Opfermythos & Widerstand von unten

Frauenproteste in der Berliner Rosenstraße

Im aktuellen Geschichtsrevisionismusdiskurs – getragen u.a. vom Spiegel sowie von Günther Grass, Martin Walser und Jörg Friedrich – werden die Deutschen als doppelte Opfer konstruiert. Als Opfer sowohl von „alliierten Bombenterror“, der Roten Armee (Stalingrad) und von Vertreibungen als auch eines „totalitären Regimes“, gegen welches so gut wie keinerlei Widerstand möglich gewesen wäre. In einer solchen Stimmung muss es nicht wundern, wenn das 60-jährige Jubiläum der Frauenproteste in der Berliner Rosenstraße weitest gehend totgeschwiegen wird. Zeigen die Proteste doch, dass Widerstand zwar sehr gefährlich, aber durchaus möglich war. Dass dieser dennoch ausblieb, ist Indiz, dass die meisten Deutschen eben ziemlich wenig als unschuldige „Opfer“ taug(t)en. Daher sollen wenigstens an dieser Stelle einige Worte über die vom 27.02. bis 07.03.1943 Tag und Nacht durchgängigen Proteste in der Rosenstraße verloren werden. (1)

Die Proteste entzündeten sich anlässlich der geplanten Deportation von Juden (d.h. hier und im gesamten Text als solchen definierten Menschen) aus sog. „einfachen Mischehen“ (2) am 27.02.1943. Diese war Teil eines Plans des damaligen Berliner GAU-Leiters Goebbels, Berlin „judenfrei“ zu machen. Dazu wurden in einer als „Fabrikaktion“ bezeichneten Großaktion von verschiedenen Organen Razzien an den Arbeitsplätzen jüdischer ZwangsarbeiterInnen durchgeführt, die sich, da sie in kriegswichtigen Industrien arbeiten mussten, sicher wähnten. Aber es wurde auch nach Wohnungslisten vorgegangen. Da die Aktion im Vorfeld durchgesickert war, konnten ca. 4000 Jüdinnen und Juden in den Untergrund flüchten leider wurden ca. 2000 von ihnen während der nächsten Tage wieder aufgespürt.

In der Rosenstraße 2-4, einem ehemaligen jüdischen Sozialheim, wurden ca. 1500 zu Deportierende einquartiert. Darunter befanden sich 90-95% Männer aus Mischehen, aber auch vereinzelt Frauen und Kinder. Ungefähr 100-150 Frauen, die per „Mundfunk“ oder per Nachfrage bei der Gestapo davon erfahren hatten, kamen dort spontan zusammen. Sie gaben an, noch Gegenstände von ihren Männern zu benötigen. Als ihnen diese ausgehändigt wurden, hatten sie die Gewissheit, dass diese dort gefangen gehalten wurden; mitunter gelang es auch (z.B. auf ausgehändigten Lebensmittelkarten) kleine Botschaften nach außen zu schmuggeln.

Aus diesem spontanen Zusammentreffen entwickelte sich eine Nonstop-Demonstration, die um so bemerkenswerter ist, wenn mensch bedenkt, dass die meisten der Beteiligten große Teile des Tages arbeiten mussten. Dieser schlossen sich auch Verwandte der Frauen an – so kam es, dass selbst vereinzelte Wehrmachtssoldaten auf Heimaturlaub sich daran beteiligten. Auch wenn sich der Frauenwiderstand spontan entzündete, so bleibt doch festzuhalten, dass der Einsatz für ihre Männer schon weit eher begonnen hatte. Schließlich brachte eine solche Ehe viel Diskriminierung mit sich. Es gab also durchaus Erfahrungen mit einem selbstbewussten Agieren aus einer minoritären Position.

Die Dauerproteste sahen in etwa so aus, dass sich v.a. Frauen vor den Eingang der Rosenstraße 2-4 versammelten, auseinander getrieben wurden und sich wieder neu versammelten. Am 04.03. kam es dann zur Eskalation: es wurden SS-Männer mit Maschinengewehren hinzugezogen, die eine Schussdrohung abgaben Während ein Teil der Protestierenden zurück wich, drängte ein anderer mit dem Mut der Verzweiflung nach vorne Daraufhin wurde die SS wieder abgezogen. Am Tag darauf wurden 25 Männer nach Auschwitz abtransportiert, am 06.03. begannen dann die Entlassungen, welche sich bis zum 16.03. hinzogen. Auch die 25 bereits Deportierten blieben nicht in Auschwitz, sondern. wurden nach weiteren Protesten bis Kriegsende in einem Spezialgefängnis verwahrt. Nach ihrer Entlassung tauchten die meisten Juden in den spätestens von da an maßgeblich von ihren Frauen organisierten Untergrund ab. Von den insgesamt ca. 15.000 Jüdinnen und Juden, die damals nach Auschwitz deportiert werden sollten, kamen dort „nur“ ca. 8000 an; der Rest konnte wohl untertauchen.

Was aber hatte die Nazis bewogen, dem Protest nachzugeben? Um diese Frage zu beantworten, empfiehlt es sich vielleicht, auf die von Nathan Stoltzfus analysierten Machttheorie Hitlers (3) einzugehen, welche auch von Goebbels geteilt wurde. Diese basierte eben nicht ausschließlich auf staatlicher Gewalt, sondern auch auf Zustimmung innerhalb der „arischen“ Bevölkerung. Hinzu kam noch, dass Hitler durch den von ihm als solchen empfundenen „Dolchstoß“ der Novemberrevolution, welche ihren Ausgang nicht zuletzt in Frauenprotesten hatte, traumatisiert war und eine Wiederholung fürchtete. Protestierende Frauen, das Misslingen, Frauen im. geplanten Maß zur kriegsstützenden Arbeit heran zu ziehen und der Umschlag des anfänglichen Kriegsenthusiasmus der Deutschen nach Stalingrad und „moral bombing“ in einen dumpfen Durchhaltewillen, war der Nazi-Führungsriege wohl Grund genug, die geplante Deportation der Jüdinnen und Juden als für diesen Zeitpunkt „zu kritisch“ (Goebbels) zu empfinden.

M.

Fußnoten:
(1) Quellen hierfür:Referat von Lou Marin am 22.03.03 im LinXXnet, sowie die Artikel von William Wright in GWR 277 „Um die Erinnerung kämpfen“ (http://www.graswurzel.net/277/index.html) und „Wunder und Wahrheit über die Rosenstraße (GWR 277, S. 10); in letzterem auch eine Auseinandersetzung mit einem Spiegel-Artikel, der den Widerstand „überflüssig“ wähnte.
(2) Damit bezeichneten die Nazis Ehen, bei denen eine deutsche Frau in eine jüdische Familie einheiratete. In diesem Fall galten ihnen nicht nur der Ehemann, sondern auch die Kinder als „jüdisch“. Das Gegenstück (jüdische Frau heiratet in deutsche Familie ein) stellte die „privilegierte Mischehe“ dar. Während letztere nach den Nürnberger Rassegesetzen seitens der deutschen Ehemänner meist aufgelöst wurden, blieben die „einfachen Mischehen“ auch danach meist zusammen.
(3) s. hierzu z.B. G. Hogweed: „Hätten die Nazis gestürzt werden können?“ (http://www.graswurzel.net/251/rosen.shtml)

Widerstand

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