Südafrika gehört (neben Nigeria) zu den industrialisiertesten Ländern Afrikas. Das Interview mit J. Black, ZACF, wurde im Ende 2004 von der Agência de Notícias Anarquistas (Brasilien) geführt und wirft uns ein Licht, wo sonst nur Dunkel ist.
Wie steht es heute um die anarchistische Bewegung in Südafrika?
Es gibt eine kleine anarchistische Bewegung in Südafrika seit etwa Beginn der 1990er. Sie findet sich aber noch in den Kinderschuhen, obwohl libertäre Ideen in den sozialen Bewegungen der letzten fünf Jahre immer populärer geworden sind. Es gibt auch marxistisch dominierte Jugendorganisationen in Swaziland, wo sich einige Mitglieder für Anarchismus interessieren.
Wie setzt sich die Bewegung zusammen?
Die wichtigste Vereinigung des organisierten Anarchismus in Südafrika ist die Zabalaza Anarchist Communist Federation (ZACF), die dieses Jahr ihren ersten offiziellen Kongress in Johannesburg abhielt. Die Aktivitäten der ZACF – die gebildet wird von der Black Action Group, dem Bikisha Media Collective, den Zabalaza Books, dem Anarchist Black Cross und der nun aufgelösten Zabalaza Action Group – umfassen Propaganda und Bildung, indem wir anarchistische Literatur schreiben, veröffentlichen und verbreiten, und indem wir politische Bildungsforen ausrichten und an sozialen Bewegungen und Gemeinschaften ebenso teilnehmen wie an Organisationsversuchen in Gefängnissen.
Wo liegt derzeit euer Schwerpunkt?
Zur Zeit versuchen wir, die demoralisierten und enttäuschten ArbeiterInnen zu organisieren, die an der WITS-Universität ausgegliedert wurden. Außerdem nehmen wir an sozialen Bewegungen teil, die sich gegen die Privatisierung der Wasser- und Stromversorung und gegen Zwangsräumungen richten. Schließlich versuchen wir, Gefangene zu organisieren.
Bringt ihr viele Bücher und Publikationen heraus?
Die ZACF gibt „Zabalaza: A Journal of Southern African Revolutionary Anarchism“ heraus und, wenn auch nur sporadisch, den „Black Alert: Paper of the Anarchist Black Cross – Anti-Repression Network“. Wir schreiben und produzieren auch verschiedene anarchistische Flugblätter und Kritiken, die den aktuellen Klassenkampf in Südafrika und seine Geschichte berühren, wie zum Beispiel „Class Struggles in South Africa: From Apartheid to Neoliberalism“. Außerdem reproduzieren wir viele zeitgenössische und klassische anarchistische theoretische und praktische Texte. Zabalaza Books begann jüngst auch mit der Herausgabe des Buches „African Anarchism“ der nigerianischen Anarchisten Sam Mbah und I.E. Igariwey von der Awareness League, wie auch von „Hungary ’56“ von Andy Anderson.
Gibt es auch anarchistische Lokalitäten, oder Kulturzentren?
Es gibt ein sehr kleines Gemeindezentrum im Motsoaledi-Township von Soweto, das von Anarchisten betrieben wird. Das ist ein kleiner Leseraum und eine Bibliothek, die anarchistische Literatur beherbergt. Es werden dort aber auch politische und unterhaltsame Videos gezeigt. Die Aktivisten betreuen auch einen kleinen Gemüsegarten und bieten in jüngster Zeit eine Tagesbetreuung für kleine Kinder an. Daneben gibt es noch zahlreiche andere Gemeindezentren, die von der Basis betrieben werden, aber nicht spezifisch anarchistisch sind – immerhin findet man auch dort anarchistische Literatur und Einflüsse unserer Ideen. Eines der wichtigsten Ziele der ZACF für die nähere Zukunft ist der Aufbau eines anarchistisch betriebenen Gemeindezentrums oder Infoladens, wo wir unsere Materialien verteilen, Workshops etc. machen können.
Gibt es in Südafrika eine anarchistische Tradition?
