Lohn und Arbeitsplatz

Moderne Märchen

[Einführung]

Viel ist in letzter Zeit über den Tarifstreit gestritten worden. In den Medien und folgerichtig auf der Straße, wurde von den überzogenen Forderungen der Gewerkschaften gesprochen, von der Überholt- und Überflüssigkeit dieser Institutionen mit ihren für die Konjunktur und Wettbewerbsfähigkeit schädlichen und bezüglich der Arbeitslosen unsolidarischen Verhalten. Dies erklärt sich letztendlich nicht nur aus dem kleinen Schock, den die durchgesetzten Lohnerhöhung der Pilotengewerkschaft Cockpit hervorgerufen hat. Aber niemand von uns hat doch ehrlich daran geglaubt, das dies wirklich eine Vorbildwirkung für die Massengewerkschaften sein würde. Warum aber eigentlich nicht ? Was zum Teufel verbirgt sich hinter dieser auf Erfahrung gestützten Sicherheit? Warum fahren Lohnabhängige einen Kurs gegen die sie doch eigentlich vertretenden Gewerkschaften? Also auch wenn jeder es schon weiß:

[Grundlegende Banalitäten]

Um sich diesem Thema zu nähern wollen wir erst einmal ganz einfach von unten anfangen.

Was will ein Unternehmer? Die Frage scheint klar zu beantworten und doch scheuen sich viele vor den daraus erwachsenden Konsequenzen. Er will Gewinn machen, d.h. Profit, mehr Kapital in einem Zeitabschnitt herausholen, als er hinein gesteckt hat. Dass dies Geldform hat, interessiert uns erst einmal nicht. Jeder, der sich in seine Situation versetzt, würde das gleiche wollen. Nicht nur das, er würde Profit „erwirtschaften“ müssen, weil ihn sonst die Konkurrenz auffrisst und plattmacht. Er will also nicht nur, sondern er muß mit geringstem Aufwand das maximalste Ergebnis erzielen, also ein Mehr an Masse an ihm gehörenden, zufließendem Kapital, sei es in den Formen Geld, Waren oder sonst etwas.

Was will nun der Lohnabhängige, ganz abgesehen davon, ob er Arbeiter, Angestellter, Hilfsarbeiter, Müllfahrer oder Programmierer ist? Er möchte ebenfalls mit möglichst geringem Aufwand ein maximales Ergebnis. Für ihn heißt das, mit wenig Arbeitsstunden und ohne Stress viel Lohn zu verdienen.

Hier haben wir also den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit, wie es so schön heißt, ausgedrückt. Das sind natürlich verschiedene Interessen, die sich nicht nur kreuzen, sondern einander entgegengesetzt sind. Man kann natürlich auch jetzt hingehen, und diese Interessengruppen zusammenfassen und sie benennen. Z.B. könnte man zu ihnen Klassen sagen und zu ihren Auseinandersetzungen,… Aber solches muß jeder selber entscheiden.

Was ist nun der Zusammenhang zwischen dem Unternehmer und dem Lohnabhängigen. Klar, der Unternehmer braucht den Lohnabhängigen, damit er jemanden hat, der für ihn arbeitet. Wer will es ihm verübeln? Ist der Unternehmer nicht sogar Wohltäter, der uns alles gibt, damit wir (für ihn ) arbeiten können? Zugegeben, ein Märchen aus einer früheren Zeit, wir haben heute unsere eigenen, zeitgemäßen. Festzuhalten ist, der Unternehmer oder klassisch Kapitalist braucht den Lohnabhängigen oder klassisch Arbeiter/Proletarier. Er ist absolut notwendig, während umgekehrt die Sache etwas anders aussieht. Sei’s drum. Der Lohnabhängige ist für den Unternehmer zuallererst ein Kostenfaktor, im Jargon „Personalkosten“. Er gehört zu der in Bewegung gesetzten Maschinerie genauso, wie der Dienstwagen, die Heizung der Werkhallen, Computer und Bohrmaschine. Alles notwendige Kostenfaktoren für die Produktion, die Menschen als Arbeiter sind davon nur einer.

