Mein Gott, mein Staat, mein Niemandsland

Frei nach dem Motto „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, bild‘ ich einen Staatsraumkreis“, gibt es weltweit immer wieder Menschengruppen, die ihren eigenen Staat ausrufen. Wahlweise finden sie dafür ein noch staatenfreies Fleckchen Erde oder erkennen bestehende Staaten nicht als rechtmäßig an. Durchaus ernst gemeint und mit verschiedenen Motiven ausgestattet.

Ein Beispiel dafür ist der im April ausgerufene Staat mit dem vielversprechenden Namen Freie Republik Liberland und seinem Motto „Leben und Leben lassen“. Das bisherige Niemandsland erstreckt sich zwischen Kroatien und Serbien auf einer sieben km² langen Sumpflandschaft mit Wald und Wiesen.

Eine subversive anarchistische Aktion, um die auf Nationalstaaten basierte politische Elite zu provozieren, das Staatenwesen vor und ad absurdum zu führen? Ein Freiraum für Unterdrückte, die in solidarischer Gemeinschaft ohne Herrschaft leben wollen? Leider nein.

Dieser im April 2015 ausgerufene Staat beansprucht zwar weitestgehende Freiheit für sich, definiert diese jedoch vorzugsweise wirtschaftlich. Ganz anarchokapitalistisch geht es dem Gründer und Präsidenten Vít Jedlicka um eine Steueroase. Privateigentum ist das höchste schützenswerte Gut. Will man Staatsbürger von Liberland werden, muss man diesen Grundsatz teilen und darf zudem „keine kommunistische, extremistische oder Nazivergangenheit“ haben. Ansonsten wird mensch laut Homepage nicht für „vergangene kriminelle Handlungen“ zur Rechenschaft gezogen, ist jedoch angehalten „andere Menschen und deren Meinungen unabhängig von ihrer Herkunft & Orientierung zu respektieren“.

Auch wenn es die Liberländler vielleicht gern anders hätten: International erregt ihr neues Staatsgebiet bisher wenig Aufsehen, sondern wird ignoriert oder als vermeintliche Satire-Aktion heruntergespielt. Sicher nicht ohne Kalkül, schließlich sollen doch die Bürger ihre zu versteuernden Gelder im eigenen Land lassen. Und erst recht nicht auf die Idee kommen, weitere Ministaaten auszurufen, in der jenseits der Staaten-basierten (Un-)Ordnung – aber dennoch unter deren Label – eigene Gesetzte herrschen.

Ignoranz ist jedoch noch eine der harmloseren Reaktionen auf derlei Neustaaten. Denn wenn es Gruppen gibt, die ihren neuen Staat auf bereits vergebene Staatsräume legen, wird meist härter durchgegriffen. Am bekanntesten ist hierzulande wohl die sog. Reichsbürgerbewegung, die zumeist aus rechten Ideologen oder Verschwörungstheoretiker_innen besteht, welche die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Grundgesetz rechtlich für völker- und verfassungswidrig halten. Dies wird als Argumentationsgrundlage ausgebaut, um Menschen zur Unterstützung eigener Machtansprüche zu gewinnen, wahlweise in Form von sog. Reichsregierungen, Fürstentümern oder Königreichen.

Ein Beispiel dafür ist der „Imperator Fiduziar“ Peter Fitzek mit dem Königreich Deutschland, das er bereits 2012 auf einem acht Hektar großen Gelände in der Lutherstadt Wittenberg ausrief. In Anlehnung an die Reichsbürgerbewegung erkennt auch er die staatliche Souveränität Deutschlands nicht an, weil die Verfassung fehlt. Allerdings will er nicht die Alte zurück samt der Grenzen von 1937, sondern lieber eine „lupenreine Monarchie“. Seit der neue König mit dem Aufbau einer eigenen Krankenkasse, Versicherung und Währung begann, zudem noch eigene Autokennzeichen anfertigen ließ und von königlicher Steuererhebung träumt, wird er jedoch nicht mehr von der Staatsgewalt ignoriert. Sondern staatsrechtlich verurteilt.

Kurzum, so einfach ist es also doch nicht mit den neuen Staaten. Stellen sie die Alten in Frage oder werden sie wirtschaftlich und politisch gefährlich, ist Schluss mit Lustig. Vielleicht hat sich Liberland auch deshalb dieses Motto gegeben, weil es hofft, dass man es „leben lässt“?

Wie sehr kann mensch wollen, dass solche Konstrukte am Leben bleiben? Gar nicht. Denn so sympathisch vielleicht die Aushöhlung der auf Nationalstaaten basierten Weltordnung ist, das macht den Gründungsgrundgedanken einfach nicht besser. Weder im Hardcorekapitalismus noch mit selbsternannten Monarchen lässt es sich solidarisch und gerecht in Gemeinschaft leben und leben lassen. Erst recht nicht mit den Nazis der Reichsbürgerbewegung. Abgesehen davon ist die Macht der bestehenden Staatenwelt gegenüber allerlei separatistischen Bewegungen ausgesprochen hoch.

Doch wenn nur Pippi Langstrumpf in der Lage ist, sich ihre Welt so zu gestalten, wie sie ihr gefällt, was bleibt dann uns? Neben ganz kleinen, selbstgebauten Nischen zumindest ein lauter Ruf in die Welt: Kein Gott, kein Staat, kein Vaterland!

[momo]

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