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine relativ große anarchistische Bewegung in Gestalt der anti-parlamentarischen Communist Party of South Africa (nicht zu verwechseln mit der reformistischen Communist Party of South Africa – Communist International!), des Socialist Club, der International Socialist League, der Industrial Workers of Africa, der Industrial Workers of the World South Africa und der Industrial Socialist League – sie alle wurden zwischen 1900 und 1920 in Südafrika gegründet. Außerdem gab es in Mozambique die Revolutionary League und anarcho-syndikalistische Gewerkschaften, die mit der portugiesischen CGT verbunden waren und die mozambiquanische ArbeiterInnenbewegung der 1920er dominierte. Diese Traditionen im südlichen Afrika wurde durch die beiden Weltkriege und das nationalistische Regime leider ausgelöscht; ein Wieder-Anknüpfen war erst möglich, seit das Apartheid-Regime niederging und das „Gesetz zur Unterdrückung des Kommunismus“ aufgehoben wurde. […]
Gibt es ein anarchistisches Projekt, das du hervorheben möchtest?
Im Moment gibt es ein Projekt, dem ich mich leidenschaftlich verbunden fühle, und zwar eine Unterstützungskampagne für inhaftierte Anti-Apartheid-Kämpfer und politische Gefangene, die noch immer in den Kerkern Südafrikas vegetieren. Die Kampagne soll dem Los dieser Gefangenen Aufmerksamkeit verschaffen, in der Hoffnung, dass wir ausreichend öffentliche Unterstützung erzeugen können, damit diese Leute amnestiert werden. Einige dieser Gefangenen interessieren sich sehr für Anarchismus und wir hoffen, dass wir durch sie, über die Gefängnisorganisation hinaus, in die sie involviert sind, auch ihre Familien und Gemeinden erreichen können, die die repressive Rolle des Staates direkt erfahren haben.
Wird die anarchistische Bewegung in erster Linie von Schwarzen gebildet?
Das Proletariat in Südafrika ist mehrheitlich schwarz, aber aufgrund der Geschichte – mit dem mangelnden Zugang zu Informationen für die unterprivilegierten Klassen und speziell die „Nicht-Weißen“ während der Apartheid – war die Mehrheit der bewussten Anarchisten tatsächlich weiß. Bis auf wenige Ausnahmen, gelang es uns erst im Zuge der Mobilisierung gegen den UN-Gipfel über Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002, Kontakte zu schwarzen Anarchisten aus den Townships aufzubauen. Sie sind erst vor kurzem mit anarchistischen Ideen in Berührung gekommen, was vor allem auf unsere Propaganda in sozialen Bewegungen zurückzuführen ist. In letzter Zeit zeigen auch einige politische Gefangene zunehmendes Interesse am Anarchismus, oder bezeichnen sich jetzt selbst als Anarchisten.
Was ist heute das größte Problem des Anarchismus in Südafrika?
Das größte Problem der anarchistischen Bewegung in Südafrika ist, wie vielleicht aus dem Gesagten schon hervorgeht, dass es keine anarchistische oder libertäre Massenbewegung gibt, gleichwohl wir Kontakte haben zu sozialen Bewegungen und Graswurzelaktivisten in den Gemeinden. Da die Massenbewegungen von Reformisten und autoritären Sozialisten dominiert werden, haben wir es aufgrund unserer geringen Anzahl und der Begrenztheit unseres Einflusses und Budgets sehr schwer, eine praktische Alternative zum autoritären Sozialismus herauszustellen.
Wie sehen die Perspektiven aus?
Die ANC-Regierung trägt viel dazu bei, die Leute über die Rolle der Politik zu desillusionieren, was die Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen angeht. Und die trotzkistisch geprägte Führung des Anti-Privatisierungsforums (APF), das als soziale Bewegung aus der ArbeiterInnenklasse entstanden ist1, will das APF nun als „Arbeitermassenpartei“ registrieren und zu Wahlen antreten – ein Gedanke, der heiß debattiert wurde, wobei sich in der sozialen Bewegung zwei oppositionelle Gruppen ergaben: eine libertäre und autonome, und eine autoritär-hierarchische. Diese Situation könnte eine gute Gelegenheit für Anarchisten bieten, all jene Aktivisten in einer Volksfront der unterdrückten Klassen zu versammeln – orientiert an den Prinzipien der direkten Aktion, der Gleichheit, etc. –, die der parlamentarischen Politik ablehnend gegenüber stehen. Außerdem scheint mir die Einrichtung eines anarchistischen sozialen und kulturellen Zentrums äußerst wichtig, das für die ArbeiterInnenklasse leicht zugänglich ist, damit unsere Materialien mehr Leute erreichen.
