Letztlich keine Handhabe

Wächterhaus Zschochersche Straße 59/61

Ärger im Kiez! Anfangs mit Lorbeeren und Lobeshymnen zuhauf behängt, sah sich der Verein HausHalten im vergangenen Winter plötzlich auch mit unschmeichelhafter Presse konfrontiert. Von genervten Anwohner_innen, Schlägereien und Konzerten, die von Polizeikräften beendet wurden, war die Rede oder vielmehr das Gerede, und immer ging es dabei um das Wächterhaus an der Ecke Zschochersche/Industriestraße in Plagwitz. Jedoch hat sich kaum jemand die Mühe gemacht, die Hintergründe zu beleuchten. Anlass genug für den Feierabend!, die Lupe auszupacken und den Gerüchten des Boulevards auf den Grund zu gehen.

 

Schon zu Beginn unserer Artikelreihe über die Leipziger Wächterhäuser hatten wir in der #29 auf die konzeptionellen Mängel und möglichen Schwachstellen des Konzeptes hingewiesen. So z.B. auf das Fehlen von konkreten Nutzungskriterien, durch die der Verein HausHalten den selbst gesteckten Anspruch der sozialen Stadtentwicklung auch ernsthaft einlösen könnte, oder die nachrangige Behandlung der Interessen der „WächterInnen“ und deren fehlende Mitbestimmungsmög­lichkeiten. Nichtsdestotrotz sehen wir nach wie vor auch die Chancen und Freiräume, die der HausHalten e.V. mit seinem Konzept für die Nutzer_innen eröffnet. Viele Aspekte rund um die Fragen und Probleme von Selbstorganisation lassen sich anhand der verschiedenen Hausprojekte beleuchten. Am hier vorliegenden Beispiel der Zschocherschen Straße 59/61 wollen wir deshalb rückblickend einige Konfliktlinien aufzeigen, die durch das Zusammenwürfeln verschiedener Nutzungsansätze leicht entstehen und von daher bei der Koordination eines kollektiven Hausprojektes nicht unterschätzt werden dürfen.

Einzigartige Mischung

Bei dem Objekt in der Zschocherschen Straße 59/61 handelt es sich in vielerlei Hinsicht um eine Ausnahme im Portfolio des Vereins, beherbergen die Häuser doch mit elipamanoke und Kultiviert Anders! zwei Vereine, die mittlerweile feste Größen im Kulturbetrieb des Leipziger Westens geworden sind. Das Projekt umfasst zwei Häuser. Das eine, direkt am Kanal, wird nur im Untergeschoß von eli­pa­ma­no­ke genutzt, da sich der Rest in einem baulich äußerst heruntergekommenen Zustand befindet. Der Höhenunterschied zwischen Kanal und Straße bedingt ein weiteres Kuriosum, nämlich dass der Keller gleich drei Etagen hat.

Über den beiden Vereinen im Erdgeschoss, die sich vor allem der Förderung und Vernetzung von jungen aufstrebenden Künstler_innen verschrieben haben, sind vier Wohnungen mit rund 220m². Die Bewohner_innen zahlen einen monatlichen Betrag, bei dem HausHalten aber nicht möchte, dass er Miete genannt wird, weil ihm kein Mietvertrag nach dem BGB zugrunde liegt, sondern lediglich eine Nutzungsvereinbarung. Das zweite Obergeschoss wird von Student_innen der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) vereinnahmt, die hier ihre Ateliers betreiben und in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen auch Rundgänge unter dem Motto „Tag des offenen Ateliers“ anbieten. Das Stockwerk darüber teilen sich eine psychologische Beratungsstelle und das Designatelier Scalare, das allerdings teilweise schon wieder ausgelagert wurde, weil den Betreiber_innen die verfügbare Fläche zu klein wurde und die erhofften Synergieeffekte ausblieben. Im vierten Stock hat erst im März das Atelier für Ausdrucksmalen wesensART eröffnet. Hier kann mensch es laut Eigenwerbung jeden Dienstag und Donnerstag ab 19 Uhr „mit einem großen weißen leeren Blatt aufnehmen“.