Diese Kosten sind auf Seiten des Arbeiters nun aber dessen Lebensgrundlage, der Lohn, der seine Existenz sichert, von Brötchen bis Urlaub & Renten, alles was er hat. Dabei ist es abhängig vom Land, in dem wir uns befinden, was zum durchschnittlichen Auskommen des Arbeitenden gehört, ob Auto oder Mallorca dazugehören, ist z.B. in Peru oder den USA fraglich.

Also für Unternehmer in den USA leben wir in der BRD schon im Sozialismus. Denn was geht es den Unternehmer an, wenn sein Arbeiter krank wird (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall)? Oder was interessiert ihn der Urlaub seines Humankapitals (Urlaubsgeld)? Alles schädliche Kosten, die vom Gewinn abgehen. Noch haben wir in der BRD gegenüber anderen Ländern als Arbeiter relativ gute Bedingungen als Ergebnis langer Auseinandersetzungen zwischen Kapital & Arbeit, aber es ist schon zum Jagen geblasen. Also das Ziel unseres Unternehmers war möglichst viel Profit. Dazu muss er erstens die Kosten soweit drücken, soweit es möglich ist und zweitens alle Faktoren der Produktion möglichst effizient ausnutzen. Das bezieht sich natürlich auf auf den Faktor Mensch und bedeutet, da es weit billiger ist die vorhandenen Arbeiter versteckt oder offen länger arbeiten zu lassen als neue einzustellen, dass sich auf der einen Seite Stress und Überstunden häufen und andererseits die Arbeitslosen arbeitslos bleiben.

Auf der anderen Seite ist ebenso klar, das jedes Unternehmen einer ständigen Rationalisierung unterliegt. Also wird ständig die Arbeitsproduktivität erhöht und mit weniger Arbeitern mehr produziert. Jeder weiß das. Bis hierhin haben wir also Betriebswirtschaftslehre I. Das bedeutet aber auch, dass das Interesse des Arbeiters immer störend ist & er das Geldverdienen doch lieber den anderen überlassen sollte. Es ist vernünftig niedrige Tarifabschlüsse zu machen, fragt sich nur wessen Vernunft hier gefragt ist.

Nun aber setzt eine merkwürdige Trübung der Sicht und Beurteilung ein. Wenn es nicht so schmerzhaft offensichtlich wäre, würde ich den Leser nicht mit den anfänglichen Banalitäten gequält haben.

[Die modernen Märchen]

Das Märchen von den zusätzlichen Arbeitsplätzen, welches die Gewerkschaften und Kapitalistenverbände immer wieder gerne aufwärmen klingt ja eigentlich logisch, wäre da nicht ein kleiner aber entscheidender Fehler, es ist volkswirtschaftlicher Unsinn. Nach seinen Zielen schafft der Unternehmer Arbeitsplätze wenn sie rentabel sind, also Profit versprechen und sonst gar nicht. Dies bedeutet aber, daß man das ganze Gelaber darüber vergessen kann. Genauso baut er Arbeitsplätze ab, wenn dies nötig wird. Er hat keiner Moral oder Wünschen zu folgen, sondern folgt klar dem Gesetz des Marktes. So existiert kein dem Aufbau neuer Arbeitsplätze reservierter Lohnzurückhaltungsfond, sondern er fließt als Gewinn in die Taschen der Unternehmer. Das hat sogar die IG Metall erkannt und ist nun beleidigt. »Schluß mit der Debatte, Lohnverzicht schaffe Arbeitsplätze! Mehr Kaufkraft bedeutet höhere Nachfrage, und das wiederum kurbelt die Produktivität und somit auch den Arbeitsmarkt an.« (Peters)

»Die lahmende Binnenkonjunktur muß angekurbelt werden. Dazu müssen und wollen wir mit unserer Tarifpolitik einen Beitrag leisten.« (Zwickel in IG Metall-Pressedienste 146/2001)

Kommen wir zur ergänzenden Mähr der Ankurbelung der Binnenkonjunktur durch Stärkung der Kaufkraft. Auch das entpuppt sich wieder als eingängiger, aber in der Wirklichkeit purer Schwachsinn. Wenn man es sich ansieht (Handelsblatt), dann sind zur Zeit die industriellen Ressourcen zu rund 80% ausgelastet. Ein Mehr an Kaufkraft heißt da nur, das man unwesentlich die Maschinerie ankurbeln muß, um den neuen Bedarf zu decken. Erst ab einem erheblichen Maß an mehr Geld im Konsumtionsfond würden mehr Arbeitsplätze entstehen, die ja eigentlich nur ein unliebsamer Kostenfaktor sind. Nun haben wir hier wiederum ein Märchen und keine ökonomische Gesetzmäßigkeit. Aber nicht nur das, ich möchte mehr Lohn und nicht die Binnenkonjunktur ankurbeln, genauso wenig der Unternehmer meine Arbeitskraft will und nicht mein Freund sein. Lustigerweise müsste man also im Sinne der Konjunktur, damit es so richtig brummt 100% mehr Lohn fordern.

