VolkshausVerkauf
„Gewerkschaftsarbeit braucht keine lokal aktive Basis“, scheint die Erkenntnis des DGB zu sein. Anders ließe es sich nicht erklären, dass neun Gewerkschaftshäuser, vorwiegend aus dem Osten, im Dezember 2006 vom DGB-Vorstand verkauft wurden. Verkauft an Cerberus, einem US-amerikanischen Finanzfondunternehmen, dem es ausschließlich um den profitablen Weiterverkauf der Immobilie geht. Verkauft an den kapitalistischen Feind, der dann ein guter Freund ist, wenn nicht gerade Rede schwingend gegen ihn gewettert wird, weil man ja offiziell noch auf der anderen Seite des Interessengegensatzes steht. Dass zumindest einige ArbeitnehmerInnen sich nun von ihrer Spitze verraten und verkauft fühlen und in Leipzig dagegen Sturm liefen, spricht für die AktivistInnen. Dass es nichts verhindert hat, weil es nur wenige Idealisten unter den GewerkschafterInnen gibt, spricht wiederum für eine lange, basisentfremdete Tradition im DGB, die mit dem Volkshaus-Verkauf diese Tendenz noch verstärkt.
Das 1905 entstandene Leipziger Volkshaus ist ein Meilenstein in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Zwei mal erbauten es die ArbeiterInnen mit ihrem so genannten „Arbeitergroschen“ neu, nachdem es 1920 beim Kapp-Putsch (1) und 1945 von einer Bombe zerstört wurde. Bis 1990 vom FDGB (2) genutzt, fiel die Immobilie nach der Wiedervereinigung der Treuhand zu und wurde 1993 zusammen mit acht anderen ostdeutschen Gewerkschaftshäusern von der Gesellschaft für Gewerbeimmobilien (GGI) gekauft, welche bis Dezember noch eine Immobiliensparte der BGAG (3) war und jetzt im Paket mit insgesamt 46 Objekten der Investmentgesellschaft Cerberus gehört. Der jüngste Verkauf ist dabei lediglich die Spitze des Eisberges in der Geschichte des verkauften Tafelsilbers der Gewerkschaften (siehe näxten Artikel).
Konsequenzen
Das Volkshaus wird heute, neben der gleichnamigen Kneipe und zahlreicher Büros vor allem als Veranstaltungsort sowohl von GewerkschaftsaktivistInnen, als auch von anderen politischen Gruppen genutzt, um Informationsveranstaltungen, Seminare und Plena durchzuführen. Insbesondere bei Naziaufmärschen ist das Volkshaus ein beliebter Sammelplatz um Routen der Nazis Richtung Connewitz zu blockieren. Dies kann sich nun (zumindest rechtlich gesehen) schwieriger gestalten, und auch andere politische Aktivitäten, selbst Transpis an den Hauswänden könnten vom neuen Besitzer unterbunden werden. Auch wenn heute die Nutzungsmöglichkeiten von Haus und Hof durch BasisaktivistInnen nicht ausgeschöpft werden, so ist der Verkauf des zentral gelegenen Ortes ein Tritt in den Arsch all jener, die seit Jahren versuchen für die Interessen der Ausgebeuteten lokal einzustehen und Gewerkschaftsarbeit von unten zu organisieren. Doch für die DGB-Spitze scheinbar kein großer Verlust im Vergleich zum finanziellen Gewinn, der offiziell das durch Mitgliederrückgang entstandene Haushaltsloch ausgleicht. Selbst vor Kündigungsdrohungen schreckte diese nicht zurück, wenn gewerkschaftliche Funktionäre sich öffentlich den Entscheidungen des DGBs widersetzten und gegen die Veräußerung mobil machten. Und auch jene AktivistInnen, die medienwirksam gegen Privatisierungen mobilisieren, machen sich zukünftig wohl lächerlich wenn sie hinter der Gewerkschaftsfahne laufen, wo doch selbst das gewerkschaftseigene Haus inzwischen keines mehr ist.
