„Our Enemies in Blue“

Polizei und Macht in den USA

“What are Police for?“

Mit seinem Einstieg in das Buch über Poli­zei­gewalt und Machtmissbrauch klärt Kristian Williams vom Start weg den Zweck der Un­ter­suchung: aufzuzeigen, wie Polizei strukturell dazu eingesetzt wird, unterprivilegierte Be­völkerungsschichten zu kontrollieren, oder generell jene, die am wahr­schein­lichsten Wi­derstand leisten und aus dem Rahmen fallen. Es wird gefragt: wem nützt polizeiliches Han­deln, und wer leidet darunter? Wer wird beschützt und wer drang­saliert? Wessen Interessen werden gefördert und wer bezahlt das alles? Zunehmend wird Repression präventiv ausgeübt, d.h. die Kontrolle durch den Staat wird stärker, damit mehr Aspekte unseres Lebens durchleuchtet sind, bevor wir überhaupt dran denken, auf die Barrikade zu gehen. Polizei, so Williams, ist dazu da, bestehende Ungleichheiten einer Gesellschaft zu erhalten, und zwar indem sie die Privilegien einer Gruppe gegen die Forderungen einer anderen verteidigt: „This task has little to do with crime… and much to do with politics.“ (Diese Aufgabe hat wenig mit Gewalt, sondern vielmehr mit Politik zu tun.)

Was sich politisch aktive Menschen sowieso denken können und viele andere täglich am eigenen Leib spüren müssen, wird hier mit einer Unzahl von Dokumenten, wie Aussagen von Polizisten, Administratoren, und Statistiken von Polizeiarbeit (Arrestzahlen, Verletzungen, Anzeigen gegen Beamte etc.) belegt. Williams erläutert, da sein Ansatz sehr kritisch und daher von vielen Leuten aus politischer Sicht nicht akzeptabel sei, habe er nur Quellen verwendet, die entweder von der Polizei selbst oder von Stellen stammen, welche die Polizei zur Analyse ihrer Arbeit nutzt.

Obwohl die ganze Studie sich hauptsächlich auf die USA bezieht, gibt es doch zahlreiche Parallelen zur Situation in jedem anderen Land. Williams beginnt mit einem Kapitel über „Theorie und Praxis von Polizeibrutalität,“ wo unter anderem die Hintergründe des Übergriffs auf Rodney King 1991 erläutert werden, die zu den massiven riots (Aufständen) von Los Angeles führten. Weiter geht es hier darum, warum Polizisten Gewalt einsetzen und oft glauben verstärkte Gewalt sei legitim. Außerdem erfahren wir von den Schwächen der Statistiken, die viele Leser wohl kennen: welchen Sinn z.B. hat es, eine Anzeige wegen blauer Flecke nach einer Demo zu machen? Welche Wege geht dann die Anzeige, welche Konsequenzen hat das für den Täter, und welche für Dich?

Anschließend beginnt der Autor, die Wurzeln von Polizeiarbeit in den USA herzuleiten, die für ihn zum großen Teil bei den weißen milizähnlichen Sklavenpatrouillen des Südens liegen. Schon hier zeigt sich die Hauptaufgabe der Polizei: Kontrolliere die Bewegungsfreiheit einer potentiell gefährlichen Be­völkerungsgruppe und drangsaliere sie so, dass die Angst immer größer ist als der Wille zum Widerstand. In Kapitel drei wird die Entstehung von Polizeiabteilungen ameri­ka­nischer Städte im 19. Jahrhundert und deren Zusammenhang mit der politischen Landschaft erklärt. Sehr oft waren frühe städtische Polizeien nichts anderes als Prügeltruppen der jeweils stärksten Partei der Stadt. Hier wird auch erklärt, wie sich zu dieser Zeit die Rolle des Staates und sein Einfluss auf das Leben seiner Bürger veränderte. In weiteren Abschnitten geht Williams ausführlich auf die Verquickung von Ku Klux Klan und Machtorganen, sowie auf die strategische Repression der Arbeiterbewegung durch Machthaber und Polizei ein. Ab Kapitel sechs werden politische und polizeistrategische Dimensionen durchleuchtet, sowie die Frage: wird Polizei zum Selbstläufer? In wieweit kann eine politische Führung ihre Polizei kontrollieren? Williams arbeitet ein Ab­hängigkeitsverhältnis von Machthabern und Polizei heraus. Zusätzlich benennt er aber auch die Gefahr, dass Polizei mit ihren Sicherheitsstrategien zunehmend auf die Politik Einfluss nimmt und irgendwann selbst zur politischen Kraft wird, die „agenda setting“ betreibt und politischen Eliten Bedingungen und Richtlinien diktieren könnte. Über Abhandlungen zu permanenter Repression mittels wachsender Zahl von Spezialeinheiten (Red Squads und andere – die Parallele zu diversen Truppen bei uns, die für alle möglichen politischen Aktiven, Prostitution, Fussball, Drogen etc. zuständig sind, drängt sich auf) gelangt der Autor zur Diskussion von Massenprotesten und deren Behandlung durch die Polizei. Gerade wegen ähnlicher Entwicklungen in puncto Militarisierung von Polizeieinheiten sind dies für Leser mit Demoerfahrung sehr erhellende Kapitel. Zum Ende des Buches wird ein Phänomen beleuchtet, das dys­topische (negative) Zukunftsvisionen realistischer erscheinen lässt: Je mehr Kontrolle die Polizei über Bewegung, Gewohnheiten etc. der Bevölkerung haben will, um präventiv Widerstand zu bekämpfen (und ganz nebenher auch Kriminalität), desto mehr schwillt der Apparat an. Man braucht mehr Fußtruppen, mehr Analysten usw. Dies führt zum Einen zu Unwillen unter der Bevölkerung, die nicht an jeder Ecke einen Bullen stehen sehen will, zum Anderen überlastet es das System. Das war laut Williams einer der Gründe, warum im späten 20. Jahrhundert in vielen Städten erfolgreiche Versuche von „Neighbourhood Policing“ gestartet wurden. Man entfernte sich von offen repressivem Auftreten und hielt statt dessen die Bevölkerung dazu an, sich gegenseitig zu überwachen und der Polizei Erkenntnisse zu berichten.* Diese Taktik ist jedoch gepaart mit offensiver Aktivität an Schulen, in Jugendclubs etc., die potentiellen „Unruhestiftern“ auf sehr persönliche Weise klarmachen kann „wir kennen dich und wissen wo du dich herumtreibst“. Parallel dazu sind die im Blick der Öffentlichkeit verbleibenden Bullen immer besser bewaffnet und gepanzert.

