Obdachlosigkeit, soziale Ausgrenzung und rechte Gewalt

„Rechte TäterInnen praktizieren gegen obdachlose Menschen einen Sozialdarwinismus der Tat, der durch einen Sozialdarwinismus des Wortes vorbereitet wird“, heißt es im Klappentext des Buches Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus von Lucius Teidelbaum, das sich mit Obdachlosenfeindlichkeit im Kontext „sozialdarwinistischer Zustände“ (S. 15) beschäftigt. Infolge eines „weit verbreiteten Sozialdarwinismus“ käme es heute laut dem Autor zu einer „systematischen Ausgrenzung benachteiligter durch strukturell privilegierte Gruppen“. (S. 41) Mit dem Begriff Sozialdarwinismus meint der Autor in diesem Kontext „die Abwertung von Transferleistungs-Empfänger_innen und sozialen Randgruppen seitens breiter gesellschaftlicher Schichten“. (S.16) Dieser sog. latente Sozialdarwinismus führt in der Regel zu einem manifesten Sozialdarwinismus, der sich von ersterem dadurch unterscheidet, mit einer Aktivität verbunden zu sein wie beispielsweise Beschimpfung, physische Gewalt oder aber auch Repressalien von Seiten der Behörden.

Die offensichtlichste und schlimmste Facette dieser manifesten Ausformung sind offene Gewalt und Morde an Obdachlosen durch Rechtsradikale und Neonazis. Dieses Thema nimmt eine gesonderte Stellung im Buch ein. Obdachlose werden selten als eigene Kategorie gehandelt, wenn es um Opfer rechter Gewalt geht. Oft wird ein offensichtlicher rechtsradikaler/neonazistischer Hintergrund einschlägiger Taten ignoriert, relativiert oder unter den Tisch gekehrt. Gegen diesen Trend wendet sich das Buch mit voller Vehemenz. Bedrückende Schilderungen von Morden an Obdachlosen durch Neonazis sollen diese Opfer rechter Gewalt nicht in Vergessenheit geraten lassen und es verunmöglichen, diese Taten zu entpolitisieren. Wie es im Eingangszitat bereits angedeutet wird, hat dieser Sozialdarwinismus der Tat rechter GewalttäterInnen einen Sozialdarwinismus des Wortes als Basis – und diese Basis ist sehr viel breiter als einschlägige rechte Kreise. Der Autor sieht hier primär die „Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens“ (S. 19) als Hauptproblem dieses Phänomens, denn die „Bewertung von Menschen nach (wirtschaftlicher) Leistung ist eine grundsätzlich sozialdarwinistische Position“. (S. 19) Diese Zustände sind hier laut Autor Teidelbaum der Grund für eine „Transformation von Ungleichheit in Ungleichwertigkeit“. (S. 22) Diese sog. Ideologie der Ungleichwertigkeit sei wiederum „ein wichtiges Wesensmerkmal der extremen Rechten“ (S. 22), womit sich der Kreis zwischen gesellschaftlich akzeptierter Ausgrenzung von „Randgruppen“ und rechter Gewalt wieder zu schließen beginnt.

Ganz so einfach darf man es sich bei rechter/neonazistischer Gewalt gegen Obdachlose jedoch auch nicht machen. Wie der Autor beschreibt, gibt es durchaus auch so etwas wie rechte Solidarität mit Obdachlosen. Freilich kommen hier nur die „einheimischen“ Obdachlosen in den fragwürdigen Genuss dessen. Rechte Parteien wie die NPD sowie diverse Neonazi-Gruppen distanzierten sich immer wieder öffentlich von Morden an Obdachlose durch klar dem rechten Spektrum zuordenbare TäterInnen. In Frankreich gibt es Suppenküchen Rechtsradikaler für Obdachlose – gekocht wird dort jedoch stets mit Schweinefleisch, um Muslime und Juden auszugrenzen. Dass die Gewalt gegen Obdachlose, von denen der Autor spricht, aber stets sozialdarwinistische, also letztendlich rechte Argumentions- und Legitimationsmuster zugrunde liegen, lässt sich auch dadurch nicht relativieren.

Aus anarchistischer Perspektive ist zudem positiv hervorzuheben, dass der Autor in seinem kurzen Abriss zu historischen Fragen der Obdachlosigkeit auch auf die Vagabund_innen-Bewegung rund um Gregor Gog eingeht. Die 1927 gegründete Bruderschaft der Vagabunden war klar anarchistisch und rüttelte durch Losungen wie „Generalstreik das Leben lang!“ auf. Sie optierte für „ein ganzes Leben“ im „gottverdammte[n] Dasein in der Gosse“ statt auch nur „einen einzigen Tag Bürger [zu] sein!“ (S. 32).

Dieses Buch ist ein wichtiger und einer der wenigen Beiträge, die Ausgrenzung von und Gewalt gegen Obdachlosen unter sozialdarwinistischen Vorzeichen beleuchtet, problematisiert und die konkreten Auswirkungen und Ursachen, die dies hat, benennt. Die relative Kürze der Ausführungen mindert hierbei nicht die Qualität des Inhalts. Der Autor schafft es sogar, historische Fragen unterzubringen, ohne dass es oberflächlich wirkt. Den Fokus auf diese Aspekte sozialer Ausgrenzung und rechter Gewalt zu legen und wie sie interagieren, ist vor allem in Krisenzeiten wie diesen, in denen das soziale Klima stetig rauer wird, äußerst wichtig.

Sebastian Kalicha

Lucius Teidelbaum: Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus. Unrast Verlag, Münster 2013. 80 Seiten, 7,80 Euro, ISBN: 978-3-89771-124-2

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