„Nach den Sternen greifen“

13.-16. Mai 2010 BUKO 33 in Tübingen

Seit 1977 trifft sich die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO: übrigens bis 2002 Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen genannt) einmal im Jahr, um herrschaftskritische und emanzipatorische Politik und Aktionen zusammenzuführen und weiterzudenken.

Dieses Jahr zog es ca. 400 Kapitalismuskritiker_innen in die Universitäts- und Tierversuchsstadt Tübingen,  genauer in das soziokulturelle Zentrum Sudhaus, wo Workshops und Veranstaltungen rund um die Themenschwerpunkte EU und Commons/Gemeingüter stattfanden, aber auch vieles mehr: Erstmalig bot JuLe (Junge-Leute-Programm) für Neueinsteiger_innen thematische Einführungen an; das Freie Radio Wüste Welle begleitete den Kongress vor Ort durch musikalische Unterhaltung sowie inhaltliche Berichterstattung; die mobile Mitmach-Küche Le Sabot sorgte sich morgens, mittags, abends um den großen und kleinen Hunger; ein Raum mit Bücher- und Infoständen, Kaffee und Kuchen lud zur Information und Vernetzung ein und die Kinderbetreuung ermöglichte Manchem mehr die Teilhabe.

Neben den zwei Panels (s. unten) gab es auch inhaltlichen Raum für „Diversitäten“– ein Schlagwort, das u.a. Themen wie Widerstand in Honduras, Islamismus, Klimagerechtigkeit sowie Menschenrechte in Kolumbien umfasste. Die inhaltliche Breite „sorgte für Abwechslung“ und stärkte die internationalistische Perspektive des Kongresses. Die Verbindung von Theorie und Praxis wurde jedoch nicht nur im Kreis oder vor einem Podium sitzend diskutiert, sondern auch in direkten Aktionen erprobt. So mobilisierte die Gruppe ZAK die BUKO am Samstag in die Tübinger Innenstadt, um mit der Aktion „TüBus umsonst! Nulltarif im Stadtverkehr!“ temporär ein Common zu schaffen und zugleich ein Signal für eine neue Klima- und Sozialpolitik zu setzen. Sonntag Vormittag wurde es dann noch aktiver: Tübingens Studentenverbindungen veranstalteten öffentlich ein Frühstück mit den „Alten Herren“, das queerig-kreativ massiv gestört werden konnte. Bekannt für seine Säbelrassler und Schmissbacken haben wir Tübingen aber auch von Seiten einer erstaunlich großen linksradikalen Szene kennengelernt. Wichtige Vereine wie die IMI (Informationsstelle Militarisierung), interessante linke Gruppen im Spannungsfeld von Anarchismus und Kommunismus sowie selbstorganisierte Projekte bringen reichlich Farbe in das verschlafen wirkende Städtchen. Und das schon sehr lange, denn die Geschichte der Hausbesetzer_innen reicht bis in die 1970er Jahre zurück.

Was extrem genervt hat, war das miese Wetter – kalt, dunkel, nass. Ansonsten kann es nur ein überschwenglich positives Fazit geben: Der Kongress hat Spaß gemacht, Ideen gebracht, geistig inspiriert, zu Vernetzung und Austausch animiert und neue Kraft gegeben, um mit Schwung in den alltäglichen Kampf gegen Staat und Kapital zurückzukehren. Sicherlich auch deshalb, weil die totale Ablehnung kapitalistischer Lösungen ein breiter Konsens war und somit intensivere Diskussionen ermöglichte. Jetzt kann die Weltrevolution auch am 22. April 2011 beginnen!

(momo & droff)

Commons

Der Begriff der Commons/Gemeingüter/Allmende wird wohl in Zukunft häufiger zu hören sein. Auf der BUKO33 wurde dieser u.a. gefüllt mit Inhalten wie Landprivatisierung, politische Kommunen, Freie Software, Ernährungsautonomie, bedürfnisorientierte Produktion und solidarische Gesellschaftsgestaltung. Letztendlich machte dieses breite linkspolitische Feld die Antwort auf die übergeordnete Frage nicht leicht: Was taugt dieser Begriff für eine emanzipatorische Politik?

Der Leitspruch „Es gibt keine Gemeingüter ohne gemeinsames Tun.“ verweist auf eine zentrale Idee des Commons-Konzeptes: weg vom Privateigentum und kapitalistischer Verwertung, hin zur kollektiven Nutzung und einem Prozess der gemeinsamen Aushandlung von Umgangsregeln mit der jeweiligen Ressource. Gemeingüter bezeichnen nicht nur eine soziale Praxis, auch einen Diskurs. Es geht bspw. um Zugang zu Bildung oder Verteilung endlicher Ressourcen und ist somit was, das Jede_n betrifft. Wem gehört die Welt und wie kann eine bessere Welt eigentlich aussehen? Die Commons-Debatte ist ein Erfahrungsaustausch und Verständigungsprozeß und hat das Potenzial kritische Theorien und emanzipatorische Praxen zusammenzubringen. Bleibt zu hoffen, dass die notwendige Staatskritik im Diskurs auch noch mitgedacht wird.

Europäische Union

Schwerpunkte dieses Panels war die Wirtschafts- und Sicherheitspolitik der EU, denn trotz interner Uneinigkeit sind sie bereits eine globale Großmacht: So „verteidigt“ sich die Festung Europa mit Militärschiffen (unter Frontex-Regime) gegen mittellose Migrant_innen in Schlauchbooten und schirmt sich weiträumig durch Abschiebeknäste bereits auf dem afrikanischem Kontinent ab. Weiter wird der EAD (Europäische Auswärtige Dienst) am 6. Juni zum neuen außenpolitischem Richtschwert legitimiert,  das militärische, sicherheits- und entwicklungspolitische Ansätze zusammenführt und somit die künftige Entwicklungshilfe an europäische Militärinteressen bindet. Auch entscheidet der Westen über die Definition sog. „failed states“ und sichert sich (zivil flankiert) seine Pfründe. Und wo nicht militärisch durchzusetzen, werden die für Europa spannenden Ressourcen und der Zugang zu Märkten und geistigem Eigentum via Freihandelsabkommen abgepresst (siehe auch S.14ff) und Entwicklungshilfegelder an eine vollständige Wirtschaftsliberalisierung gekoppelt. Vielfältig nutzt die EU ihre Machtposition global aus, was von den Betroffenen als Neokolonialismus bezeichnet wird. Die Referentin Madjiguéne Cissé aus Senegal brachte die Beziehungen zwischen der EU und Afrika 125 Jahre nach der Berlin-Afrika-Konferenz praktisch auf den Punkt: „Als ich sagte, dass ich nach Europa gehe, meinten meine Freunde zu mir: Nimm ihnen ihre Waffen mit zurück und bring uns die geklauten Fische wieder“.

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