Diese sind grundlegende Erkenntnisse des Buches, die, glaube ich, viele von uns mit eigenem Erlebten aufstocken könnten. Je mehr Autonomie Polizei hat, desto mehr politischen Einfluss nimmt sie, desto mehr Kontrolle übt sie aus, desto mehr drängt sich polizeiliches Handeln in unser Alltagsleben (ich erinnere nur an Leinenpflicht für Hunde, Grillverbot in Parks, Stress für Skater, Sprayer, Plakatierende, Bettler etc., die in den letzten Jahren immer mehr zunahmen). Polizeistrategen haben die Bedeutung des sozialen Zusammenhalts von Nach­bar­schaften, Communities, etc. erkannt und versuchen, diese für sich auszunutzen, nachdem eben diese Zusammenhänge wegen ihrer Kohäsion sonst meist gegen Polizeiinteressen arbeiten.

Laut Aussage des Autors ist sein Buch das einzige unter auch von vielen Linken geschriebenen, das die Frage „Brauchen wir Polizei eigentlich?“ mit „Nein“ beantwortet. Fast alle, die sich kritisch mit Polizeiarbeit und -brutalität auseinandersetzen, kommen zu dem Schluss, die Politik müsste die Polizei besser kontrollieren (sei es durch eine sozialistische, kommunistische etc. Regierung oder durch zivile Kontrollgremien wie „Civilian Review Boards“ oder Ombudsmänner), dann würde die schlimme Gewalt schon aufhören.

Williams hingegen meint, es werde Polizei als Büttel der Herrschenden geben, solange einer die Regierung stellt. Die Frage ist nun, kann eine freie Gesellschaft ohne solch eine Institution überleben, und wie geht sie dann mit Kriminalität um? Der Autor setzt hier wieder genau bei der eben postulierten Stärke von „community“ an und sucht nach Beispielen, wo ein Staat keine Kontrolle über bestimmte Teile seiner Bevölkerung ausüben konnte. Er wird fündig bei der IRA und in den Ghettos der südafrikanischen Apartheid-Ära. In beiden Gelegenheiten haben die Bürger eigene Wege finden müssen, um sich vor Gewalt, Diebstahl, Drogenhandel etc. zu schützen, weil es selbst für schwer bewaffnete Polizei zu gefährlich war, wegen solcher „Lappalien“ in den sozialen Brennpunkten Streife zu fahren. In Nordirland hat die IRA Komitees gebildet, die „normale“ Kriminalität untersuchte, Schuldige ausfindig machte und bestrafte. In Südafrika bildeten sich Straßenkomitees, die Streife gingen, Schuld diskutierten und Täter auch bestraften. Beide Systeme leben davon, dass Nachbarn sich kennen und unterstützen können. In beiden Fällen erwähnt Williams aber auch Probleme, hauptsächlich wegen des Systems von Schuld und Strafe durch Gewalt: wer gibt wem das Recht, jemandem wegen eines geklauten Radios das Knie zu zertrümmern? Wer entscheidet, ob X oder Y schuld ist?

Williams schlägt hier nicht wirklich viel Konkretes vor, aber das Problem wird sich jeder Gesellschaft im revolutionären Umbruch stellen: Wie wollen wir mit Nazis umgehen, die ja nicht einfach „raus“ können. Was macht eine freie Gesellschaft mit Vergewaltigern, oder mit Leuten die wegen ihrer Drogensucht zur Gefahr für die Öffentlichkeit werden? Aus diesen Gründen denken sich wohl viele, die diesen „Beruf“ ergreifen: einen Cop braucht man ja immer, Polizei ist krisensicher. Was soll aber „nach der Revolution“ mit denen geschehen? Umerziehungslager? Abschieben? Volkspolizei? Das fände ich mal diskutierenswert. Zumindest, und das lehren Irland, Südafrika und auch das Neighborhood Policing, haben eng kooperierende soziale Gemeinschaften offenbar die Fähigkeit, auf einander aufzupassen, sich zu helfen, und sich selbst zu schützen. Wenn sogar die immer mächtigere Polizei sich davor fürchtet, muss das doch ein guter Ansatz sein.

HuSch

* Anfang April wurde in London ein Taxifahrgast wegen Terrorverdacht drei Stunden von der Polizei verhört. Der Taxifahrer hatte die Polizei alarmiert, als der junge Mann laut zu „Londin calling…now war is declared and battle come down“ von Clash mitsang. (Anm. d. Redax)
Kristian Williams: Our Enemies In Blue. Police and Power in America. Soft Skull Press, Brooklyn, New York 2004, Englisch, $ 17, 95 ohne Versand

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