Morsleben: Vergraben, vergessen, vertuscht…?

Seitdem der Atomausstieg, wenn auch mit Hintertürchen, aber vorerst doch beschlossen ist, hat sich der wunde Punkt der Politik verlagert: Ganz oben auf der Agenda steht nun die Endlagerfrage. Dabei wird ERAM – das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben bald Geschichte schreiben. Wenn es nach der Bundesregierung geht, soll der strahlende Müll, der bis 1998 in den brüchigen Salzstock eingelagert wurde, mit Salzbeton unwiderruflich versiegelt werden. Über diesen Stilllegungsplan wird ab 13. Oktober in einem öffentlichen Erörterungsverfahren in Oschersleben, circa 30 Kilometer entfernt vom Endlager, entschieden.

ERAM – das strahlende Erbe der DDR

Morsleben. In diesem idyllischen Dorf in Sachsen-Anhalt, nahe der niedersäch­sischen Landesgrenze, begann die DDR-Regierung 1970 an der Öffentlichkeit vorbei, das ehemalige Salzbergwerk zum atomaren Endlager auszubauen. Bis 1981 lagen keine Sicherheitsnachweise und somit keine offizielle Inbetriebnahmegenehmigung vor. Trotzdem wurden im Rahmen einer Versuchsphase jahrelang leicht bis mittelschwer radioaktive Abfälle in den für Wasserzuflüsse und technische Mängel bekannten Schacht eingelagert. Daran schloss sich eine befristete Bewilligung an, in der der Versuch misslang, unkontrollierten flüssigen Müll mit Braunkohleasche zu verfestigen. Trotz zahlreicher Bedenken und Untersuchungen folgten ab 1986 eine unbefristete Dauergenehmigung sowie Vorbereitungen, die Einlagerung auch hoch radio­aktiver Substanzen zuzulassen. Eine traurige Historie, die sich auch nach der Deutschen Einheit fortsetzte.

ERAM – ein von der BRD weiterbetriebenes Sicherheitsrisiko

Im neuen Staatssystem ging die Zuständigkeit auf das BfS (das Bundesamt für Strahlenschutz) über, welches dem Bun­des­umweltministerium unterstellt ist. Im Einigungsvertrag wurde ohne Langzeitsicherheitsnachweis oder ordentliches Genehmigungsverfahren der Bestandsschutz bis zum Jahr 2000 festgeschrieben. Die BRD, ohne eigenes Endlager, aber mit einem wachsenden radioaktiven Müllberg, kippte die brüchige Grube also weiter zu. Bis zur Ablöse Klaus Töpfers als Bundesumweltminister durch Angela Merkel (1994) waren unzählige mahnende Gutachten entstanden. Die sachsen-anhal­tische Landesregierung und sogar Mitarbeitende des BfS stellten die Tauglichkeit in Frage – aber Merkel redete sich die strahlende Müllgrube sicher.

Darüber hinaus novellierte sie sogar noch das Atomgesetz durch Abstriche bei den geltenden strengen Sicherheitsanfor­derungen, um Morsleben auf Grundlage des alten DDR-Rechts bis 2005 offenzuhalten.

Dieses Vorhaben wurde 1998 nach einer Klage von Umweltinitiativen durch das Oberverwaltungsgericht Magdeburg aufgehalten. Wie so oft lagen dieser Entscheidung nicht etwa Sicherheitsbedenken zugrunde, sondern der Einlagerungsstopp wurde mit Ver­stößen gegen Vor­schriften begründet: Die durch die DDR-Regierung genehmigte Menge war weit überschritten worden, genauso wie gegen die Vorschrift verstoßen wurde, atomaren Müll ausschließlich in bestimmten Teilen des Bergwerks zu lagern. Denn Mitte der 90er Jahre waren die Kapazitäten im Westfeld erschöpft und oh­ne offizielles Verfahren auf das Ost­feld erweitert worden.

Nach diesem Rechtsspruch verzichtete das BfS auf die Annahme weiterer radioaktiver Abfälle und deren Endlagerung im ERAM. Öffentlich wurde jedoch betont, dass der Einlage­rungsbetrieb nicht aufgrund von Sicherheitsmängeln eingestellt würde. Begründet wurde die Entscheidung vielmehr damit, dass an anderen Standorten, wie zum Beispiel Gorleben, ausreichend verfügbare Kapazitäten gegeben seien.

Standsicherheit im ERAM?

Seitdem befinden sich im ERAM circa 37.000 Kubikmeter feste Abfälle, etwa 6.600 umschlossene Strahlenquellen, einige verstreut eingelagerte hochaktive Strahlenquellen sowie ein Radiumfass – der Großteil eingelagert nach der Deutschen Einheit.

