, bleiben dem geneigten Auditorium überlassen.

Und die Moral aus der Geschicht? Hacker und Kämpfer für die Informationsfreiheit, die sich in einem von den Medien angefachten Zickenkrieg gegenseitig denunzieren und diskreditieren, sorgen für einen Vertrauensverlust von – für diese Verhältnisse – epischem Ausmaß. So wie Wiki­Leaks für potentielle Geheimnis­ver­räter_innen nun passé ist, wird auch OpenLeaks mit Daniel Domscheit-Berg an der Spitze auf keinen grünen Zweig kommen. Glaubwürdigkeit bleibt auch im professionellen Geheimnisverrat das A und O. Doch es wird weitergehen mit dem Whistleblowing. Solange Regierungen versuchen, Geheimnisse zu wahren, solange wird es auch engagierte Menschen geben, die ans Tageslicht bringen, was wirklich auf den Etagen der Herrschaft passiert.

shy

Skandal.global

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