Das Märchen von den Hohen Lohnkosten. Mal ehrlich, würden wir als Unternehmer nicht auch bitterlich weinen, wenn diese undankbaren Arbeiter nicht damit zufrieden sind, was sie haben und dass sie noch nicht der sozialen Hängematte übergeben worden sind? Lohnerhöhungsforderungen sind doch nun wirklich out. Da hat man mal früher drüber geredet, aber das waren andere Zeiten, an die man sich nicht gerne erinnert. Das schadet dem Unternehmen und damit letztendlich den Arbeitern selbst. Ist das die Wahrheit? Ich würde mich nicht auf den Standpunkt der anderen Klasse stellen, da ihre Ziele einfach nicht die meinen sind. Dann kann mich das Geschwätz auch nicht beirren, sondern macht mich eher etwas böse.

So ist es nur logisch, wenn moderate Lohnabschlüsse gefordert werden, damit man der Konjunktur nicht schadet und ebenso, damit man in einer Rezession nicht noch mehr Schaden für die Wirtschaft (also die Kapitalisten) anrichtet. Folgerichtig ist es nie Zeit Lohnkämpfe zu führen, da sie immer schädlich sind. Das dazu. »Die Forderungsempfehlung setzt sich zusammen aus einer Preissteigerungsrate von bis zu zwei Prozent im Jahr 2002 und einer gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung von bis zu zwei Prozent. Es besteht also ein kostenneutraler Verteilungsspielraum von etwa vier Prozent. Der Rest sind Umverteilung und Nachholbedarf.« (IGM-Vorsitzender Klaus Zwickel in IG Metall-Pressedienste 146/2001)

[Zu den Argumenten]

Kommen wir also nun zu den naheliegenden Schlussfolgerungen aus der Betrachtung und überlassen das weitergehende dem Denken des Lesers.

1. Lohnzurückhaltung ist dumm. Wie wir gesehen haben, ist die Rationalisierung ein ständig laufender, aufgrund der Konkurrenz notwendiger Prozess, hat z.B. bei VW denn Namen KVP (kontinuierlicher Verbesserungsprozess). Ein Resultat davon ist, das tendenziell Arbeiter entlassen werden. Früher oder später werden sie also eh entlassen. Fragt sich dann konkret nur, wen es wann trifft. Also bringt Lohnzurückhaltung wenig bis gar nichts. Es führt nur dazu, das der Arbeiter weniger Lohn hat, am Risiko des Unternehmens direkter beteiligt wird und das was hintenüber bleibt, also der Profit, wird zwischen Staat (Steuern) und Unternehmer aufgeteilt, fließt in dessen Taschen. Wer wollte es ihm verübeln? Im Zweifelsfalle hat der Arbeiter nichts und guckt in die Röhre, populäres Beispiel Holzmann. Am Ende Arbeitsamt und der Lohnverzicht beim Teufel. Man sollte sich mit den Zielen des Unternehmers halt nicht gemein machen, es sind nicht unsere Ziele. Vielmehr haben wir völlig entgegengesetzte Ziele, nämlich konkret mehr Lohn, also mehr Kosten, also weniger Profit.

2. Lohnzurückhaltung ist nicht nur dumm, sondern unsolidarisch. Was passiert denn, wenn wir für weniger Geld arbeiten. Es werden die gleichen Waren hergestellt wie vorher, aber sie kosten den Kapitalisten weniger. D.h. er macht mehr Profit, also wird seine Ausgangslage gegenüber den anderen Konkurrenten, denen die Waren immer noch so teuer sind wie vorher, besser. Die anderen werden in eine neue Runde der Rationalisierung gezwungen, sie müssen ihre Kosten mindestens bis auf seine drücken um die gleichen Profite zu halten. Man sieht, Lohnsenkung von Seiten der Lohnabhängigen belohnt den entsprechenden Unternehmer. Das bedeutet ferner, daß das allgemeine Lohnniveau in diesem Zweig der Produktion sinkt und, da dies überall passiert, tendenziell gesamtgesellschaftlich sinkt. Also übt sie über kurz oder lang Druck auf die anderen Lohnabhängigen aus.

