Non! Nee! Nö!

Zur EU-Verfassung

Schadenfreude über den gebückten Kanzler.

Nachrichten machen wieder Spaß. Anstatt von der politischen Klasse täglich zu­frie­den und selbstgefällig irgend­welche Hiobs­­­­bot­schaf­ten verkün­det zu be­kom­­men, kann mensch sich gegen­wär­tig ihrer ins­gesamt be­­drück­ten Stimmung erfreuen. Denn zwei ihrer größten Projekte schei­nen in den letz­ten Wo­chen zu schei­­tern. Wäh­rend auf na­tio­naler Ebe­ne Rot-Grün mit ihr­em Mo­derni­sie­rungs­­­kon­­zept „Agenda 2010“ in NRW eine schwere Niederlage er­litt und seitdem krampf­haft nach Mög­lich­keiten der Selbst­­auflösung sucht, ist auf euro­päischer Ebene der bisher glatte Durch­­marsch des Pro­jekts „EU-Ver­fas­sung“ durch das französische „Non!“ erst­mal gebremst worden, letztlich gescheitert, in­­so­fern die Ver­fassung der letzte Versuch war, die Brüssler Bürokratie irgendwie an ei­ne eu­ropäische Bevölkerung rück­zu­bin­den und zu legitimieren. Die langen Ge­sich­ter Schrö­ders und des Kommissions­prä­si­denten Barroso ähneln sich und Rat­lo­sig­keit herrscht bei den europäischen Eli­ten, die sich nur noch ungern vor die Ka­me­­ras wa­gen, um halbherzige Durchhalte­pa­­­rolen aus­zugeben. Einigen Politikern wur­­de hier durch deutsche Landtags­wah­len bzw. ein französisches Referendum ihr per­­sönliches Lebenswerk versaut, sie sind zu hoch geflogen und auf die Schnauze ge­­fallen.

Großmachtpläne.

Beide Projekte, Rot-Grün und die EU-Ver­­fassung, ähneln sich und auch ihr Schei­­tern. Die EU-Verfassung war der Ver­such, ei­nen militärischen, ökonomischen und poli­tischen Großraum zu schaffen und zu zen­tra­lisieren, damit die Herrschaft und de­ren Effizienz zu intensivieren, um im glo­balen Maßstab nicht nur mithalten, son­­­­dern auch mitgestalten zu können, also das, was oft die „neoliberale Globalisie­rung“ genannt wird, nach eigenen Vor­stellung­en und militärisch flankiert welt­weit durch­­­­zu­setzen. Rot-Grün hat nicht nur Deut­­­schland wieder zum militärischen Ak­­­­teur wer­den lassen, son­dern kämpfte ver­­­­biss­en, um eine welt­weite und eu­­­ro­päi­sche Spit­­zen­po­si­tion Deut­schlands, nicht was Lebens­qualität son­dern was po­­li­­tische und wir­t­­schaf­­t­liche Macht, al­­so letzt­­­­­­­lich die Macht deut­­­scher po­li­­ti­­scher E­li­­­­ten an­­­­geht. Deut­­­­sch­­­land als Groß­macht war aller­­­­dings nur mög­lich, im Rah­men ei­­ner Welt­macht EU, de­ren Ent­wicklung von der Bun­des­re­gierung vor­angetrieben wur­de. Auf wirt­schaft­licher Ebe­ne sind hier beispielsweise der Wachs­tums- und Sta­bilitätspakt im Rah­men der Währungs­union und die Lissabon-Stra­tegie1 zu nen­nen, die von der deut­­schen Politik in der EU durchgesetzt wur­den und innen­poli­tisch in allen EU-Staaten einen Zwang zu So­zialabbau dar­stellen, dem gerne weit­geh­end entsprochen wur­de. Ähnliches gilt für die Mili­tari­sie­rung, die unter dem La­bel GASP (Gemein­same Außen- und Sicherheitspolitik) vor all­em von Deutsch­land und Frankreich ini­tiiert und voran­ge­trieben wurde. Im Ver­fa­s­sungs­­vertrag der EU ist ausdrücklich ei­ne Auf­rüstungs­verpflichtung2 ent­hal­ten und die Grün­dung einer europäi­schen Rüstungs­­agen­tur vorgesehen. Durch die Gründung des EU-weiten Rüstungs­kon­sortiums EADS und die gemeinsame Be­stellung von 180 Großraumtransportern Air­bus A400-M wurden die industriellen und logistischen Voraussetzungen für welt­weite ro­buste Militäreinsätze geschaffen. Sei­ne rot-grüne nationale Entsprechung fand dies in der Beteiligung der Bun­deswehr an zahl­reichen Einsätzen seit 19993 und deren Um­strukturierung zur In­ter­ven­tions­streit­macht, verschleiernd als „Stand­ort­schlie­ßung“ diskutiert. Flankiert wur­den diese, im Allge­meinen un­popu­lären, Entschei­dungen von nationa­listischer Rhe­torik, dem Gefasel von Sachzwängen der Globa­li­sierung (die von den gleichen Ak­teuren er­zeugt und vertraglich fest­ge­hal­ten wur­den) und auf nationaler wie euro­pä­ischer Ebe­ne mit verschärfter Repression und Sicher­heitsgesetzen. (Feierabend! #16 „Lust auf Ver­fassung“)

Ein Grund zum Feiern?