Proteste
Obgleich der Verkauf erst am 18.12.2006 schriftlich besiegelt wurde, war er bereits im September beschlossene Sache, wurde von den Verantwortlichen aber weder kommuniziert, noch mit den Betroffenen in irgendeiner Weise abgestimmt. Die Empörung darüber war bei der Leipziger Basis dementsprechend groß, zumal diese über die Leipziger Volkszeitung erst am 21.9. vom geplanten Verkauf erfuhr. Ausgehend von der Gewerkschaftsbasis formierte sich daraufhin zeitnah die Initiative Stoppt den Verkauf der Gewerkschaftshäuser und rief zu einer symbolischen Besetzung des Volkshauses auf. Viele AktivistInnen verbrachten am 26.10. die Nacht in und vor dem Volkshaus und versuchten mit Unterschriftensammlungen auf den unhaltbaren Beschluss aufmerksam zu machen und eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, zumal von allen anderen betroffenen Städten kein Zeichen des Widerstandes ausging. In einer außerordentlichen Delegiertenversammlung und Protestkundgebung am 15.11. sollten die verantwortlichen Vorstandsmitglieder des DGB und der BGAG Stellung dazu nehmen, allerdings hielten diese es nicht einmal für nötig, überhaupt zu erscheinen. Frei nach dem Motto „kommt ihr nicht zu uns, steigen wir euch aufs Dach“ fuhr daraufhin ein Bus mit rund 50 GewerkschaftsaktivistInnen am 22.11. in die DGB-Zentrale nach Berlin, um ein Gespräch mit dem dafür zuständigen Bundesvorstandsmitglied zu führen. Dieser versuchte die aufgebrachten LeipzigerInnen mit dem Versprechen, das Problem im Bundesvorstand noch einmal zur Sprache zu bringen, zu besänftigen. Die scheinbar aus Angst extra engagierte Security begleitete die ‚Reisegruppe Berlin‘ nach zweistündiger Audienz schlussendlich unverrichteter Dinge aus dem Haus. Am 6.12. wurde daraufhin zu einem offenem runden Tisch in Leipzig eingeladen, um weitere Aktionen gegen den Verkauf des Leipziger Hauses zu planen, wie zum Beispiel die Mahnwache am 19.12. Dort konnte nur noch traurig Bilanz gezogen werden, denn bereits am Tag zuvor ging der Besitz an Cerberus, dem Höllenhund in der griechischen Mythologie, über.
Auch wenn die Chancen auf einen Rückkauf des Volkshauses schlecht stehen, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn in diesem Jahr finden die Gewerkschaftstage4 der ver.di und der IG Metall in Leipzig statt. Eine breite innergewerkschaftliche Diskussion um eigene politische Ausrichtung ist notwendig, denn einmal mehr hat sich gezeigt, was sich hinter dem rhetorischen Schleier der selbsternannten Kampforganisation verbirgt. Dass der Ausverkauf von 100 Jahren Arbeitergeschichte und der damit verbundene Verrat an der eigenen Klasse insgesamt auf so wenig Widerstand stößt, liegt vielleicht aber auch daran, dass außer ein paar Leipzigern kaum jemand mehr so idealistisch ist zu glauben, der DGB agiere gegen das Kapital.
momo
(1) Der von Teilen der Reichswehr durchgeführte Putsch in der Zeit der Weimarer Republik richtete sich insbesondere gegen die politischen Parteien, welche den Versailler Vertrag durchzusetzen versuchten und im Rahmen dessen den Abbau der bewaffneten Kräfte forcierten.
(2) Freier Deutscher Gewerkschaftsbund, zentraler Gewerkschaftsbund der DDR
(3) Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften AG, Immobilientochterfirma des DBG
(4) Der Gewerkschaftstag ist das höchste beschlussfassende Gremium der Mitgliedsgewerkschaften und tagt aller 4 Jahre. In der Bundesjugendkonferenz der IG Metall Jugend (7% der Gesamtmitglieder) wurde bereits im Januar beschlossen, das Volkshaus zurück zu kaufen und dementsprechend einen Antrag an den Gewerkschaftstag einzureichen.
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