Bedenkt mensch, dass bei diesem Hausprojekt 2006 erstmals Räumlichkeiten nicht nur an Vereine und Künstler_innen, sondern auch an Einzelpersonen vergeben wurden, welche diese ausschließlich als Wohnraum nutzen, lässt sich schon erahnen, dass diese unterschiedlichen Nut­zungs­konzepte zu Reibungen führten. Doch die Probleme fangen nicht erst zwischen den „Wächter_innen“ an, sondern bereits an der Frage um Mit- und Selbstbestimmung gegenüber dem HausHalten e.V.. Im Sommer 2007 kam das Haus groß in die Medien, als die Minister für Bau und Stadtentwicklung sämtlicher EU-Mitgliedsstaaten zu Gast in Leipzig waren und bei dieser Gelegenheit auch das besagte Wächerhausmodell besichtigte. Allerdings nicht zur Freude Aller: Die meisten Nutzer_innen empfanden es als wenig prickelnd, dass ihnen diese Veranstaltung von HausHalten ungefragt „überge­stülpt“ wurde, ebenso wie die Preisübergabe anlässlich des Wettbewerbs „Deutsch­land – Land der Ideen“. Die Begründung des Vereins dazu lautete lediglich, dass dies das einzige Wächterhaus sei, in dem auch die dem Anlass entsprechenden Räumlichkeiten vorhanden seien.

Konfliktlösung?

Die fehlende Vermittlung zwischen den ver­schiedenen Nutzungsansätzen und der mangelnde Blick des Vereins auf Mit- und Selbst­bestimmung der NutzerInnen waren es dann auch, die die Lösung der auf­kommenden Probleme zusätzlich erschwerten. Ausgangspunkt von Spannungen im Haus war zum einen, dass sich die ursprünglich eingereichten Konzepte der Vereine Kultiviert Anders! und elipamanoke bei laufendem Betrieb schnell weiterentwickelt hatten. Konkret bedeutete dies, dass dort seit längerem schon regelmäßig Bands und DJs auftreten, teilweise auch bis weit nach Mitternacht. Dies führte dazu, dass sich die Anwohner_innen häufiger über Lärmbelästigung beschwerten. Als zusätzlich explosiv erwies sich jetzt die stark unterschiedliche Nutzung innerhalb des Hauses. Angesichts der Tatsache, dass kaum Maßnahmen zur Dämmung der entstehenden Schall- und Geruchsbelästigung (durch Zigaretten) bei den Veranstaltungsräumen getroffen wurden, sahen sich die Hausbewohner_innen mehrmals pro Woche mit den unangenehmen Folgen konfrontiert. Diese wurden an HausHalten herangetragen, der Verein beschränkte sich nach Gesprächen darauf, die betreffenden Vereine abzumahnen und mit Kündigung zu drohen, die im Falle des Kultiviert Anders! Ende letzten Jahres auch ausgesprochen wurde. An einer aktiven Vermittlung zwischen den Nut­zer_innen bestand vorerst wenig Interesse. Haus­Halten wollte zwar eine Einigung der Konfliktparteien untereinander erreichen, doch ohne die eigene Mitverantwortung an den Verhältnissen wirklich einzu­räumen.

Inzwischen wurde eine Vereinbarung erreicht. Viele Details sind allerdings nicht bekannt, da die beteiligten Parteien uns gegenüber verschiedene Angaben machten und die Verantwortlichen von Haus­Halten sich nicht öffentlich äußern, mit der Begründung, keine alten Wunden aufreißen zu wollen. Sie sehen es als Erfolg ihres Konzeptes, dass es seit mehreren Monaten keine Beschwerden mehr gab. Eine Konsequenz, die sie aus diesem Konflikt zogen, ist, jetzt verstärkt darauf zu achten, dass die in Frage kommenden Nutzer_innen sich untereinander kennen, bevor ihnen zugesagt wird. Überhaupt ist HausHalten bemüht, die Komplikationen herunterzuspielen – es wird darauf verwiesen, dass es bei 13 Häusern nur in diesem Wächterhaus Probleme unter den Nut­zer_innen gab. Nicht eingehen wollte man auf die traurige Tatsache, dass erst das „Quartiersmanagement Leipziger Westen“ als externer Vermittler einbezogen werden musste, um überhaupt alle Parteien an einen Tisch zu bekommen. Es wird schon als Erfolg angesehen, dass nun innerhalb der Hausgemeinschaft über die Intensität, Länge und Häufigkeit der Veranstaltungen ein Konsens gefunden wurde. Jedenfalls hat Kultiviert Anders! eingelenkt und macht nur noch einmal im Monat Veranstaltungen, die länger als 22 Uhr dauern. Zur Belohnung für ihr überarbeitetes Konzept haben sie jetzt einen neuen Nutzungsvertrag.