Der Linken in Europa ist es bislang nicht ge­­lungen, diesen Großmachtplänen effek­ti­ven Widerstand entgegenzusetzen, wäh­rend die extremen Nationalisten in Deut­schland, den Niederlanden, Italien, Frank­reich und Spanien vom Schreckgespenst der Globalisierung und der Tatsache, dass sich der Staat zunehmend unbeliebt mach­te, profitieren konnten und als Rechts­außen, von dem sich die Regierungen als Mit­te abgrenzen konnten, von diesen oft un­ter­­stützt wurden4. Für die Herr­schen­den Euro­pas eine gute Ausgangsposition, um Re­formen in ihrem Sinne durch­zu­setzen, Aus­beutung und Unterdrückung zu in­ten­si­vieren und sich so die Ressourcen an­­zu­ei­gnen, um weltweit führend zu wer­den. Wi­derstand ließ lange auf sich warten: Die Stu­dentenproteste der letzten Jahre zün­­d­e­ten nicht, Teile der Frie­dens­be­we­gung lie­ßen sich von Zivil­machts-Rhetorik ein­­lullen, die Montags­demons­tra­tionen eb­b­­ten ab und wurden später ignoriert. Nicht durch wütende Massen­pro­teste, son­dern durch nüchterne Wahlen wurde nun den Re­gierenden ein Strich durch die Rech­­nung gemacht.

Eine Analyse fällt schwer: In Nordrhein-West­­falen muss aus bürgerlicher Sicht von ei­­nem Rechtsruck gesprochen werden, denn von den etablierteren Parteien konn­ten nur CDU und NPD Stimmen hin­zu­­ge­winnen, während v. a. SPD, FDP und Grüne deutlich Stimmen einbüßten. Deut­­lich mehr Menschen als im Mai 2000 wähl­­ten allerdings unbedeutende Kleinst-Par­­teien oder ungültig. Beim Referendum in Frankreich stellt sich die Sache noch kom­­plizierter dar. Einerseits deutet die ho­he Beteiligung (knapp 70%) und die zu­letzt intensive öffentliche Debatte darauf hin, dass die Wähler gute Gründe für ihre Ent­­scheidung hatten. Die europaweiten Pro­­tagonisten des Verfassungsvertrages und die parlamentarische Opposition in Frank­­reich versuchten die gelaufene De­batte über das Machwerk zu negieren und das Re­fe­rendum auf ein Votum gegen Chi­rac zu re­duzieren. Die politische Mitte ver­sucht, v. a. nationalistische, also die Ar­gu­men­te der Rechten, und kleingeistigen Kon­­ser­vatismus für die Ablehnung der Ver­fassung ver­antwortlich zu machen, währ­end die fran­zösischen „Sozialisten“ und europaweit die Linke die Ent­schei­dung für sich ver­ein­­nahmen wollen: Die Ver­fassung sei ab­ge­­lehnt worden, weil sie neo­liberal ist.

Bei­des, nationalistische und glo­ba­li­sie­rungskritische Beweggründe, passen je­doch zusammen, v. a. in Frankreich, wo sich auch die kämpferische Arbeiter­be­we­gung oft national, z. B. hinsichtlich ihrer Streik­­kultur, als etwas Besonderes begreift und reflexartig widerständig auf Beeinflus­s­ungs­versuche aus Deutschland und den USA reagiert.