Insgesamt ein radioaktiver Müllberg, gelagert an einem historischen Ort des Bergbaus im 19./20. Jahrhundert, dessen unterirdische Verzweigungen aus der damaligen Zeit bis heute nur spärlich dokumentiert sind. Ein Ort, der bis in die 1960er Jahre durch Kali- und Steinsalzabbau weiter durchlöchert wurde und der bereits seit DDR-Zeiten als „nicht sicher“ galt. Ein Ort der Einsturzgefahr und der Wasserzuflüsse, mit grundlegenden geologischen Mängeln wie poröse und wasserlösliche Gesteinsschich­ten, die durch naturbedingte Bewegungen beeinflusst und verstärkt werden. Ein Ort, in dem es erst zu Beginn dieses Jahres zu einem Schwelbrand und damit verbundenem Stromausfall bis ins Umfeld der Morslebener Gemeinde gekommen ist. Ein Ort, in dem allein seit 2000 mehrere Kammern mit Salzgestein aufgefüllt werden mussten, um die Decke zu stabilisieren. 2001 krachte sogar ein 4.000 Tonnen schwerer Salzbrocken herunter – ange­nehmerweise in einer leeren Kammer. Seitdem wurde begonnen, Teile der Grube kostspielig zu verfüllen – ohne Planfest­stellungskonzept und ohne Rückholmöglichkeit.

EntsorgungRadioaktiverAbfälleMöglich???

Parallel zu diesen nicht genehmigten Verfüllmaßnahmen reichte die Bundesregierung im Jahre 2005 Pläne zur Stilllegung der Atomruine beim Umweltministerium in Mag­de­­burg ein, das dieses Abenteuer genehmigen musste. Der Verlauf der Prüfung war schleppend, da die Pläne mehrere tausend Seiten Dokumente, Gutachten und Stellungnahmen umfassten. Unzählige Unterlagen, die zum einen unvollständig und zum anderen von unbrauchbarer Qualität waren. So konnte der Teil des Stilllegungs­verfahrens, das vorhandene Material öffentlich auszulegen, erst 2009 vollzogen werden. Während dieses letzt­endlich nur zweimonatigen Zeitraumes hatte mensch die Möglichkeit, die Dokumente zu prüfen. Immerhin 12.000 Personen, Kommunen und Verbände erhoben daraufhin Einwände gegen die Still­legungs­pläne. Gemäß einer ordentlichen Schließungsprozedur eines Endlagers müssen nun Pläne und auch Einwendungen gegeneinander abgewogen werden. Das Vorhaben, das ERAM legal versiegeln und die atomare Suppe begraben zu können, wird jetzt ab dem 13. Oktober bis zum 10. November 2011 in Oschersleben, Sachsen-Anhalt debattiert. Ein offizielles Erörterungsverfahren und damit die Schaffung eines Präzedenzfalles, ein atomares Endlager weltweit erstmalig stillzulegen!

Die Bundesregierung will die unergründlichen Morslebener Hohlräume mit Salzbeton verfüllen und wird sehr wahrscheinlich mit Zahlen, Tabellen und baulichen Maßnahmen argumentieren, die Langzeitsicherheit bis zu 1.000 000 Jahre garantieren sollen. Die Einwendenden haben zwar formal das Recht dagegenzuhalten, werden jedoch nicht langfristig über Termin oder inhaltlichen Ablauf der Erörterung informiert – dies ist nach Meinung der Politik Aufgabe öffentlicher Berichterstattung, die leider gänzlich fehlt. Die Schließung wird mindestens 2,2 Milliarden Steuereuro kosten, politisch und zynischerweise bezeichnet als „einigungsbedingte Altlast“.

Ab 13. Oktober muss das Land also die Taug­lichkeit eines komplexen Salzstockes be­werten, der gekennzeichnet ist durch geo­logische Bewegungen und brüchige Salz­barrieren, die das Wasser kaum abhalten können. Gegeneinander ab­gewogen werden im Erörterungsverfahren die Positionen zweier Parteien, wovon die ei­ne in wohl kaum nennens­wer­­ter, fundiert informierter Anzahl zugegen sein wird. Die andere Seite aber wird geschäftig und vorbereitet präsent sein, denn die steht seit Juli 2011 unter dem Druck der EU, bis 2015 konkrete Pläne für die Atom­müllent­sorgung vorlegen zu müssen, die diese von allen 14 AKW-Ländern fordert. Und mit dieser Entscheidung wird Sachsen-Anhalt bald Geschichte darüber schreiben, wie exemplarisch mit unserem Wohl­standsmüll umgangen wird.

mona d.

Quellen:
de.wikipedia.org/wiki/Endlager_Morsleben
www.greenkids.de; und Falk Beyer
www.atommuell-endlager.de
www.spiegel.de „Merkels Altlast“

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