Montagabend, nichts zu tun?

Die Sommerwelle der Montags­de­mons­­trationen ist nun schon seit zwei Monaten vorbei. Sie endete, ohne sonderlich viel erreicht zu haben. So konnten die Ma­ni­festationen weder die Agenda 2010 kippen noch erreichen, dass allein Hartz IV zu­rückgenommen wird.

Der Druck der Straße hat nicht ausgereicht, auch wenn Regierung, Opposition, bürgerliche Medien und etablierte Verbände anfangs ratlos oder gar panisch reagierten und auf die massiven Proteste mit einer massiven Propagandakampagne antworteten. Allein schon, daß die Regierung ein eigenes Lagezentrum einrichtete, macht deutlich, daß die Demonstrationen im Auge der Regierenden eine gewisse Brisanz besaßen. Ein Punkt dürfte da auch die proklamierte Kontinuität zu den 89er Demonstrationen und die damit implizierte Andeutung des „Regimewechsels“. Spontan und vorerst unkontrol­liert durch die Institutionen zur Integration sozialer Unruhe (DGB-Gewerkschaften, Parteien, Sozialverbände, Attac, Wahl­alternative etc.pp) manövrierten sich die Betroffenen ins Rampenlicht bundesrepublikanischer Realitäten. Verschüchtert, demonstrationsunerfahren und wo­mög­lich von sich selbst überrascht, standen viele am Rande des Nikolaikirchhofs und angelten sich begierig die Flugblätter auf der Suche nach Ursachen und Erklärungen. Wie aus dem Nichts materialisierten sich Tausende auf den Straßen ostdeutscher Städte, auch im Westen sollte es bald Demonstrationen geben, die aber selten die Größenordnung wie in den „neuen Bundesländern“ erreichten. „Wir sind da und wir haben die Macht“, mögen sich einige gedacht haben.

Geschichte wiederholt sich nicht

Die Hoffnung, noch zusätzlich genährt durch anfängliche Korrekturen beim Kin­der­frei­betrag und beim Auszahlungs­ter­min, die Regierung ähnlich wie 1989 schnell zum Einlenken zu bringen, schwand dahin, je mehr Montage ins Land gingen. Es reichte offenbar nicht aus, einfach jeden Montag auf die Straße zu gehen, vor allem wenn zwischendurch sieben Tage aktionslos ins Land gingen. Diese sieben­tägige Untätigkeit bedeutete auch sieben Tage Propaganda auf allen Kanälen: Vereinnahmungs- und Spaltungsversuche, Diffamierungen, Demora­lisierung. Mit der Dominanz von Demonstrationen und Proklamationen und dem Fehlen von Diskussionsprozessen und Initiativen zum Aufbau eigener basisdemokratischer Kommunikations- und Organisationsstrukturen lieferten sich die Demonstranten den etablierten Integrationsstrukturen, den bürgerlichen Propagandaangriffen und dem internen Hickhack von Protestorganisatoren- und managern wehrlos aus. Ohne den Aufbau selbstorganisierter Stukturen, ist eine Bewegung von unten zum Scheitern verurteilt. Sie wird dann nur neue selbsternannte Führer und bezahlte Funktionäre hervorbringen, die das Ruder übernehmen, um das in sie gesetzte Vertrauen schließlich zu enttäuschen. Das tief gehegte Misstrauen gegen Parteien und Gewerkschaften, das durch die Realität ja permanent unterfüttert wird, weiß noch keine organisatorische Alternative. Und ohne diese wird es auch keine inhaltliche Alternative geben. Denn die Forderungen doch pragmatische Alternativen zu liefern, zielen darauf sozialen Protesten den Stachel zu ziehen und unschädlich zu machen. Denn im Diskurs sitzen Regierung und Co am längeren Hebel, nicht die Betroffenen von ALG II oder Entlassungen, Arbeitslose und Arbeitende können nur durch ganz konkreten Druck Regierungen oder auch Unternehmen zum Einlenken zwingen. Demonstrationen alleine, so hat sich diesen Sommer gezeigt, können diesen Druck nicht erzeugen.