3. Überstunden sind dumm und unsolidarisch. Überstunden sind nichts anderes als eigen verschuldete Lohnsenkung. Man arbeitet mehr Zeit für das gleiche oder unwesentlich mehr Geld. Keiner braucht dann mit Zuschlägen oder so kommen. In Wirklichkeit – und das wissen wir alle – wird wenn auch oft versteckt für Nullohn gearbeitet. „Das muss ich schnell noch fertig machen“, und diese ganzen Sprüche auch vor uns selber. „Ich nehme die Arbeit mit nach Hause“. Das ganze Managementarsenal wird auf uns abgefeuert, management by stress, best case management, outsourcing, Projektgeschäft… Alles das gleiche, um uns im Sinne des Unternehmens effizienter auszunutzen und am Risiko des Marktes der von uns erstellten Waren zu beteiligen. Aber sicher nicht an den erhöhten Profiten. Warum auch? Unsere Freizeit soll auch Arbeitszeit werden.

[Was ist zu tun?]

Die Gewerkschaftsführungen sind gezwungen worden zu ihren Forderungen, die in den Medien so schlecht wegkommen. Viele Arbeiter wollten keinen „Operettenstreik“, sondern wären viel weiter gegangen in den Auseinandersetzungen. Die Gewerkschaften sind kapitalverpflichtet. Ihre Rechnung und die Argumente gingen von der Kostenneutralität der Lohnerhöhungen aus. Das ist doch unglaublich.

Betriebsrat und Gewerkschaften sind Institutionen in diesem Staat und wie sich jetzt gestaltet sind, stabilisieren sie das System. Der Betriebsrat z.B. ist dem Gesetz nach für den Betriebsfrieden zuständig. Das alles und die Bonzen in den Vorständen sollten uns aber nicht davon abhalten, aus den Institutionen herauszuholen, was möglich ist.

Es sind nicht unsere Instrumente, aber wir können sie nutzen. Wir beziehen uns immerhin auf Körperschaften, die in langen Klassenauseinandersetzungen entstanden sind und für die Leute verprügelt, in den Knast und erschossen worden sind und werden. Z.B. in Kolumbien wird jeden Monaten mal wieder ein Gewerkschaftler abgeknallt. Warum wohl? Wenn wir mehr wollen, dann müssen wir wohl oder übel das Ding in die eigene Hand nehmen. Aber man kann selbstverständlich darauf vertrauen, das die Unternehmer unsere Nullrunden und moderaten Tarifabschlüsse honorieren und ihre Ziele nicht ganz so hart verfolgen. Aber selbst wenn es solch einen wundervollen Unternehmer geben sollte: Wie lange kann er sich seine Menschlichkeit auf dem Weltmarkt wohl leisten? Unser Fehler ist, dass wir unsere Ziele nicht kennen und wenn, dann sie nicht organisiert zusammen in Angriff nehmen. So haben z.B. die Arbeiter bei VW in Brasilien gestreikt, damit der Streik in der BRD nicht an Kraft verliert, weil die Teile als internationaler Streikbruch von dort kommen. Das ist ein Anfang. Last uns doch mal sehen, was passiert, wenn wir auf einmal keine Überstunden mehr machen, den Betriebsrat auffordern für Neueinstellungen diesbezüglich einzutreten, Dienst nach Vorschrift machen, keine Arbeit mehr nach Hause zu nehmen. Man muss ja nicht gleich in die Gewerkschaft eintreten, aber daraus erwachsen auch neue Freiheitsgrade in der Aktion. Nicht binden lassen, sondern die Sachen ausnutzen. Ich fände mindestens 25% mehr Lohn ist eine gutes Ding und ein vernünftiger Anfang, ja wenn, ja wenn genug Leute mitziehen. Bei Cockpit hat es geklappt und wir können das auch. Und was danach noch kommen könnte, darüber ließe sich reden.

hX

Arbeit

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