In welchen anderen Ländern des Kontinents gibt es noch anarchistische Strömungen?
In Nigeria existiert bereits seit einigen, etwa zehn Jahren die anarcho-syndikalistische Awareness League, die zur Zeit etwa 1.000 Mitglieder hat, obwohl die Zahl in letzter Zeit wohl gesunken ist. Im Jahr 2000 oder 2002 hatten sie eine eigene Radiostation eröffnet, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie noch auf Sendung ist. Die Awareness League schloss sich im Dezember 1996 der anarchistischen Internationale IAA an. In Kenia gibt es die Anti-Capitalist Convergence of Kenya, die meines Wissens wie die Washington DC Anti-Capitalist Convergence aufgebaut ist und von libertären Kommunisten, Marxisten und anderen Sozialisten ins Leben gerufen wurde, um „die allgemeine Öffentlichkeit mit revolutionären Ideen, Propaganda und Aktionen zu erreichen“. Außerdem hat wohl die französische Sektion der IAA, die CNT, einige Kontakte zu Anarchosyndikalisten in Algerien. Außerdem scheinen einige Gruppen in den Gewerkschaften Marokkos aktiv zu sein. Die australische Zeitschrift „Organise“ berichtete, dass auf dem XXI. IAA-Kongress im Dezember 2000 von einer Organisation in Zaire/Kongo die Rede war. Gerüchteweise gibt es auch in Uganda, Sierra Leone und Ägypten einige, möglicherweise sehr wenige aktive AnarchistInnen. Zudem haben wir Kontakt zu marxistisch beeinflussten Revolutionären vom Swaziland Youth Congress (SWAY OCO) und der Students Union of Swaziland, die reges Interesse am Anarchismus äußerten. Sie sehen darin ein Kampfmittel gegen das monarchistische Tinkundla-Regime, und wir hoffen, die Beziehungen weiter ausbauen zu können.
Fühlt ihr euch in die weltweite anarchistische Bewegung integriert?
Im allgemeinen leistete die internationale anarchistische Gemeinschaft sehr viel Unterstützung und wir stehen regelmäßig in Kontakt mit zahlreichen AnarchistInnen und Organisationen aus der ganzen Welt. Wir hatten auch Gelegenheit gehabt, einige AnarchistInnen aus Ländern wie Schweden, Amerika, Irak, England, der Schweiz etc. zu treffen als sie Südafrika besuchten. Die ZACF ist auch Mitglied des anarchistischen Netzwerks International Libertarian Solidarity (ILS), in dem wir regelmäßigen Austausch pflegen. Außerdem wenden sich viele AnarchistInnen aus dem Ausland an Zabalaza Books. Ich sehe vielmehr eine Isolation in Hinblick auf die anarchistische Bewegung im Rest des afrikanischen Kontinents, wie im globalen Süden allgemein. Dort ist meines Erachtens die Kommunikation schwieriger als im Norden.
Welche Erwartungen verbindest Du mit dem Besuch in Brasilien?
Ich will beginnen, Brücken zu bauen über die Kommunikationsgräben, die zwischen den anarchistischen Bewegungen des Südens bestehen. Ich will Netzwerke aufbauen zwischen den verschiedenen Plätzen in Brasilien und in Südafrika, die ich kennengelernt habe. Ich glaube auch, dass die Lebensbedingungen in Brasilien denen in Südafrika nicht ganz unähnlich sind, und ich möchte erfahren, wie sich brasilianische Anarchisten in die sozialen Bewegungen – etwa zu Wohnrecht und Bildung – einmischen. Ich möchte auch berichten über die Bedingungen in Südafrika, nach zehn Jahren von „Freiheit“ und „Demokratie“, berichten über wachsende Ungleichheit, Neo-Liberalismus etc. Nicht zuletzt will ich Solidarität organisieren für unsere Kampagne für die politischen Gefangenen des Apartheid-Regimes.
Danke für das Interview. Ein letztes Wort?
Danke für die Gelegenheit, ein bißchen über die kleine, aber wachsende anarchistische Bewegung in Südafrika zu erzählen. Lasst uns den Druck erhöhen!
Übersetzung ins Deutsche: A.E.
www.zabalaza.net
(1) vgl. Feierabend! #13
Nachbarn