MAKING TROUBLE IN LEIPZIG

In Sachen Video­über­wachung hat Leip­­­zig eine Vor­reiterrolle. Im Ap­ril 1996 wur­­­­­­de hier die erste Po­li­zei­kamera zur dauer­­haf­­­ten Über­­­­wachung öffent­­licher Plät­­­ze in Betrieb ge­­nommen. Dass sich dieses Datum im letz­ten Jahr zum zehn­ten Mal jährte, hat sich die 2003 gegründete Gruppe Leipziger Kamera – Initiative gegen Über­wachung und Kon­­trolle zum Anlass für ihre Kampagne „10 Jah­re sind genug!“ ge­nommen. Eine gut be­suchte dreitägige Film- und Vortragsreihe un­ter dem Titel „[Del]+[Ctrl]“ Ende März letz­ten Jahres bildete den Auftakt der Kam­pagne. Seitdem hat die Leipziger Kamera mit The­­ater­performances im städtischen Raum nach dem Vorbild der New Yorker Sur­veillance Camera Players auf sich aufmerk­sam gemacht (siehe dazu FA! #24). Anfang De­zember letzten Jahres fand ein weiterer Ak­tionstag statt.

Zur Unterstützung und als Ideengeber hatte die Leipziger Kamera sich die Space Hijackers aus London eingeladen. Das Anliegen dieser 1999 gegründeten Gruppe von „Anar­chitekten“, Aktions­künst­lerInnen und Polit­aktivistInnen ist nach eigener Aussage, „die Hie­rarchie zwischen Besitzern und Nutzern des öffentlichen Raumes in Frage zu stellen“. Die­sem folgen sie mit Aktionen wie dem sog. „guerilla benching“. Auf einen Beschluss der Londoner Stadtverwaltung, Sitzbänke zu demontieren, da sonst damit nur Ob­dachlose und andere Randgruppen zum „He­rumlungern“ ermutigt würden, reagier­ten die Space Hijackers indem sie selbst Bänke in der Londoner Innenstadt auf­stellten.

Die Auftaktveranstaltung zu den Aktions­tagen fand am 1. Dezember in der Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) statt. Es standen zwei Vorträge der beiden Space Hi­jack­ers Sam und Robin auf dem Programm, wo­von einer sich mit Protest und Über­wachung im öffentlichen Raum befass­te, wäh­rend der andere speziell auf die Aktivi­täten der Space Hijackers einging. Mit etwa 60 Leuten war die Veranstaltung gut besucht, in­so­fern schien dem Gelingen des folgenden Ak­tionstages nichts im Weg zu stehen.

Am darauffolgenden Tag versammelten sich ca. 50 Leute vor der GfZK. Nachdem alle die mitgebrachten Papier-Mülltüten mit Hil­fe von Schere und Filzstiften zu prak­ti­schen „Überwachungskamera-Schutzhel­men“ umfunktioniert und sich über den Kopf ge­stülpt hatten, ging es im Pulk in Richtung In­nenstadt und Haupt­bahn­­hof. Auf dem Weg dahin wurden über­­wachte und nicht überwachte Be­reiche mit kleinen Pappkärt­chen markiert, um den BürgerInnen anzuzeigen, wo sie sich – dank Videoüberwachung – sicher be­wegen könn­ten und wo nicht. Viele Orte, an de­nen man sich unsicher fühlen müsste, gab es in der flächendeckend überwachten Leip­­ziger Innenstadt freilich nicht. Die Re­ak­tionen der PassantInnen auf das Schau­spiel reichten von ver­ständ­nis­losem Kopf­schüt­teln und offener Ab­lehnung bis hin zu Er­heiterung, Sym­pathie und glatter Be­geis­­terung.

Vor dem Hauptbahnhof sollte dann eine, von den Space Hijackers kryptisch „Love vs. Hate – Let the eye in the sky decide this age old battle“ betitelte Aktion statt­fin­den (zu deutsch: „Liebe gegen Hass – Lasst das Auge im Himmel diese jahr­tau­sen­de­alte Schlacht entscheiden“). Dafür teilten sich die An­wesenden in zwei Grup­pen, von denen eine den „Hass“, die an­dere die „Liebe“ repräsen­tierte. Durch ent­sprechen­des Verhalten – Pöbeln, Schubsen und simulierte Prügeleien auf der einen, Umarmen und sonstige lie­bevolle Gesten auf der anderen Seite – wurde nun ver­sucht, die Aufmerk­samkeit der über dem Ein­gang zur Westhalle des Bahnhofs hän­gen­den Polizeikamera auf sich zu ziehen. Trotz des großen Einsatzes aller Beteiligten schei­­terte dies jedoch, da die Ka­me­ra ge­rade im Automa­tikbetrieb lief und es wohl kein Po­­li­zeibeamter für nötig hielt, das teil­weise tu­multartige Geschehen auf dem Bahn­hofs­vorplatz näher ins Auge zu fassen. Immerhin, auch das ist ein Ergebnis: Falls man tat­sächlich einmal im Blickfeld einer Po­lizei­kamera zusammengeschlagen wür­de, könnte man vermutlich nicht mit schneller Hilfe der Po­­li­zei rechnen. So wur­de die Aktion nach zehn Minuten ab­ge­brochen, die restlichen „Über­wachungs­ka­mera-Schutzhelme“ und Flug­blätter an die Passanten verteilt und anschließend noch das Innere des Haupt­bahn­hofs be­sichtigt.

Abends fand man sich wieder in der GfZK zu­­sammen. Diesmal war neben einem wei­teren Vortrag von Space Hijacker Carl noch ei­­ne Performance der New York Surveil­lance Ca­mera Players angekündigt, die diese zur Un­terstützung der Kampagne vor einer Webcam am New Yorker Times Square aufführen woll­ten. Diese begann auch pünktlich, innerhalb von zwanzig Mi­nuten führten die New Yorker ei­nige ihrer camera plays auf – kleine Theater­stücke mit Hilfe großer beschrifteter Papp­tafeln. Das alles konnte in der GfzK via In­­ter­net live verfolgt werden. Mit dem Vor­­trag von Carl, der sich dem Thema Video­­überwachung und Privat­sphäre u.a. von des­sen Auswirkungen auf die moderne Kunst her annäherte, endete der Abend.

justus

leipzigerkamera.twoday.net
www.spacehijackers.co.uk
P.S.: Nicht nur in Leipzig gibt es Probleme mit Überwachung. Auch in der Dresdner Neus­tadt sollen jetzt aufgrund der öfters dort stattfindenden „Riots“ Über­wach­ungs­­kameras der Polizei installiert werden. Dagegen hat sich mittlerweile ein Bündnis von linken Gruppen gebildet. Näheres zum Stand der Dinge, Aktionen usw. gibt es unter neustadtwiki.sytes.net.

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