Wahlen verändern nichts, sonst werden sie verboten

Letztendlich hat das „Volk“, also eine bü­ro­kratisch abgegrenzte, vielfältige Menge von mehre­ren Millionen Menschen ab­ge­stim­mt. Die Ergebnisse solcher Verfahren sind zwangs­läufig absurd und lassen nie ein­­deutige logische Schlüsse auf die Be­weg­­grün­de der Einzelnen zu. Dennoch zeigt sich selbst bei solch minimalen demo­kra­­tischen Elementen, dass die politische Klas­­se sich erklären muss und nicht zu weit ab­­­heben kann, da sie dann doch, alle vier bis sechs Jahre, wieder zwischenlanden muss und dann evtl. ausgewechselt wird. Das haben die Regierenden in den letzten Jah­­ren offensichtlich vergessen und so tat­säch­lich viel Vertrauen in das politische Sys­­tem verspielt. Dieses Vertrauen mag nun kurz­fristig wiederhergestellt sein, denn die Re­­gierenden erhielten ja nun ihre Quit­tung. Und doch ist hier nicht nur die CDU ge­wählt worden, sondern in Frank­reich wie in NRW ist auch ein „Non!“ ge­wählt wor­den. Die Krise ist nicht vorbei, denn in den westeuropäischen Staaten kann es sich ge­­genwärtig kaum eine Re­gierung realis­tisch ausmalen, wieder ge­wählt zu werden, außer aus reiner Alter­na­tiv­losigkeit heraus, wie zuvor schon in Groß­britannien Blair wie­der gewählt wur­de, in Frankreich Chi­rac gegen Le Pen ein­deutig das kleinere Übel war und Schrö­der eigentlich auch nur mit „Weg mit Kohl“- und „Stoppt Stoi­ber“-Kampag­nen erfolgreich sein konnte. Auch die, die in Deutschland im Herbst CDU wählen, wis­sen, dass das Ergebnis wie­der nur eine All­parteienregierung sein wird, die in der fol­genden Wahl erneut abg­ewählt, d.h. per­sonell umbesetzt wird, und damit kei­ne­swegs eine Wende zum Gu­ten erreicht wird, sondern nur der illu­sorischen Hoff­nung auf ein kleineres Übel ent­sprochen wird. Dieser Teufelskreis kann sich noch ewig hinziehen, solange die Men­schen erst auf die Frage der Regierenden, auf ver­fas­s­ungsmäßig obligatorische Wah­len, war­ten, um ihr „Non!“ zu artikulieren. Doch die gegenwärtige und sich weiter ver­schär­fende Vertrauenskrise ist ein guter An­lass, das „Non!“ zunehmend auf die Straße und in den Alltag zu tragen. Hoffnungs­volle Vor­bilder gibt es derzeit: In Mittel- und La­­teinamerika wurden in den letzten Mo­n­aten nicht nur reihenweise Re­gierungen ge­stürzt und durch Links-Par­teien ersetzt. Nein, auch diesen Linkspar­teien wird kei­ne Ruhe gelassen, ihre all­täg­lichen Ent­scheidungen werden von Massen­protesten be­gleitet und es ist den Re­­gierenden nicht mehr möglich, eine Außen- und Wirt­schaftspolitik zu betrei­ben, die ka­pi­ta­lis­tischen, „westlichen“ Stan­dards genügt. In Bolivien und Ve­nezuela wur­den die Steu­ern für Auslän­dische För­der­un­ter­neh­men von Erdöl und Erd­gas auf Druck der Be­völkerung so weit er­höht, dass ein Ein­grei­fen der USA droht, den­noch hält der Druck an und in Bo­li­vien musste Mesa An­fang Juni erneut seinen Rück­tritt er­klären. Der brasi­lia­nische Prä­sident „Lula“ wird durch Massen­proteste der Land­losen­be­wegung zur Fortsetzung sei­ner Umver­tei­lungs­­po­li­tik gezwungen, die bei den Pro­tagonisten des Neo­li­beralismus und in Dip­lomaten­kreisen Kopf­schütteln bis blan­kes Entset­zen her­vorrufen. Die Bevöl­kerungen schei­nen im wahrsten Sinne des Wor­tes „unregierbar“ zu werden. Wenn sol­che Ver­hältnisse nicht auch hier Schule machen, und die Men­schen sich darauf be­schränken, ihrem Un­mut in Wahlen Aus­druck zu verleihen, wird deren Bedeutung von der politischen Klas­se zunehmend ein­ge­schränkt werden (So wie es auch durch die Verfassung ge­plant war, die dem EU- Par­lament, einer ohn­ehin nicht re­präsen­ta­tiven, aber im­merhin gewählten Insti­tu­tion kaum Rechte ein­räumte). Das zu­neh­mende Misstrauen ge­­genüber dem li­be­ral-demokratischen Sys­tem kann dann von nationalistischen Kräften genutzt wer­den und sich in wachsenden Stimman­tei­len rechtsradikaler Par­teien, weiterem De­mo­kratieabbau und ei­ner zunehmend faschistoiden Ge­sellschaft auswirken.

Das Nein geht auf die Straße, das Ja sieht auf Zusehen hin zu.

maria

(1) „Beim Lissaboner Früh­jahrsgipfel der Europäischen Union Jahr am 23. und 24. März 2000 haben die Staats- und Regierungschefs eine wirt­schafts- und sozial­poli­ti­sche Agenda be­schlossen. Ziel dieser so genannten Lissa­­bon-Strategie ist es, die EU bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dy­na­mischsten wis­sens­basierten Wirt­schafts­­raum der Welt zu machen.“ (www.bundes­re­gierung.de)
(2) „Die Mit­gliedsstaaten verpflichten sich, ihre mili­tä­ri­schen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ (Artikel I-40, Abs. 3)
(3) KFOR (Kosovo, seit 1999), INTERFET (Ost-Timor, 1999), Task Force Fox (Mazedonien, 2001), Enduring Free­dom (versch. Orte, seit 2001), ISAF (Afghanistan, seit 2002), Artemis (Demokratische Republik Kongo, 2003), Concordia (Mazedonien, 2003), UNMIS (Sudan, 2005)
(4) Hinsichtlich Deut­schlands sei dabei an den durch das Innen­minis­terium vereitelten Verbotsantrag ge­gen die NPD erinnert, in dessen Verlauf sich herausstellte, dass ein Drittel der NPD-Ka­der auf der Ge­halts­liste des Ver­fassungs­schutz/Innen­minist­eriums steht.

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