Libertäre Interventionen

Die Impulse aus den libertären Zusammenhängen in Richtung Selbstorganisation, Solidarität und Antifaschismus wurden zwar durchaus positiv aufgenommen, die Verteilung der Flugblätter war vor allem bei den ersten Demonstrationen eine wahre Freude, der Redebeitrag aus der Aktionsplattform Leipziger Libertäre heraus stieß auf Jubel und starken Applaus (1), stießen aber auf kaum praktisch erfahrbare Konsequenzen. Hier muß sich wohl auch die Frage gestellt werden, inwieweit die libertären Zusammenhänge fähig sind Menschen anderer Altersgruppen als den unter 30jährigen und von sozialen Schichten außerhalb des studentischen Milieus aufzunehmen und inwieweit sie fähig sind mit der durch unterschiedliche Sozialisation unterschiedlichen Wahrnehmung von gesellschaftlichen Zusammenhängen fruchtbar umzugehen. Auch wenn durchaus einige positive Ansätze zu verzeichnen sind, wie die Initiative des Erwerbslosensyndikats (2), die Bestrebung des libertären Zentrums Libelle auch für Menschen außerhalb des studentischen oder subkulturellen Milieus offen zu bleiben oder auch der Ansatz dieser Zeitung eine Sprache zu sprechen, die auch von Nichtakademikern und Nicht-Szene-Gurus verstanden wird, die prinzipielle Offenheit reicht anscheinend noch nicht aus. Auch die inkonsequente Teilnahme an den Montagsdemons­tra­tionen, das Schwan­ken zwischen Mobilisierung der linken Szene und Organi­sierung eines linken Blocks auf der einen und inhaltlicher Intervention und Impulse zur Selbstorganisation auf der anderen Seite. Beides wurde versucht und beides nicht konsequent umgesetzt, was wohl vor allem daran lag, daß beide Konzepte sich teilweise im Weg standen. Wie können inhaltliche Positionen vermittelt werden, ohne in eine elitäre „Ich erklär Euch jetzt mal wie der Hase läuft“ – Haltung abzugleiten? Diese Frage müssen sich gesellschaftskritische Menschen stellen, wollen sie nicht unter sich bleiben. Eine andere Frage ist die, wie eine libertäre Alternative attraktiv sein kann. Die Erfahrung der Antisozialabbaudemonstrationen in Berlin zeigt, daß ein kämpferischer, offener und lebendiger schwarz-roter Block durchaus Menschen integrieren kann und innerhalb einer größeren Demonstration durchaus auf das Doppelte anwachsen kann. Und letztendlich liegt es auch an der Stärke libertärer Ideen und Bewegungen welche inhaltliche Färbung eine Montagsdemonstration annimmt. Und dahingehend ist es den libertären Zusammenhängen zwar gelungen Akzente zu setzen, aber es konnte keinen stärkeren Block auf der Demo aufgebaut werden. Offensichtliche Nazis konnten zwar blockiert und abgedrängt werden, dadurch waren die Kräfte jedoch gebunden, so daß gegen die harmlos sich gebende rechte Sekte BüSo nichts auszurichten war. Jedoch war es auch wichtig sich nicht nur auf Anti-Nazi-Aktionen zu versteifen. Schließlich ist das Verhindern der Teilnahme von Nazis genauso wichtig, wie die Vermittlung emanzipatorischer Inhalte. Die Thematisierung der sozialen Frage unter Hinblick einer grenzüberschreitenden Solidarität und einer basisdemokratischen Organisierung, kann eine wirksamerere antifaschistische Arbeit sein, als die Diffamierung und Homogenisierung der Arbeitslosen und anderen Montagsdemons­trantInnen als „völkisch“ und das Skandieren von „Bomber Harris – do it again“ (3) am Rande der Demo. Eine gesellschaftliche Veränderung kommt nicht ohne Menschen aus, die diese tragen. Deshalb sind die eigene Organisierung im Alltag, die Intervention in soziale Bewegungen mit libertären Ideen und die Stärkung einer selbstorganisierten Bewegung für ein schönes Leben ohne Staat und Kapital unerlässlich für alle, die es satt haben, ihr ganzes Leben im kapitalistischen Laufrad zu rotieren.

kater francis murr

(1) siehe www.fau.org/ortsgruppen/leipzig/art_040817-160550 Es gab auch Reden der Wertkritischen Kommunisten Leipzig und der Linken StudentInnengruppe.
(2) Das Erwerbslosensyndikat ist über fau-leipzig@gmx.de zu erreichen und trifft sich donnerstags17:00 in der Libelle, Kolonnadenstr. 19
(3) Angekündigte Blockade des Bündnis gegen Realität „… der völkische Ruf nach Arbeit schließt das Bündnis mit den Nazis“; Harris war Oberkommandierender der britischen Luftwaffe, die im 2. Weltkrieg auch Dresden bombardiert hat.

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