Alles in Butter? Denkste!

Seltsam nur, dass die Bewohner_innen aus dem ersten Stock dies erst durch uns erfahren haben. Eine Kommunikation unter den Nutzer_innen findet ihren Angaben nach nicht bzw. nur spärlich statt. Eine Bewohnerin ist kürzlich ausgezogen, weil sie den Lärm nicht mehr ertragen wollte, der Rest macht einen reichlich re­sig­nierten Eindruck. Zwei Jahre lang habe mensch sich erfolglos immer wieder über die Zumutungen Lärm und Qualm beschwert – auch seien wiederholt verantwortliche Personen der Vereine eli­pa­ma­no­ke und Kultiviert Anders! direkt angesprochen worden (etwa wegen Bauholz, das den Weg versperrte), jedoch wären keine erkennbaren Reaktionen erfolgt. Nicht gerade förderlich muss es gewesen sein, dass vergangenen August das Haus­pro­jekt als Ganzes in Frage stand und HausHalten sich der Vermittlerrolle im Kon­flikt entzog und allen Parteien mit Kündigung drohte. Wie blanker Hohn mutet es da an, dass die übrigen Nut­zer_innen zunächst zum neuen Nutzungs­kon­zept des Kultiviert Anders! befragt wurden, es jedoch zuerst am 30.10. und später erneut ablehnten, woraufhin sie vom HausHalten e.V. nicht weiter mit einbezogen wurden. Die Bewohner_innen haben zwar bemerkt, dass es in den letzten Wochen erkennbar weniger laut geworden ist, ärgern sich aber nach wie vor, dass es so lange dauert, ehe sich etwas ändert. Das hat auch Auswirkungen auf die Plenumskultur. Gab es ver­gangenes Jahr, als die Krise akut war, fast alle zwei Wochen Hausplena (bei denen in der Regel auch nur die selben drei oder vier Nut­zer_innen anwesend waren), so gibt es inzwischen gar keine mehr. JedeR kommt nach Bedarf zum Haussprecher, der die Rolle des Sprachrohrs gegenüber HausHalten einnimmt oder nutzt das schwarze Brett im Haus­flur. Dringende Punkte lägen momentan nicht vor – lapidarer Kommentar des Haussprechers: „Letztlich hast du ja eh keine Handhabe“. Ein Nutzer aus dem Erdgeschoss resümiert: „Am Anfang wurde viel versprochen, jetzt nach über zwei Jahren haben wir zwar viel Spielraum und Freiraum und müss­ten eigentlich Zimmerlautstärke ein­hal­ten, solange es aber die anwohnende Be­völkerung nicht stört, hat HausHalten kein Problem damit. Klar sind wir mal hier und dort ins Fettnäpfchen getreten und muss­ten die Fehler dann auch ausbaden, da hätten wir uns von HausHalten mehr Un­terstützung gewünscht. Wenn nach außen alles schön ist und die Weste rein bleibt für Haus­Halten, dann ist alles cool, aber sobald irgendwie ein kleines Problem auf­tauchte, wurde es doch sehr spitzfindig.“

Bleibt zu hoffen, dass demnächst die hausinterne Kommunikation wieder stärker in Gang kommt und die Vereine Kultiviert Anders! und elipamanoke, die das Bild der Wächterhäuser in der Öffentlichkeit zu einem wesentlichen Teil mitprägen, noch möglichst lange und ungestört ihren eigentlichen Kernzielen nachgehen können: Ein Forum für Kultur, Kunst und Medien zu schaffen, sowie jungen Kulturschaffenden und neuen Ideen einen Freiraum zu bieten, um eine soziale Stadtentwicklung im Viertel weiter voran zu treiben.

(bonz)

 

www.kultiviertanders.de

www.myspace.com/elipamanoke

www.haushalten.orgde/haushalten_chronik.asp

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