Naziaktivitäten und Antifa in Reudnitz
Dass es naiv war zu glauben, mit dem Ende der Worch-Aufmärsche gäbe es in Leipzig kein Problem mehr mit Neonazis, konnte man schon am 22. Juni 2007 sehen. Einen Tag nachdem Christian Worch mit einem kleinen Fußvolk von gerade mal 34 Personen durch Leipzig marschiert war, führten die „Freien Kräfte Leipzig“ eine Spontandemo in Reudnitz durch, an der sich etwa 100 KameradInnen beteiligten. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass mit der hiesigen Neonazi-Szene noch zu rechnen sei.
Vor allem in Reudnitz konnten sich die „Freien Kräfte“ im letzten Jahr etablieren. Nach dem Modell der „Autonomen Nationalisten“ legen sie auf Abgrenzung gegenüber der als zu wenig radikal empfundenen NPD Wert, äußerlich orientiert man sich bei Kleidung und Gestaltung von Transparenten und Aufklebern an linksradikalen Gruppen. Hinzu kommt, dass man sich nicht auf Propaganda-Aktionen beschränkt, sondern auch vor gewalttätigen Übergriffen auf reale oder vermeintliche politische Gegner nicht zurückgeschreckt wird. Dies demonstrierten die „Freien Kräfte“ u.a. am 27. September 2007, als sie im Verbund mit rechten Lok-Hools [gewaltverliebte Fußballfans] versuchten, eine im Rahmen der Proteste gegen den „Tønsberg“-Laden in der Leipziger Innenstadt stattfindende Kundgebung der Jusos zu attackieren – ein Vorhaben, dass an den zahlreich anwesenden Antifas und dem Eingreifen der Polizei scheiterte. Vor allem wurde aber ein in der Reudnitzer Holsteinstraße gelegenes, zum Teil von StudentInnen bewohntes Haus in den letzten Monaten zum Ziel von Angriffen. So attackierten am 22.11.2007 rund 40 Personen das Haus, u.a. mit Leuchtraketen. Schon vorher waren an der Hauswand neonazistische Schmierereien angebracht worden.
Dass es mittlerweile auch gute Kontakte zu auswärtigen Neonazi-Gruppen gibt, zeigten die „Freien Kräfte“ mit einem Aufmarsch am 12. Januar 2008, an dem sich etwa 350 Nasen beteiligten (siehe auch FA! #28). Die Zwischenkundgebung fand dabei – mit Genehmigung des Ordnungsamtes – direkt vor dem erwähnten Haus statt. Als die Bewohner versuchten, die Kundgebung mit lauter Musik zu stören, stürmte die Polizei das Haus, schaltete den Strom ab (wobei der Sicherungskasten stark beschädigt wurde) und bedrohte die Bewohner. Wegen der Genehmigung der Demonstration und insbesondere des Ortes für die Zwischenkundgebung geriet auch Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Die Linke) in die Kritik – zuvor hatte sich dieser den Umstand, dass die Nazidemo reibungslos über die Bühne gehen konnte, noch als Erfolg angerechnet. Wie berechtigt diese Kritik war, konnte man schon eine Woche später sehen: Am 19. Januar wurde das Haus erneut attackiert, die Angreifer drangen dabei in das Innere des Hauses ein. Sie versuchten, sich Zugang zu einer Wohnung zu verschaffen, woran sie von den BewohnerInnen nur mit großer Anstrengung gehindert werden konnten. Die Angreifer warfen Feuerwerkskörper, eine Fensterscheibe wurde eingeschlagen.
Diese Vorgänge rufen mittlerweile vermehrten Widerstand hervor. So fand Ende Februar eine Aktionswoche statt, bei der mit Informationsveranstaltungen und Vorträgen versucht wurde, für das Problem zu sensibilisieren. Den Schlusspunkt bildete am 1. März eine antifaschistische Demonstration durch Reudnitz. Der Tag begann mit Sturmböen, Hagel und Gewitter. Obwohl das Wetter weiterhin ungemütlich windig und nasskalt blieb, fanden sich am frühen Nachmittag an die 800 AntifaschistInnen, Vertreter der Linken und der Grünen ebenso wie Reudnitzer BürgerInnen am S-Bahnhof Stötteritz ein. Schon am Vortag hatte es eine Antifa-Spontandemo in Großzschocher gegeben, einem Stadtteil, wo ebenfalls vermehrt Nazi-Aktivitäten zu verzeichnen sind. Diese Demonstration wurde jedoch von der Polizei gewaltsam beendet, dabei gab es mehrere (zum Teil schwer) Verletzte.
Bei der Demo in Reudnitz hielten sich die Beamten dankenswerterweise zurück. Zwar waren auch hier mehrere Hundertschaften im Einsatz, im Vorfeld wurden – wie es bei Antifa-Demos mittlerweile zur Gewohnheit wird – die Personalien der TeilnehmerInnen aufgenommen, um mutmaßliche „Gefährder“ ausfindig zu machen. Die Demonstration selbst verlief weitgehend ohne Zwischenfälle, wenn man davon absieht, dass 6 DemonstrantInnen verhaftet wurden.
In der Holsteinstraße wurde eine Zwischenkundgebung abgehalten, einer der Bewohner des angegriffenen Hauses schilderte in seiner Rede die Vorgänge der letzten Monate. Ein weiterer Grund für die Wahl dieses Platzes war der Fakt, dass Istvan Repaczki – der bei den „Freien Kräften“ eine zentrale Rolle spielt und u.a. als Anmelder des Neonazi-Aufmarsches vom 12. Januar fungierte – gleich um die Ecke (in der Oststraße) wohnt. Auch diesem wurde ein Redebeitrag gewidmet und nahegelegt, sich doch einen anderen Ort zum Wohnen zu suchen. Von dieser Art Kraftmeierei, wie man sie von vielen Antifa-Demos kennt, mag man halten, was man will. Es ist auch zweifelhaft, ob es sinnvoll ist, sich als AntifaschistIn darüber lustig zu machen, dass Herr Repaczki ja selbst kein „richtiger Deutscher“ sei.
Überhaupt entsprachen viele Ansagen und Redebeiträge nur zu sehr den Erwartungen. Man ist eben gegen Nazis, tiefergehende Kritik kommt da oft zu kurz. „Das Problem heißt Deutschland“ war fast schon die tiefgründigste Aussage, zu der der Sprecher der Leipziger Antifa (LeA), der die meiste Zeit das Mikrofon in der Hand hatte, sich hinreißen ließ. Nervig war auch der arrogante Tonfall, der immer wieder aufkommt, wenn die lokale Antifa sich mal aus dem heimischen Kiez herauswagt – als würden in anderen Teilen Leipzigs sonstwas für hinterwäldlerische Zustände herrschen. Es fragt sich, ob Leute, die zufällig nicht in Connewitz wohnen und gerade darum in ihrem Alltag weit stärker mit Neonazis konfrontiert sind, von solchem elitären Gehabe nicht eher abgestoßen werden. Lobenswert immerhin, dass während der Demo zweimal ein vorproduziertes Statement gegen homophobe und sexistische Sprüchen und Verhaltensweisen bei Antifa-Demos abgespielt wurde. Ein wenig Selbstkritik hat noch keinem geschadet…
(justus)