Politisch lesen

Lesen bildet! So sagt man gerne. Damit die ganze Sache aber nicht vergebens ist, tut es gut, in Rezensionen auf Buchempfehlungen oder Verrisse zurückgreifen zu können. So nun auch hier im Feierabend! Um es gleich vorwegzuschicken, es folgt eine Empfehlung! Bücher mit politischem Anspruch sind gewiß nicht selten zu finden. Manche stechen aber geradezu hervor.

Mitte September 2002 erschien das Buch „hotlines – Call Center / Untersuchung / Kommunismus“, herausgegeben von der Gruppe kolinko. Sehr ambitioniert kommt es daher und dreht sich im Groben um die Untersuchung von Arbeitsbedingungen, Konflikten und Perspektiven für den Arbeitskampf im nicht unwesentlichen Call-Center-Gewerbe. Das Autorenkollektiv weiß, worüber es schreibt, denn es besteht aus Menschen, die sich bewußt dafür entschieden, einige Jahre in die Call Center zu gehen, dort zu arbeiten und sozusagen Teil des Arbeitsprozesses zu sein. Eine Stellung. von der man wesentlich authentischer analysieren kann als vom heimischen Schreibtisch. Dies wäre der erste Pluspunkt, der bei der Lektüre offensichtlich wird.

Nun mag eingewendet werden: Alles nichts neues, kennen wir schon, ist doch ehedem vergeblich versucht worden, in die Betriebe zu gehen. Bei kolinko sieht es jedoch anders aus, es ist recht angenehm zu lesen, daß die verschiedenen Leute unterschiedliche Ansätze wählten. Mal Agitation, mal die Lage abchecken, mal ganz pragmatisch und dann auch wieder auf internationaler Ebene – jede/r fand einen Weg. Über die unterschiedlichsten Erfahrungen konnte man dann diskutieren.

Das Ergebnis sieht so aus, daß kolinko klar strukturiert darlegen, um was es ihnen ging, was sie in den Call Centern taten und wie die Reaktionen von politischen Leuten ausfielen. Und in diesen ersten drei Kapiteln wird der zweite Pluspunkt des Buches deutlich. Man hat es mit Leuten zu tun, die fähig sind, ihren Aktionismus zu reflektieren und auch nicht mit Selbstkritik geizen.

Im vierten Kapitel finden sich umfassend allgemeine Informationen zur Branche, die einst als Modell für die „neue Arbeit“ herhielt (flache Hierarchien, alle zusammen statt Arbeitskampf,…) Daß dieser Schein trügt, mag schon vorher klar gewesen sein. Wem nicht, der findet im fünften Kapitel, betitelt Arbeitsalltag, den schönen Scheiß/Schein säuberlichst aufgedröselt. Und siehe da, das Kartenhaus fällt zusammen, ganz ohne Sturm oder Wind, es genügt schon ein genauer Blick auf die Situation in Call Centern. Und was den Menschen nicht gefallen kann, gehört umgestürzt… So wird folgerichtig im sechsten Kapitel das Thema Arbeitskampf / Konflikte angegangen. Es wird über Möglichkeiten des Widerstandes berichtet, bestehende Organisationsformen und Versuche dargestellt. Und wieder einmal wird ehrlicherweise nicht verschwiegen, daß das natürlich nicht immer problemlos funktioniert. Besonders erschwerend kommt in Call Centern, aufgrund von hoher Fluktuation, mangelnde Kontinuität hinzu. Dort ist es so ätzend, daß man das nicht Ewigkeiten aushält…

Nach den Auseinandersetzungen geben uns kolinko einen Ausblick darauf, wie es weitergehen könnte, was zu tun wäre. Als besonders wichtig wird hier der Austausch mit anderen Gruppen, ArbeiterInnen gesehen. Also wird zur besseren Koordination die Website prolposition.net vorgestellt, auf der man sich in die laufenden Diskussionen und Aktionen einklinken kann.

Zum Abschluß werden die Fragebögen und Flugblätter der letzten 3 Jahre dokumentiert, Betriebe knapp vorgestellt und der manchmal recht eigentümliche Call-Center-Jargon in Form eines Glossars übersichtlich verständlich gemacht. Obendrein gibt es als Gimmick noch eine CD-ROM zum Buch – und das für nur 9 Euro.

Um es kurz zu machen: Das Buch ist der Hammer! Es tut gut, so etwas zu lesen.

Erhältlich in ausgewählten Buchläden, auf Büchertischen oder Direktbestellung (+2 Euro für Porto und Versand, nähere Informationen unter kolinko@prol-position.net)

Rezension

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